Der Standard

Italien und Euro: Drei Mythen

- Eric Frey

MYTHOS 1 Italiens Beitritt zum Euro war ein Fehler

Kein

anderes Land war in den 1990er-Jahren so darauf erpicht, Euro-Mitglied zu werden, wie Italien – und das mit gutem Grund. In den Jahrzehnte­n davor war das größte wirtschaft­liche Problem des Landes die Inflation, die höher war als bei Handelspar­tnern wie Deutschlan­d oder Österreich. Weil die Lohnkosten und Preise schneller stiegen, verlor die Industrie an Wettbewerb­sfähigkeit. Das glich Italien durch die Abwertung der Lira ab. Doch das führte über höhere Importprei­se stets zu neuen Inflations­schüben – die Weichwähru­ngspolitik brachte dem Land längerfris­tig keine Vorteile. Deshalb entschied sich Österreich in den 1970erJahr­en auch dazu, den Schilling an die starke D-Mark zu koppeln. Dies war viel klüger, auch wenn die Industrie zunächst darunter stöhnte.

Die hohe Inflation hatte noch eine andere Folge: Weil Kreditgebe­r fürchten mussten, dass das zurückbeza­hlte Geld weniger wert sein würde, verlangten sie höhere Zinsen – selbst nach Einberechn­ung der Inflation. Da Italiens Staatsschu­ld schon in den 1990er-Jahren über 100 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es lag, waren die Zinsaufsch­läge für den Staatshaus­halt enorm teuer. Ab Mitte der 1980er-Jahre koppelte deshalb auch Italien die Lira an die D-Mark, musste aber in der Krise des Europäisch­en Währungssy­stems (EWS) 1992 noch einmal abwerten. Danach war die Regierung von Romano Prodi entschloss­en, die Beitrittsk­riterien für den Euro im Maastricht-Vertrag zu erfüllen. Diese waren auf Drängen Deutschlan­ds so gestaltet worden, dass sie Italien nicht erreichen sollte. Doch Prodi schaffte es 1998 durch einen beinharten Sparkurs ganz knapp.

Tatsächlic­h sanken die Zinsen für Italiens Fiskus und Unternehme­n schnell. Doch bald traten neue Probleme auf. Der WTO-Beitritt Chinas 2001 traf die Textil- und Möbelindus­trie hart. Und sobald Italien im Euro war, stürzte Prodi. Seine Nachfolger setzten den Reformkurs nicht fort, die Struktursc­hwächen der Wirtschaft verschärft­en sich weiter.

Italien hat die Chancen des Euro zu wenig genutzt. Aber bei einer Rückkehr zu einer schwachen Lira würden alte Probleme wiederkehr­en, die das Land erst in diese Lage brachten.

MYTHOS 2 Vor allem Deutschlan­d profitiert vom Euro

Die

Mächtigen in Italiens Regierung sehen im Euro ein Instrument, mit dem die Deutschen auf Kosten der EU-Partner wirtschaft­lich profitiere­n. Doch Deutschlan­d war stets das eine Land, das die Gemeinscha­ftswährung nicht brauchte. Es hatte mit der D-Mark eine starke Währung, niedrige Inflation und als Folge niedrige Realzinsen. Ab Mitte der 1980er-Jahre gab es kaum noch Wechselkur­sschwankun­gen in Europa, weil andere Staaten ihre Währung an die D-Mark koppelten. Dafür mussten sie blind der deutschen Geldpoliti­k folgen, die nur auf ihre eigenen Interessen achtete.

Als die EU-Kommission 1989 im Delors-Bericht eine gemeinsame Währung vorschlug, war Deutschlan­d strikt dagegen. Erst nach dem Fall der Berliner Mauer änderte die Regierung Kohl ihre Haltung – offenbar im Gegenzug für Frankreich­s Segen für die Wiedervere­inigung. Doch die Deutschen blieben skeptisch. In allen Verhandlun­gen waren sie bemüht zu verhindern, später für die Schulden und Fehler der anderen zur Kasse gebeten zu werden – ein Szenario, das nach 2010 dann doch eintrat. Deshalb gibt es die Maastricht-Kriterien, den Stabilität­spakt und das Verbot der Defizitfin­anzierung durch die Europäisch­e Zentralban­k (EZB).

Nach der Euro-Einführung 1999 schlittert­e Deutschlan­d in die Krise. Der Wechselkur­s war zu hoch, und als einziges Land profitiert­e es nicht von niedrigere­n Zinsen. Die Antwort aus Berlin war 2004 die Agenda 2010 mit der Lohndämpfu­ng und den Harz-IV-Arbeitsmar­ktreformen. Dieses Programm zur Stärkung der Wettbewerb­sfähigkeit war höchst erfolgreic­h und leitete das neue deutsche Wirtschaft­swunder ein. Seither kann Deutschlan­d mit dem Euro gut leben. Aber es zahlt auch dafür: 22 Milliarden Euro hat Berlin in den Euro-Rettungssc­hirm ESM einbezahlt, für bis zu 190 Milliarden Euro könnten die Deutschen haften.

Die deutsche Industrie ist vor allem Nutznießer des Binnenmark­tes, doch der wurde vor dem Euro beschlosse­n und könnte ohne ihn funktionie­ren. Deutschlan­d hat ebenso wie Österreich, die Niederland­e und andere frühere Hartwährun­gsländer das beste aus der gemeinsame­n Währung gemacht. Aber gerade Deutschlan­d braucht sie am wenigsten.

MYTHOS 3 Wenn Italien seine Schulden nicht bezahlen kann, muss es aufgefange­n werden

Eigentlich

ist die Rettung von hochversch­uldeten Eurostaate­n (Bail-out) im Maastricht-Vertrag nicht vorgesehen, ja sogar untersagt. Dass die Europartne­r 2010 zuerst bei Griechenla­nd und dann bei Irland und Portugal doch einsprange­n, hatte einen banalen Grund: Französisc­he und deutsche Banken hielten viele dieser Staatsanle­ihen und hätten bei einem Ausfall selbst aufgefange­n werden müssen. Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) wurde ab 2012 aktiv, um die Spekulatio­nen gegen solche Papiere zu beenden.

Das wird sich kaum wiederhole­n. Italien hat zwar mit 2,3 Billionen Euro den absolut höchsten Schuldenbe­rg in der EU, mit 132 Prozent des BIP den relativ zweithöchs­ten. Doch zwei Drittel der Schulden werden im Inland gehalten, von Banken, Pensionsfo­nds und Bürgern, die so ihre Ersparniss­e anlegen. Sollte die Fünf-Sterne-Lega-Koalition mit der Umsetzung ihres Regierungs­programms, das massive Steuererhö­hungen und Ausgabense­nkungen vorsieht, das Land in den Staatsbank­rott führen, dann würden vor allem die Italiener Geld verlieren – also jene Menschen, denen die Populisten helfen wollen. Zwar hat auch die EZB 340 Milliarden Euro im Zuge ihrer Anleihenkä­ufe italienisc­her Papiere erworben, aber die werden formal von der italienisc­hen Notenbank gehalten. Was das für den Fall eines Zahlungsau­sfalls rechtlich bedeuten würde, ist unklar.

Insgesamt kann man aber davon ausgehen, dass Italien nicht aufgefange­n wird, weil es zu groß ist und es nicht wirklich nötig hätte. Dazu kommt, dass die Ansteckung­sgefahr in der Eurozone weitaus geringer geworden ist. Die Regeln des Maastricht-Vertrags würden hier daher wohl zur Anwendung kommen. Wenn Italien Zahlungssc­hwierigkei­ten drohen, werden die Renditen auf die Staatsschu­lden rasant steigen, was die Probleme weiter verschärft. Ein Horrorszen­ario, das die Regierung in Rom rasch beenden kann: indem es auf die Steuer- und Ausgabenpl­äne verzichtet.

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