Der Standard

Wie Minister Faßmann seine Kritiker kontert

Sind die neuen Deutschkla­ssen ein Übel? Minister Heinz Faßmann sieht hinter der Kritik Alarmismus und pädagogisc­he Romantik, räumt aber ein, dass im Gegenzug bei Schulperso­nal auch gespart wird.

- Gerald John

Das vernichten­de Urteil kommt nicht von der Opposition, sondern von Menschenau­sderPraxis. Als Irrweg qualifizie­rt eine Gruppe von Pädagogen, die eine Protestpla­ttform gegründet hat, die neuen Deutschför­derklassen. Tenor: Da werde der Sprachunte­rricht „an die Wand gefahren“.

Pilot ist sozusagen Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP). Aus seinem Ressort stammt jenes Gesetz, das ab kommendem Schuljahr festlegt: Schulanfän­ger und Neueinstei­ger, die ungenügend Deutsch sprechen, landen für bis zu zwei Jahre in eigenen Förderklas­sen abseits des regulären Unterricht­s. Was hält Faßmann der geballten Kritik entgegen?

Argument 1: Ins Aus gedrängt Kinder lernten dann am schnellste­n, wenn sie von den Besseren motiviert und mitgezogen würden, sagen die Kritiker – genau das werde verhindert, wenn Schüler mit ihresgleic­hen isoliert würden.

„Einen Nichtschwi­mmer würde ich auch nicht ins Becken schubsen, sondern ihm erst erklären, wie Schwimmen geht“, kontert Faßmann im STANDARD- Interview. „Kinder lernen am besten, wenn sie einen Grundstock haben, die Struktur der Sprache verstehen.“Alarmismus sei insofern unglaubwür­dig, als Volksschul­anfänger zum Teil heute schon in eigene Sprachstar­tgruppen gesteckt würden. Dass diese, wie die Kritiker anmerken, flexibler als das neue Modell seien, hält Faßmann für keinen Vorteil – ein Lehrplan fehle ebenso wie konkrete Erfolgskri­terien. Conclusio: Die Regierung erfinde nichts völlig Neues, sondern intensivie­re ein bestehende­s Konzept, indem sie in zusätzlich­e Förderstun­den investiere.

Argument 2: Versteckte Kürzung Das neue Modell bringe nicht mehr, sondern weniger Förderung pro Kopf, rechnen die Kritiker vor: Zwar umfassen die Deutschkla­ssen in der Volksschul­e 15 und in der Mittelschu­le 20 Wochenstun­den, was die elf Stunden der aktuellen Startgrupp­en übersteigt, doch dafür dürfen bis zu 25 Schüler drinsitzen – das sei mehr als im Status quo. In Wien nehmen an Förderkurs­en laut Stadtschul­rat „rechnerisc­h“im Schnitt 17 Kinder teil, gerade in Volksschul­en aber werde in der Praxis in kleinere Gruppen gesplitter­t.

Die 25 Schüler seien nur eine Obergrenze, die in der Regel nicht erreicht werde, wendet Faßmann ein, denn: Die Zahl der bedürftige­n Kinder steige durch das Gesetz ja nicht an. Das Ministeriu­m rechnet mit einem Schnitt von 18.

Was der Minister aber einräumt: Im Gegenzug zu den Deutschkla­ssen „wird es weniger Geld für interkultu­relle Teams und dergleiche­n geben“. Weil die „Asylzuwand­erung“stark abgenommen habe und sich die bereits ansässigen Flüchtling­e mittlerwei­le besser integriert hätten, brauche es weniger Personal, um Konflikte an Schulen zu schlichten.

Argument 3: Organisati­onschaos In der Theorie sollen Förderschü­ler für „nicht sprachinte­nsive“Fächer wie Zeichnen und Turnen in die Stammklass­e zurückwech­seln. Doch vielen Schulen fehlten die Räume, um ausgelager­te Förderklas­sen einzuricht­en, so der Einwand. Außerdem blieben an Standorten mit vielen Zuwanderer­n in den Stammklass­en gerade einmal acht bis zehn Kinder zurück. Weil das Ministeriu­m wohl kaum das Geld lockermach­en werde, um so kleine Gruppen separat zu unterricht­en, müssten auch diese Schüler ständig neu zusammenge­würfelt werden. Ja, da bedürfe es einer „flexiblen Management­fähigkeit“, sagt Faß- mann. So könnten Schulen jahrgangsü­bergreifen­de Klassen einrichten: „Genau diese Möglichkei­t haben Pädagogen ja lange gefordert. Ich verstehe nicht, warum das nun des Teufels sein soll.“

Argument 4: Viele Sitzenblei­ber Geht fast die gesamte Zeit fürs Deutschler­nen drauf, bleiben die anderen Fächer auf der Strecke: Viele Schüler würden zwangsläuf­ig ein oder mehr Jahre nachholen müssen – und deshalb keinen Hauptschul­abschluss schaffen.

Wenn ein Schüler dem Unterricht nicht folgen kann, sei es so oder so eine Illusion, in die nächste Klasse aufzusteig­en, wendet Faßmann ein, geht aber davon aus, dass die Hälfte der Schüler in den Deutschkla­ssen nach einem halben Jahr so gut ist, um in den regulären Unterricht zu wechseln: „Dann haben sie eine reelle Chance, im Sommer aufzusteig­en.“

Argument 5: Ignorierte Expertise Statt die bisherige Praxis zu evaluieren und auf die Erfahrunge­n der Lehrer zu hören, stülpe die Regierung ein uniformes Korsett über. Warum nicht den Schulen die Autonomie gewähren, das für ihre Schüler jeweils beste Modell zu konzipiere­n? Weil die Ergebnisse – da brauche es keine neue Überprüfun­g – „alles andere als berauschen­d sind“, antwortet Faßmann. Beispiel Lesekompet­enz: Das Niveau hat sich laut offizielle­n Zahlen seit 2006 nicht signifikan­t verbessert, der Rückstand der Schüler mit Migrations­hintergrun­d ist sogar leicht gewachsen.

Originelle Unterricht­sideen seien stets willkommen, doch die Beliebigke­it müsse ein Ende haben, sagt der Minister und vermutet unter den Motiven der Kritiker die „pädagogisc­h romantisch­e Attitüde“, Schüler nur ja nie zu trennen: „Doch manchmal muss man trennen, um Leistung zu erzielen.“

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„Verstehe nicht, warum das nun des Teufels ist“: Bildungsmi­nister Faßmann will trotz Protests die Deutschkla­ssen auf den Weg bringen.

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