Italien und Euro: Drei Mythen
MYTHOS 1 Italiens Beitritt zum Euro war ein Fehler
Kein
anderes Land war in den 1990er-Jahren so darauf erpicht, Euro-Mitglied zu werden, wie Italien – und das mit gutem Grund. In den Jahrzehnten davor war das größte wirtschaftliche Problem des Landes die Inflation, die höher war als bei Handelspartnern wie Deutschland oder Österreich. Weil die Lohnkosten und Preise schneller stiegen, verlor die Industrie an Wettbewerbsfähigkeit. Das glich Italien durch die Abwertung der Lira ab. Doch das führte über höhere Importpreise stets zu neuen Inflationsschüben – die Weichwährungspolitik brachte dem Land längerfristig keine Vorteile. Deshalb entschied sich Österreich in den 1970erJahren auch dazu, den Schilling an die starke D-Mark zu koppeln. Dies war viel klüger, auch wenn die Industrie zunächst darunter stöhnte.
Die hohe Inflation hatte noch eine andere Folge: Weil Kreditgeber fürchten mussten, dass das zurückbezahlte Geld weniger wert sein würde, verlangten sie höhere Zinsen – selbst nach Einberechnung der Inflation. Da Italiens Staatsschuld schon in den 1990er-Jahren über 100 Prozent des Bruttoinlandsproduktes lag, waren die Zinsaufschläge für den Staatshaushalt enorm teuer. Ab Mitte der 1980er-Jahre koppelte deshalb auch Italien die Lira an die D-Mark, musste aber in der Krise des Europäischen Währungssystems (EWS) 1992 noch einmal abwerten. Danach war die Regierung von Romano Prodi entschlossen, die Beitrittskriterien für den Euro im Maastricht-Vertrag zu erfüllen. Diese waren auf Drängen Deutschlands so gestaltet worden, dass sie Italien nicht erreichen sollte. Doch Prodi schaffte es 1998 durch einen beinharten Sparkurs ganz knapp.
Tatsächlich sanken die Zinsen für Italiens Fiskus und Unternehmen schnell. Doch bald traten neue Probleme auf. Der WTO-Beitritt Chinas 2001 traf die Textil- und Möbelindustrie hart. Und sobald Italien im Euro war, stürzte Prodi. Seine Nachfolger setzten den Reformkurs nicht fort, die Strukturschwächen der Wirtschaft verschärften sich weiter.
Italien hat die Chancen des Euro zu wenig genutzt. Aber bei einer Rückkehr zu einer schwachen Lira würden alte Probleme wiederkehren, die das Land erst in diese Lage brachten.
MYTHOS 2 Vor allem Deutschland profitiert vom Euro
Die
Mächtigen in Italiens Regierung sehen im Euro ein Instrument, mit dem die Deutschen auf Kosten der EU-Partner wirtschaftlich profitieren. Doch Deutschland war stets das eine Land, das die Gemeinschaftswährung nicht brauchte. Es hatte mit der D-Mark eine starke Währung, niedrige Inflation und als Folge niedrige Realzinsen. Ab Mitte der 1980er-Jahre gab es kaum noch Wechselkursschwankungen in Europa, weil andere Staaten ihre Währung an die D-Mark koppelten. Dafür mussten sie blind der deutschen Geldpolitik folgen, die nur auf ihre eigenen Interessen achtete.
Als die EU-Kommission 1989 im Delors-Bericht eine gemeinsame Währung vorschlug, war Deutschland strikt dagegen. Erst nach dem Fall der Berliner Mauer änderte die Regierung Kohl ihre Haltung – offenbar im Gegenzug für Frankreichs Segen für die Wiedervereinigung. Doch die Deutschen blieben skeptisch. In allen Verhandlungen waren sie bemüht zu verhindern, später für die Schulden und Fehler der anderen zur Kasse gebeten zu werden – ein Szenario, das nach 2010 dann doch eintrat. Deshalb gibt es die Maastricht-Kriterien, den Stabilitätspakt und das Verbot der Defizitfinanzierung durch die Europäische Zentralbank (EZB).
Nach der Euro-Einführung 1999 schlitterte Deutschland in die Krise. Der Wechselkurs war zu hoch, und als einziges Land profitierte es nicht von niedrigeren Zinsen. Die Antwort aus Berlin war 2004 die Agenda 2010 mit der Lohndämpfung und den Harz-IV-Arbeitsmarktreformen. Dieses Programm zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit war höchst erfolgreich und leitete das neue deutsche Wirtschaftswunder ein. Seither kann Deutschland mit dem Euro gut leben. Aber es zahlt auch dafür: 22 Milliarden Euro hat Berlin in den Euro-Rettungsschirm ESM einbezahlt, für bis zu 190 Milliarden Euro könnten die Deutschen haften.
Die deutsche Industrie ist vor allem Nutznießer des Binnenmarktes, doch der wurde vor dem Euro beschlossen und könnte ohne ihn funktionieren. Deutschland hat ebenso wie Österreich, die Niederlande und andere frühere Hartwährungsländer das beste aus der gemeinsamen Währung gemacht. Aber gerade Deutschland braucht sie am wenigsten.
MYTHOS 3 Wenn Italien seine Schulden nicht bezahlen kann, muss es aufgefangen werden
Eigentlich
ist die Rettung von hochverschuldeten Eurostaaten (Bail-out) im Maastricht-Vertrag nicht vorgesehen, ja sogar untersagt. Dass die Europartner 2010 zuerst bei Griechenland und dann bei Irland und Portugal doch einsprangen, hatte einen banalen Grund: Französische und deutsche Banken hielten viele dieser Staatsanleihen und hätten bei einem Ausfall selbst aufgefangen werden müssen. Die Europäische Zentralbank (EZB) wurde ab 2012 aktiv, um die Spekulationen gegen solche Papiere zu beenden.
Das wird sich kaum wiederholen. Italien hat zwar mit 2,3 Billionen Euro den absolut höchsten Schuldenberg in der EU, mit 132 Prozent des BIP den relativ zweithöchsten. Doch zwei Drittel der Schulden werden im Inland gehalten, von Banken, Pensionsfonds und Bürgern, die so ihre Ersparnisse anlegen. Sollte die Fünf-Sterne-Lega-Koalition mit der Umsetzung ihres Regierungsprogramms, das massive Steuererhöhungen und Ausgabensenkungen vorsieht, das Land in den Staatsbankrott führen, dann würden vor allem die Italiener Geld verlieren – also jene Menschen, denen die Populisten helfen wollen. Zwar hat auch die EZB 340 Milliarden Euro im Zuge ihrer Anleihenkäufe italienischer Papiere erworben, aber die werden formal von der italienischen Notenbank gehalten. Was das für den Fall eines Zahlungsausfalls rechtlich bedeuten würde, ist unklar.
Insgesamt kann man aber davon ausgehen, dass Italien nicht aufgefangen wird, weil es zu groß ist und es nicht wirklich nötig hätte. Dazu kommt, dass die Ansteckungsgefahr in der Eurozone weitaus geringer geworden ist. Die Regeln des Maastricht-Vertrags würden hier daher wohl zur Anwendung kommen. Wenn Italien Zahlungsschwierigkeiten drohen, werden die Renditen auf die Staatsschulden rasant steigen, was die Probleme weiter verschärft. Ein Horrorszenario, das die Regierung in Rom rasch beenden kann: indem es auf die Steuer- und Ausgabenpläne verzichtet.