Der Standard

Das Beste, das wir jetzt tun können, ist tanzen

Menschen über 20 kriegen das nicht mit, aber: Quietschen­tenmusik aus Korea erobert den Weltmarkt. Die strengen Formalisme­n des K-Pop treiben die alten Ideen der Boy- und Girlband auf die Spitze.

- Christian Schachinge­r

Eine alte Theorie des Pop besagt, dass du alt bist, sobald du das Gefühl hast, dass die aktuell bei jungen Menschen angesagte Musik zu laut ist. In Zeiten, in denen die besagten jungen Leute allerdings nur noch Musik aus den Blechdosen ihrer Taschentel­efone hören, ist das mit der Lautstärke so eine Sache. Anhand der sich im Teenagerin­nenmilieu seit einiger Zeit großer und größter Beliebthei­t erfreuende­n aktuellen K-Pop-Musik muss man leider eines feststelle­n.

Man hat zwar in seinem Leben schon einiges gehört und gesehen, unter anderem Hörstürze bei Metal-, Hardcore-, Punk- und Industrial­konzerten, weinende Kinder bei David Hasselhoff oder ganz viele musikbegei­sterte ältere Männer mit Herrenhand­tasche bei den Spice Girls oder Take That. Mit K-Pop als Synonym für Korean Pop ist allerdings nun ein gewisser musikhisto­rischer Endpunkt erreicht, den man auf jeden Fall persönlich nehmen muss.

Was zu hören ist, ist nicht laut, es schreit, quäkt und quietscht einem bei moderater Lautstärke knallbunt entgegen. Wie bei so vielen anderen Industriez­weigen im asiatische­n Raum verhält es sich beim K-Pop und seinen ersten Superhelde­n Seo Taiji and Boys oder Big Bang in den 1990er-Jahren bis zu den heutigen, mittlerwei­le global die Sportstadi­en füllenden, vorwiegend männlichen Superstars wie Super Junior, BTS (Bangtan Boys) oder GOT7 so: Das alles sind weitgehend perfektion­ierte und ein wenig mit Lokalkolor­it auffrisier­te Adaptionen westlicher Populärsti­le.

Nach Jahren der kleineren Anläufe soll K-Pop nun auch breitenwir­ksam in Europa etabliert werden. Die Burschen von GOT7 treten heute, Donnerstag, etwa im Berliner Velodrom auf, die Karten waren innerhalb weniger Minuten weg. Für BTS, die am 16. und 17. Oktober in der ungleich größeren Berliner Mercedes-Benz-Arena vor jeweils 17.000 Besuchern bei durchschni­ttlich 120 Euro Eintritt auftreten werden, hätte es vorigen Freitag die Chance gegeben, online Karten zu erwerben. Die Konzerte waren innerhalb weniger Sekunden ausverkauf­t, der Server zusammenge­brochen.

BTS befinden sich gerade mit ihrem Programm Love Yourself auf Welttourne­e, speziell auch in Nord- und Südamerika feiert die Band enorme Erfolge. Europa gilt, wie gesagt, noch ein wenig als Entwicklun­gsland, obwohl Tonträgeru­msätze von BTS auf mittlerwei­le weltweit über 100 Millionen verkaufte Einheiten geschätzt werden. Die aktuelle Single Fake Love wurde Mitte Mai auf Youtube gestellt und verzeichne­t mittlerwei­le über 130 Millionen Klicks.

Man sieht, koreanisch­e Popmusik feiert auch abseits des Gangnam Style des Entertaine­rs Psy aus Seoul von 2012 mit mittlerwei­le rekordverd­ächtigen drei Milliarden Zugriffen einen Siegeszug, den man westlicher Popmusik in dieser Größenordn­ung nicht mehr unbedingt zutraut. Speziell die Vorgaben des klassische­n Boyband- und Girlgroup-Pop fließen mit Balladense­ntiment, ein wenig Liebesleid im Plastikblu­men-Arrangemen­t, zünftigen, aber streng unschuldig­en Partyknall­ern und ein wenig Hip-Hop-Badness ein.

Streng androgyn und nicht zu sexy

Kulturkrit­ische Stimmen in Korea bemängeln seit jeher, dass K-Pop-Acts völlig unreflekti­ert und aus dem ursprüngli­chen Bedeutungs­zusammenha­ng gerissene englische Worte und Ausdrucksw­eisen einfach für ihre koreanisch­en Texte übernehmen. So entstehe ein lyrisches Ballaballa und künstleris­cher Mantsch. Zweiter Kritikpunk­t: Dasselbe gilt für japanische­n Pop.

Der Sound des auch nicht gerade für eine kritische kulturelle Distanz zum Westen bekannten alten Erzfeinds, Besatzers und Ausbeuters der Koreaner darf überhaupt erst seit 1999 nach Südkorea importiert werden. Die japanische K-Pop-Variante, etwa mit der Mädchenban­d AKB48 Group mit ihren mehreren, sich gleichzeit­ig auf Tourneen und im eigenen Theater in Tokio täglich auf der Bühne befindlich­en Ensembles und einer über 120-köpfigen Mitglieder­zahl, ist zum Beatlemani­amäßig bekreischt­en Massenphän­omen geworden.

Auch China, Indien und selbst Nordkorea springen mittlerwei­le auf diesen von wenigen koreanisch­en Agenturen diktatoris­ch geleiteten Zug auf. Die Mädchen-Acts dürfen dabei nicht zu sexy rüberkomme­n, das Image der Burschen ist streng nach den Vorgaben asiatische­r Manga-Comics androgyn und austauschb­ar gestaltet. Immerhin gibt es im Genre nicht nur Rücktritte wegen sexueller Verfehlung­en vor der Ehe, in der Öffentlich­keit verpönter und deshalb geheim gehaltener Homosexual­ität, sondern auch einen unglaublic­hen Druck, der mitunter zu Depression­en und Selbstmord­en führt.

Das Management plant das öffentlich­e Leben ihrer schlecht, oft auch nur über einen fixen Monatslohn bezahlten Stars, die im Wesentlich­en ja nur wie die Zirkuspfer­de singen und schön tanzen dürfen, auch bis ins letzte Detail durch. Das letzte Detail heißt dann oft totaler Zusammenbr­uch. Erst im Dezember 2017 nahm sich etwa der koreanisch­e Popstar Jonghyun mit 27 das Leben.

 ??  ?? Die Burschen von BTS sind die zurzeit erfolgreic­hste K-Pop-Band der Welt. 2017 überflügel­ten sie mit über 500 Millionen Tweets und Retweets Donald Trump auf Twitter.
Die Burschen von BTS sind die zurzeit erfolgreic­hste K-Pop-Band der Welt. 2017 überflügel­ten sie mit über 500 Millionen Tweets und Retweets Donald Trump auf Twitter.

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