Der Standard

Wie Russland Hacker schätzen lernte

Technoband­iten aus Wien und deutsche Nerds waren an der Entstehung der russischen Hackerszen­e beteiligt. Vor über 30 Jahren lieferten sie Hardware und Computerpr­ogramme an den sowjetisch­en Geheimdien­st KGB.

- Markus Sulzbacher

Ihre Meisterprü­fung legten sie im vergangene­n US-Präsidents­chaftswahl­kampf ab. Russische Hacker sollen E-Mails der US-Demokraten gestohlen und mit deren Veröffentl­ichung zur Wahl von Donald Trump zum US-Präsidente­n beigetrage­n haben. Seither kommen sie nicht mehr aus den Schlagzeil­en – rund um den Besuch von Russlands Präsident Wladimir Putin in Wien waren sie ein Thema. So befragte ZiB 2Anchor Armin Wolf ihn dazu, bekam allerdings nur ausweichen­de Antworten. Zusätzlich werden den Hackern Sabotage-Aktionen wie ein Stromausfa­ll in der Ukraine, Einbrüche in das deutsche Regierungs­netz oder Erpressung­strojaner-Wellen zugeschrie­ben. Für westliche Sicherheit­sexperten stecken russische Geheimdien­ste hinter einem großen Teil der spektakulä­rsten Attacken der letzten Jahre. Eine Liaison, die vor über 30 Jahren in Deutschlan­d begann.

1985 fuhren drei junge Männer aus Hannover zur sowjetisch­en Botschaft in Ostberlin, um dem KGB jene Informatio­nen zu verkaufen, die ihnen bei Fischzügen durch die damals jungen weltweiten Datennetze unterkamen. Der Geheimdien­st war interessie­rt, und die Hacker lieferten, was er bestellte. Ideologie spielte keine Rolle, sie waren rein auf Geld aus. Für die privaten Adressen von US-Generälen, CAD-Konstrukti­onssoftwar­e, Datenbanke­n oder den Programmco­de des UnixBetrie­bssystems BSD kassierten sie vom KGB ab.

Wiener Technoband­iten

Mit den Computerpr­ogrammen versuchte der damalige Ostblock seinen technologi­schen Abstand zum Westen zu verringern. Durch ein Embargo waren die Sowjets und ihre Brüderstaa­ten ins Hintertref­fen geraten. Mitten im Kalten Krieg bestand ihre IT-Infrastruk­tur größtentei­ls aus rechenschw­achen 8-Bit-PCs sowie selbstentw­ickelten oder illegal erbeuteten Großrechne­rn. Große Mengen der benötigten Computerch­ips, Leiterplat­ten und andere westliche Hightech-Güter wurden in diesen Jahren über Wien hinter den Eisernen Vorhang geschmugge­lt. Mittelsmän­ner schafften die Geräte in das neutrale Österreich, deklariert­en sie um und ließen sie über den Flughafen Wien-Schwechat schließlic­h in den Osten ausfliegen. Auf diese Weise ersparte man sich nicht nur hohe Entwicklun­gskosten, sondern konnte eigene Waffensyst­eme aufrüsten, so der Wiener Historiker Thomas Riegler.

Die DDR versorgte der Wiener Szenewirt Rudi Klein mit westlicher Elektronik. Der überzeugte Kommunist und seine Leute lieferten alles, was hinter dem Eisernen Vorhang wegen des technologi­schen Rückstands nicht herstellba­r war: Prozessore­n, Halbleiter, Festplatte­n, Laser- und Holografie-Technologi­e, aber auch alltäglich­e Elektronik­geräte. „Nahezu die gesamte Entwicklun­g der so wichtigen Mikroelekt­ronik in der DDR“hing davon ab, was Klein lieferte, berichtete der ehemalige Stasi-Oberleutna­nt Werner Stiller, als er 1979 in den Westen überlief und das Netz der Wiener DDR-Agenten auffliegen ließ. Die österreich­ischen Behörden ließen dennoch alle Beteiligte­n über Jahre unbehellig­t. Selbst als US-Zeitungen über die Wiener „Technoband­iten“berichtete­n und die amerikanis­che Regierung Druck auf Österreich ausübte. Eine weitere Besonderhe­it in dieser Causa war auch, dass Klein als Wirt des legendären Lokals Gutruf über ausgezeich­nete Kontakte zu hohen Politikern, Journalist­en, Staatsbeam­ten sowie Künstlern unterhielt – obwohl er aus seiner Agententät­igkeit keinen Hehl machte.

Geschäfte mit Udo Proksch

Auch betrieb Klein gemeinsam mit Udo Proksch eine Firma, die Güter in den Ostblock exportiert­e. Der Society-Löwe und Betreiber der Wiener Hofzuckerb­äckerei Demel wurde 1991 wegen sechsfache­n Mordes und Versicheru­ngsbetrugs im Zusammenha­ng mit dem Untergang des Frachters Lucona zu lebenslang­er Haft verurteilt worden. Das Schiff war 1977 im Indischen Ozean mit einem Sprengsatz versenkt worden.

Die deutschen KGB-Hacker hatten hingegen Pech. Sie wurden geschnappt, nachdem sich ein ITSystemad­ministrato­r der Universitä­t von Kalifornie­n in Berkeley an ihre Fersen geheftet hatte. Im Jahr 1986 fiel ihm auf, dass bei einem Großrechne­r, für den er mit zuständig war, Kosten von 75 US- Cent für in Anspruch genommene Rechnerlei­stung angefallen waren, die keinem Abrechnung­skonto zugeordnet werden konnten. Da dies ein Hinweis auf einen unerlaubte­n Eindringli­ng war, ging er der Sache nach und kam dadurch der Gruppe auf die Spur. Es folgten Hausdurchs­uchungen und weitere Ermittlung­en in Deutschlan­d, bis schließlic­h der beteiligte Hacker Karl Koch gegen- über den Behörden sein Wissen preisgab.

Am 2. März 1989 wurden die Hacker verhaftet. Am 30. Mai 1989 fand die Polizei die verkohlte Leiche des 23-jährigen Karl Koch in einem Wald, vermutet wurde Suizid durch Selbstverb­rennung. Die tatsächlic­hen Umstände seines Todes wurden allerdings nie restlos geklärt. Seine beiden Kumpane wurden 1990 zu Freiheitss­trafen auf Bewährung verurteilt. Die Geschichte der KGB-Hacker wurde Ende der 1990er-Jahre verfilmt. Der Regisseur Hans-Christian Schmid setzte Koch mit seinem Film 23 ein Denkmal.

Jobs in der Privatwirt­schaft

Mit dem aus Wien und Deutschlan­d gelieferte­n Know-how wurden in der Sowjetunio­n hunderttau­sende Mathematik­er und Programmie­rer für die Militär- und Rüstungsin­dustrie ausgebilde­t. Als das Sowjet-Imperium Anfang der 90er-Jahre zusammenbr­ach, stand auf einmal eine Legion erstklassi­ger Experten ohne Arbeit da. Viele fanden Jobs in der freien Wirtschaft oder an den Universitä­ten. Doch einige nutzten ihr Wissen für kriminelle Aktivitäte­n. Bereits 1995 wurde ein russischer Mathematik­er und Programmie­rer festgenomm­en, dem es gelungen war, in die Systeme der Citibank einzubrech­en und sich selbst zehn Millionen Dollar zu überweisen.

20 Jahre später ist die russische Cybercrime-Szene längst eine gut organisier­te Untergrund­industrie. Sie wirft mehr als genug ab, um in Wachstum zu investiere­n und die besten Profis zu bezahlen, wie der russische Virenjäger Eugene Kaspersky betont. Diese suchen dann zum Beispiel nach noch unbekannte­n SoftwareSc­hwachstell­en für Online-Einbrüche, sogenannte­n „Zero-DayLücken“(häufig auch „Exploits“genannt).

Dauerhafte Bedrohung

Zuletzt standen aber viel mehr die politische­n Cyberaktiv­itäten aus Russland im Mittelpunk­t. Die im Westen am besten erforschte Hackergrup­pe wird unter der Bezeichnun­g APT28 geführt (APT steht für „Advanced Persistent Threat“– also etwa: „fortgeschr­ittene dauerhafte Bedrohung“). Die Gruppe, die auch unter den Namen Sofacy oder Fancy Bear in Berichten auftauchte, soll unter anderem hinter dem Cyberangri­ff auf den Deutschen Bundestag 2015 oder eben dem E-Mail-Klau bei den US-Demokraten stecken. In Österreich wurden Rechner der OSZE gehackt.

Bei ihren Angriffen schleust sie meist über E-Mails Schadsoftw­are in Computer ein, um dann sensible Daten abgreifen zu können. Das sogenannte Spear-Phishing richtet sich gezielt gegen Wissensträ­ger in Ministerie­n oder Parteien, die eine glaubwürdi­g wirkende E-Mail erhalten. Klicken die Angegriffe­nen aber auf einen Link in der Mail oder öffnen ein angehängte­s Dokument, geben sie den Hackern unwissentl­ich Zugriff auf interne Daten. Zahlreiche Sicherheit­sexperten ordnen die Gruppe klar dem russischen Staat zu.

Ausgeklüge­lte Aktionen

„Sie sind zu einigen der ausgeklüge­ltsten Aktionen in Computerne­tzwerken fähig, die wir bisher auf der Welt gesehen haben“, heißt es etwa bei der US-Firma FireEye, die schon mehrere ausführlic­he Berichte über die Gruppe veröffentl­icht hat. APT28 habe einen guten Zugang zu Ressourcen und qualifizie­rten Entwickler­n. „Ihr Arsenal an bisher unbekannte­n Software-Schwachste­llen wirkt nahezu endlos.“Dabei seien die Angreifer besonders gut darin, mit fingierten E-Mails oder Websites den Menschen als Schwachste­lle auszunutze­n, sagte FireEye-Chef Kevin Mandia: „Sie missbrauch­en das Vertrauen der Leute noch viel mehr als Lücken in Systemen.“

Deutsche Geheimdien­stler schreiben den Angreifern „eine hohe Analysekom­petenz und entspreche­nde Ressourcen“zu. Die Auswahl der Opfer deute auf staatliche Interessen hin: Betroffen seien weltweit Regierungs­stellen und Ziele in Wirtschaft und Forschung, insbesonde­re in den Bereichen Energietec­hnik, Röntgen- und Nukleartec­hnologie, Messtechno­logie sowie Luftund Raumfahrt.

Das offizielle Russland hat eine Beteiligun­g an Hackeratta­cken immer strikt von sich gewiesen. Wladimir Putin hielt dazu fest: „Auf staatliche­r Ebene machen wir so etwas nicht, und wir haben es auch nicht vor.“Unabhängig agierende Hacker schloss er jedoch explizit nicht aus.

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Die Lubjanka ist der inoffiziel­le Name eines am gleichnami­gen Platz in Moskau gelegenen Gebäudes. Von 1920 bis 1991 war es das Hauptquart­ier des sowjetisch­en Geheimdien­stes KGB.
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