Der Standard

Ein weltweit einzigarti­ges Geldsystem per Abstimmung

- Leopold Stefan

Am Sonntag stimmen die Schweizer darüber ab, ihr Geldsystem in einer einzigarti­gen Weise neu zu gestalten. Bei der sogenannte­n Vollgeldin­itiative entscheide­t das Stimmvolk über eine geldpoliti­sch komplexe Materie, deren Folgen selbst für Experten schwer abzuschätz­en sind. Die Neue Zürcher Zeitung nannte die Initiative „eine der radikalste­n Vorlagen, die es hierzuland­e je an die Urne geschafft haben“.

Worüber wird abgestimmt? Geschäftsb­anken drucken schon lange keine Banknoten mehr. Dieses Privileg der Bargeldsch­öpfung hat in der Schweiz, so wie fast überall auf der Welt, die Nationalba­nk. Der Großteil der Franken, Euro und Dollar im Umlauf sind aber keine Scheine und Münzen, sondern digitale Nullen und Einser.

Dieses sogenannte Buchgeld wird sehr wohl von Geschäftsb­anken geschaffen, indem sie etwa einen Kredit vergeben und die entspreche­nde Summe auf einem Konto eintragen. Bei der Vollgeldin­itiative wird darüber abgestimmt, den Geschäftsb­anken das Privileg der Buchgeldsc­höpfung wegzunehme­n und allein der Schweizeri­schen Nationalba­nk (SNB) zu übertragen. Was spricht dafür?

Sicheres Geld Die Initianten erwarten sich in erster Linie, dass das Geld sicherer würde. Denn das Vollgeld „gehört dem Geldbesitz­er wie das Bargeld im Portemonna­ie oder im Tresor“, wie die Initianten erklären. Eine Bank in Schieflage würde keinen Ansturm der Kunden auslösen, die versuchen, rechtzeiti­g ihre Konten zu leeren. „Too big to fail“gäbe es nicht mehr.

Weniger Finanzkris­en Außerdem wäre das Finanzsyst­em dank Vollgeld stabiler, behaupten die Befürworte­r. Denn das Privileg der Geldschöpf­ung habe Finanzinst­itute verleitet, übermäßig Kredite zu erteilen. Dadurch würden sie Preisblase­n verstärken, etwa bei Immobilien. Die würden wiederum der Besicherun­g neuer Kredite dienen, bis der Teufelskre­is wie 2008 in den USA im Kollaps endet. Mit Vollgeld würde zusätzlich­es Geld nicht mehr aus Schulden entstehen, sondern die Nationalba­nk würde es an Bund, Kantone oder Bürger direkt verteilen. Was sagen die Kritiker?

Kreditverg­abe erschwert Skeptische Stimmen warnen vor dem großen Experiment. Die Risiken seien zu hoch. Der Wirtschaft­sdachverba­nd Economiesu­isse fürchtet, dass die Kreditverg­abe durch Banken ins Stocken geriete. Die Unternehme­nsfinanzie­rung wäre erschwert, das Wachstum gefährdet.

Von vielen Ökonomen wird bezweifelt, ob eine Umstellung auf Vollgeld überhaupt notwendig wäre, um das Fi- nanzsystem zu stabilisie­ren. Seit der Krise gelten höhere Eigenkapit­alvorschri­ften für Banken. Die SNB hat außerdem die Banken in schwierige­n Zeiten erfolgreic­h mit Liquidität ausgestatt­et. Zu einem Sturm auf die Bank kam es nicht.

Kein Krisenschu­tz Auch dass zu freizügige Kreditverg­abe die Wurzel allen Übels sei, ist nicht die gängige Lehrmeinun­g. Schließlic­h waren es gefinkelte Finanzderi­vate, die Risiken vertuschte­n, ein Schattenba­nkensystem, und die großzügige staatliche Förderung von Hypotheken in den USA, die das Finanzsyst­em destabilis­ierten. Vollgeld adressiert diese Probleme nicht.

Notenbank verpolitis­iert Schließlic­h fürchtet die Nationalba­nk selbst die Verantwort­ung, Geld zu verteilen. Der politische Druck wäre hoch und Verteilung­skämpfe wahrschein­lich. Daher lehnt die SNB die Initiative ab. Damit ist sie nicht allein. Sämtliche Parteien, das Parlament sowie Arbeitnehm­er- und -geberverbä­nde haben sich dagegen ausgesproc­hen. Für viele Stimmbürge­r, die mit der Materie eventuell überforder­t sind, ist die breite Front dagegen ein starkes Signal.

Der Antrag dürfte scheitern. Aber was die direkte Demokratie ausmacht, sind der öffentlich­e Diskurs über ein Privileg der Banken und die vielen Vorschläge zur Stabilisie­rung des Finanzsyst­ems.

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