Mordprozess um tödlichen Heereswachdienst
Starb ein 20-jähriger Soldat wegen eines tragischen Unfalls oder erschoss ihn ein zwei Jahre älterer Grundwehrdiener vorsätzlich? Ein Motiv für einen Mord kann der Staatsanwalt zumindest nicht liefern.
Als tragisches Unglück hat am Mittwoch am Wiener Landesgericht ein 22-Jähriger einen Vorfall in der Albrechtskaserne in Wien-Leopoldstadt geschildert, der am 9. Oktober 2017 einen um zwei Jahre jüngeren Grundwehrdiener das Leben gekostet hat. Der gebürtige Salzburger behauptete, er habe seinen Kameraden wecken und mit diesem eine Zigarette rauchen wollen. Dabei sei er gestolpert, aus seinem Sturmgewehr StG 77 hätte sich versehentlich ein Schuss gelöst.
Das Projektil drang dem 20-Jährigen aus unmittelbarer Nähe in den Kopf und durchschlug den Schädel. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten Mord vor. Die Waffe war entgegen sämtlichen Vorschriften geladen und entsichert, was für Ankläger Georg Schmid-Grimburg dafür spricht, dass es sich um keinen Schießunfall handeln kann: „Das ist eine Waffe, die dafür ausgerichtet ist, dass man in den Krieg zieht.“Um überhaupt einen Schuss abgeben zu können, müs- se man zuerst eine Spannschiene zurückschieben und nach vorn drücken. Erst dann sei eine Patrone im Lauf. Zusätzlich muss die Waffe entsichert werden. All das habe der Angeklagte auf den wenigen Metern Richtung Ruheraum getan, gab der Staatsanwalt zu bedenken.
Der 22-Jährige hatte gemeinsam mit dem Opfer und einem dritten Grundwehrdiener Wachdienst versehen. Im Rahmen seiner Grundausbildung hatte er ein einziges Mal mit dem Sturmgewehr StG 77 geschossen. Mit dem Getöteten habe er sich „perfekt verstanden, von Anfang an“, versicherte der Angeklagte. Der 20Jährige – wie er mit türkischen Wurzeln – habe ihn wegen seines Übergewichts nicht gehänselt, während ihn andere „Jumbo“nannten.
Am Tatabend habe er mit dem 20-Jährigen seine letzte Zigarette teilen und ihn daher wecken wollen. Beim Betreten des Ruheraums sei er gestolpert: „Vielleicht über meine eigenen Füße, vielleicht war ein Schuhband offen, ich weiß es nicht.“Er sei auf den Boden gefallen, habe aber keinesfalls die Waffe beschädigen wollen. Deswegen habe er das Sturmgewehr, das er in der rechten Hand hielt, „ausgelassen“. Da habe sich der Schuss gelöst: „Es war ein ohrenbetäubender Krach.“
Entsichert sei die Waffe gewesen, weil ihm das Sturmgewehr kurz zuvor auf den Boden gefallen sei. Dabei sei ungewollt eine Patrone in den Lauf geraten. Dass die Waffe nicht gesichert war, erklärte der Angeklagte damit, dass er ständig mit der Sicherung „gespielt“hätte, „wenn ich draußen war. Es war der einzige Zeitvertreib, wenn man stundenlang draußen steht.“
Der dritte Grundwehrdiener hatte im Vorfeld andere Kameraden vor dem Angeklagten und dessen sorglosem Umgang mit dem Sturmgewehr gewarnt. „Passts auf mit dem. Er spielt sich gern mit der Waffe“, empfahl der junge Mann seinen Kameraden. Wie er als Zeuge dem Schwurgericht verriet, habe der 22-Jährige zum Zeitvertreib gern repetiert.
Der Staatsanwalt war sich bewusst, dass er kein greifbares Motiv „für diese Wahnsinnstat“, wie er sich ausdrückte, präsentieren konnte: „Wir wissen nicht, was den Angeklagten angetrieben hat. Aber gerade bei Kapitalverbrechen gibt es oft kein erkennbares Motiv.“Ein Schießsachverständiger hätte jedenfalls festgestellt, dass sich das Sturmgewehr entgegen der Darstellung des Angeklagten beim Herunterfallen nicht nachgeladen haben dürfte. Außerdem sei es „eher unwahrscheinlich, dass ein junger Mensch derart über die eigenen Füße stolpert, dass er hinfällt“.
Er selbst sei in den vergangenen Wochen dreimal gestolpert und hätte sich dabei sogar verletzt, konterte Verteidiger Manfred Arbacher-Stöger. Für einen Mord brauche es „ein Mindestmaß an Motiv“. Im gegenständlichen Fall sei weit und breit keines zu sehen. Arbacher-Stögers Schlussfolgerung: „Ein Vorsatzdelikt gibt der Akt nicht her.“Der Staatsanwalt habe mit seiner Anklage vielmehr „aus einem Schießunfall einen ganz schlimmen, geplanten Mord gemacht“. In Wahrheit habe sich das Ganze „einfach deppert zugetragen“. Eine „blöde Aneinanderreihung von Zufällen“hätte den 20-Jährigen das Leben gekostet, sagte Arbacher-Stöger.
Am kommenden Donnerstag wird fortgesetzt. (APA)