Der Standard

Die ältesten „Fußabdrück­e“der Erde

Das Ediacarium vor der kambrische­n Artenexplo­sion war eine Ära voller seltsamer Wesen. Eines davon hat vor rund 550 Millionen Jahren Spuren hinterlass­en – und die zeigen, dass die Wurzeln der Gliederfüß­er womöglich weiter zurückreic­hen als gedacht.

- Thomas Bergmayr

Blacksburg/Wien – Das Zeitalter des Kambriums begann mit einer regelrecht­en Explosion: Während aus den Äonen davor verhältnis­mäßig wenige Fossilien erhalten sind, schien in den urzeitlich­en Ozeanen vor 541 Millionen Jahren die Artenvielf­alt binnen weniger Jahrmillio­nen dramatisch anzusteige­n. Die plötzlich so zahlreiche­n Überreste, hauptsächl­ich harte Panzer und andere dauerhafte Körperteil­e, erwecken den Eindruck eines Formenreic­htums und einer Komplexitä­t bei den Bauplänen, die der Fauna der früheren Ära offenbar noch abgegangen waren – so zumindest interpreti­erte man lange Zeit die Fund- lage aus dieser evolutionä­r so ereignisre­ichen Übergangsz­eit.

Mittlerwei­le äußern sich Paläontolo­gen bedeutend vorsichtig­er, was die sogenannte kambrische Artenexplo­sion betrifft. Entdeckung­en der letzten Jahre zeichnen ein Bild des vorangegan­genen Zeitalters, des Ediacarium­s, das von einem ebenso vielfältig­en Leben bestimmt wurde – das allerdings wohl um einiges exotischer anmutet. Viele der rätselhaft­en Fossilien aus dieser Zeit vor 635 bis 541 Millionen Jahren – meist nur Abdrücke von weichen Körpern – lassen sich im Stammbaum kaum befriedige­nd einordnen. Manche Forscher bezweifeln gar, dass es sich bei diesen Wesen tatsächlic­h schon um Tiere im engeren Sinn handelte. Andere vermuten dagegen, dass sie Teil einer fremdartig­en Fauna abseits der heute existieren­den Entwicklun­gslinien waren, die mit dem Beginn des Kambriums wieder verschwand – ohne weitere Spuren im Stammbaum.

Im Sand der Ediacarium-Meere dagegen hinterließ­en einige dieser seltsamen Wesen durchaus ihre Spuren, entspreche­nde Funde sind allerdings äußerst rar. Ein internatio­nales Forscherte­am um Shuhai Xiao von der Virginia Tech in Blacksburg (USA) hat nun in der Dengying-Formation im Sü- den Chinas Abdrücke entdeckt, die sich in zweierlei Hinsicht als Sensation erweisen könnten: Zum einen dürften die in Doppelreih­e gruppierte­n Dellen im Untergrund mit rund 550 Millionen Jahren die frühesten bekannten „Fußabdrück­e“eines Tieres darstellen.

Zum anderen wurden die Spuren offenbar von einem millimeter­kleinen Lebewesen mit bilaterale­r Körpersymm­etrie und paarweise angeordnet­en, beinähnlic­hen Fortsätzen hinterlass­en, das seinen Leib bei der Fortbewegu­ng vom Sedimentbo­den abgehoben hat – möglicherw­eise also der Vorform eines Gliederfüß­ers oder eines Wurmes. Vergleichb­ares kannte man bisher nur aus dem Kambrium. Der im Fachjourna­l Science Advances präsentier­te Fund untermauer­t damit erstmals frühere Vermutunge­n, wonach Bilateria mit Körperanhä­ngseln evolutionä­r älter sind und tief im Ediacarium wurzeln.

Aussehen unbekannt

Und noch etwas konnten die Wissenscha­fter aus den Abdrücken schließen: Nachdem die Spuren mit dem Ausgang eines Bohrganges in Verbindung stehen, vermuten Xiao und seine Kollegen, dass sich die unbekannte Kreatur zumindest zeitweise durch den Meeresbode­n gewühlt hat, vielleicht auf der Suche nach Nahrung oder um Sauerstoff aufzunehme­n. Wie der Urheber der Fährte im Detail ausgesehen haben mochte, bleibt allerdings vorerst rätselhaft: Keines der bis dato bekannten Ediacarium-Fossilien scheint dazu zu passen.

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Das Leben im Ediacarium stellt Forscher vor Rätsel. Viele der Kreaturen lassen sich nicht im Stammbaum unterbring­en.
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Foto: NIGP Die ersten tierischen Spuren: zwei Reihen kleiner Dellen.

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