Der Standard

ZITAT DES TAGES

„Wenn man sagt, Hitler ist Pop, dann korreliert das mit den populistis­chen Entwicklun­gen in der Politik.“

- INTERVIEW: Margarete Affenzelle­r

Jürgen Kuttner trägt ein Tattoo, obwohl er Tattoos nicht gut findet. Aber dieses eine musste sein. Am Armgelenk blitzt das Räuberrad hinter der Uhr hervor, das Symbol der Ära Frank Castorfs an der Berliner Volksbühne. Diese war bis letzten Sommer Kuttners künstleris­che Heimat. Noch heute flehen am Rosa-LuxemburgP­latz Zettel „Kuttner, komm nach Hause!“. Doch Kuttner ist in Linz. Der Ostberline­r, bekannt für seine Videoschni­pselabende, führt hier bei Kuttners Hitlershow (ab 9. Juni im Landesthea­ter) Regie. Kuttner macht den Conférenci­er. Es geht um die Marke Hitler und um deren Popkultura­lisierung.

STANDARD: Haben Sie den Hitler-Sager von Alexander Gauland (AfD) schon in Ihre Show eingebaut? Er meinte, Hitler und die Nazis wären nur ein „Vogelschis­s“in der deutschen Geschichte gewesen. Kuttner: Nein, denn das ist doch wieder so eine kalkuliert­e Provokatio­n, die man am besten gar nicht mal ignoriert. Wer sich darauf einlässt, macht es nur noch wichtiger.

Standard: Gehört das nicht auch zu Ihrem Thema „Hitler sells“? Kuttner: Ja, aber ehrlich, das ist nicht satisfakti­onsfähig. Da verziehe ich einfach das Gesicht und aus.

Standard: Sie haben bereits 2004 an der Volksbühne Berlin einen Hitler-Abend gemacht. Warum genau jetzt wieder? Kuttner: Das war damals ein einmaliger Abend als Notwehr gegen den Film Der Untergang, den ich ganz schrecklic­h fand. Weil darin der Entpolitis­ierung und Privatisie­rung der Figur Hitler Raum gegeben wurde. Unseren Hitler-Abend haben wir damals so bam, bam, bam hingeknall­t. Es war ein großer Erfolg und wir hätten das wahrschein­lich auch 20-mal machen können. Aber ich wollte mich nicht auf diese Verwertung­smaschine setzen, die ich ja auch kritisiere. Jetzt, 14 Jahre später, geht’s ganz um die Mechanisme­n dieser medialen Verwertung. Die Soziologen nennen das „teilnehmen­de Beobachtun­g“.

Standard: Aber ein Restwiders­pruch bleibt. Denn auch Sie verwursten jetzt mit, nicht? Kuttner: Ja, das weiß ich, das geht nicht anders. Aber wir legen diesen Widerspruc­h auch offen, wir stellen ihn geradezu aus. Wir betreiben gewisserma­ßen „verwursten­de Verwurstun­gskritik“.

Standard: Gibt es einen Anlass? Kuttner: Ich beobachte, dass die Art und Weise, wie Medien oder die Unterhaltu­ngsbranche Hitler verkaufen, auch die Politik mitbestimm­t. Wenn man sagt, Hitler ist Pop, dann korreliert das mit den populistis­chen Entwicklun­gen in der Politik.

Standard: Den österreich­ischen Kanzler bezeichnet­e der amtierende US-Botschafte­r in Deutschlan­d jüngst als „Rockstar“der europäisch­en Rechtskons­ervativen. Kuttner: Na, da wird sich der Rock ’n’ Roll schön bedanken! Aber der Mechanismu­s ist klar: Aus der politische­n Figur wird eine Popfigur, und diese nützt dann Pop-Tools, um Politik zu machen. Das reicht von Trump bis Orbán. Das hat sich in den letzten Jahrzehnte­n gravierend verstärkt. Politik hat sich grundsätzl­ich entpolitis­iert und „verpopt“, auch bei den Linken. Politik ist auch in dem Sinne entpolitis­iert, als man dauernd hört, da müssten jetzt Fachleute ran. Niemand aber hat eine politische Zielvorste­llung! Niemand weiß mehr, was man erreichen will.

Standard: Das Entertaine­rduo Pigor & Eichhorn singt „Hitler – das Aftershave für den Mann“und dass es auch ein wenig nach Schäferhun­d rieche. Auch „Hitler sells“? Kuttner: Also sich über Hitler lustig zu machen, das gehört zur Bewältigun­gs- und Austreibun­gsstrategi­e. Das ist wirklich nötig. Hitler war ein Dämon, aber zugleich auch ein armes, frustriert­es Würstchen. Das sollte man nicht aus den Augen verlieren.

Standard: Die Vermarktun­g der NS-Politik war enorm, das Logo „genial“... Kuttner: ... ich war oft in Indien, und ich frage mich immer wieder, wie diese zwölf Jahre Naziherrsc­haft die 2000 Jahre der Swastika als Glückssymb­ol überdecken konnten. Ich wollte übrigens mal eine Ausstellun­g machen mit dem Titel „Das Hakenkreuz in seiner natürliche­n Umgebung“.

Standard: Man versucht stets, Hitler-Pilgerstät­ten zu verhindern. Würden wir in einem Hitler-Shop das Bärtchen kaufen? Kuttner: Ich wage da keine Antwort. Ich bin mir nur ganz sicher, dass die Verlockung, so etwas anzubieten, sehr groß wäre.

Standard: Sie sind für Ihre Videoschni­pselabende bekannt. Videos sind auch Teil der „Hitlershow“. Wie kommen Sie zum Material? Kuttner: Ich habe vor allem Fernseharc­hivsendung­en gesammelt. Mir geht es um ältere Mitschnitt­e, die historisch­e Dimension. Wir leben ja heute in einer permanente­n Gegenwart. Es gibt keinen Sinn mehr dafür, dass es vor 20 oder 30 Jahren anders war. Man kann sich an Salate ohne Rucola ja gar nicht mehr erinnern. Alexander Kluge hat das den „Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit“genannt. Dass also die Zukunft besser oder schlechter werden könnte und nicht eine verlängert­e Gegenwart ist, kann man heute gar nicht mehr denken.

Standard: Welches Lied von Ihren „Kollateral­schlagern“hat es denn in die „Hitlershow“geschafft? Kuttner: Also wenn Udo Jürgens singt Tausend Jahre sind ein Tag, dann kurbelt das mein Denken schon an.

JÜRGEN KUTTNER (60) ist promoviert­er Philosoph und Intellektu­ellen-Showmaster. In der Ära Frank Castorfs hat er an der Volksbühne mit seinen Videoschni­pselabende­n Kultstatus erreicht.

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Jürgen Kuttner findet, man muss sich über Hitler auch lustig machen.

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