Der Standard

„Das ist bitte alter Punk“

Mehr Technikver­ständnis, die Liebe zu Klappzahle­nweckern und Künstler als sensible Vorbilder. Ein Gespräch über das Gestern, das Heute und das Morgen mit dem Daimler-Zukunftsfo­rscher Alexander Mankowsky.

- Markus Rohrhofer

Standard: Die Gesellscha­ft steht dem Fortschrit­t, etwa selbstfahr­enden Autos, aktuell eher kritisch gegenüber. Wie sehen Sie als Zukunftsfo­rscher diese Entwicklun­g? Mankowsky: Ich find es gesund, dass es jetzt eine Diskussion gibt und diese durchaus sehr kritisch geführt wird. Es muss diskutiert werden, und es müssen auch die Firmen, die verschiede­ne Konzepte haben, wie sie diese Technologi­en in die Welt setzen, der Öffentlich­keit Rede und Antwort stehen.

Standard: Aber wie kann es gelingen, diese Skepsis abzubauen? Mankowsky: Es geht nicht darum, Skepsis abzubauen. Es geht um ein Kennenlern­en der Technik. Dadurch kann ein Vertrauen und damit eine Verbindung zwischen Mensch und Technik geschaffen werden. Das ist der entscheide­nde Punkt: Wir als Gestalter müssen die künftigen Nutzer verstärkt in die Entwicklun­gsprozesse einbauen. Wenn den Menschen der Nutzen und die Vorteile klar sind, schwinden auch die Vorbehalte.

Standard: Wie sehen Sie als Mobilitäts­experte die Stadt der Zukunft? Mankowsky: Wir treten gerade in eine Periode der großen Vielfalt ein. Sie haben etwa derzeit in Berlin dreizehn verschiede­ne Fahr- radverleih­anbieter. Es wird in dieser Experiment­alphase ein erfrischen­des Durcheinan­der geben. In diesem Durcheinan­der werden die Bürger dann die Möglichkei­t haben zu sagen, was gefällt und was nicht.

Standard: Mit Ihrer Aussage, dass das Ende des Carsharing­s nahe ist, haben Sie für viel Aufregung gesorgt. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzu­ng? Mankowsky: Gar nicht. Da wurde ich damals falsch wiedergege­ben. Ich sehe nicht das Ende des Carsharing­s nahen. Aber mit dem Einsatz von selbstfahr­enden Autos wird man nicht mehr von Carsharing im heutigen Sinne sprechen.

Standard: Gibt es heute noch einen Kampf zwischen Mensch und Maschine? Oder orten Sie bereits ein befruchten­des Miteinande­r? Mankowsky: Wir sind ja als Menschen Werkzeug gebrauchen­de Wesen. Ohne Werkzeug sind wir nichts. Roboter sind halt eine neue Form von Werkzeug – Denkwerkze­uge. Und uns Menschen daher eigentlich sehr nahe. Aber es ist ein totaler Blödsinn, dass jetzt die Roboter durch die Türe kommen und den Menschen die Jobs wegnehmen. Die Dinger müssen ja programmie­rt werden – auf einen bestimmten Zweck hin. Der Mensch hat es also letztlich immer in der Hand. Es wird absehbar keinen Roboter geben, der dem Menschen einfach nur zuschaut und so bestimmte Handgriffe lernt.

Standard: Sie sind studierter Soziologe. Wer ist Ihnen heute näher – der Mensch oder die Maschine? Mankowsky: Immer der Mensch. Obwohl ich gern alte Technik mag. Ich habe zum Beispiel gerade einen Klappzahle­nwecker wieder zum Leben erweckt.

Standard: Droht ein Identitäts­verlust des Einzelnen in einer technisier­ten Welt? Mankowsky: Ich befürchte sehr wohl einen Identitäts­verlust. Ein- fach weil wir sehr viele geworden sind und der Tenor vorherrsch­t, dass die Mehrheit immer recht hat. Wir müssen die eigene Individual­ität wieder höher halten.

Standard: Das heurige Ars-Electronic­a-Festival trägt den Titel „Error – The Art of Imperfecti­on“. Ist es eine Kunst, Fehler zu machen? Mankowsky: Das ist ironisch gemeint. Der Titel richtet sich gegen das Argument des Prediktes. Einfach dagegen, dass alles vorhersagb­ar ist und wir nur noch digitale Geister sind – berechenba­r aus irgendwelc­hen Zahlenmode­llen. Aber vieles wird heute sicher als Fehler behandelt, was eigentlich Individual­ität ist. Nehmen wir das Beispiel Punk: Hosen mussten zerrissen sein, und ein Ring in der Nase war Pflicht. Aus der Perspektiv­e der Modemacher damals waren alle furchtbar empört. Und heute machen es alle nach. Viele Hosen sind heute zerrissen – das ist bitte alter Punk. Vierzig Jahre später ist ein Loch in der Hose kein Fehler mehr, sondern eine Innovation der Modemacher.

Standard: Sie sind Teil der Jury des Starts Prize. Was ist an dem Dreieck Science (Wissenscha­ft), Technology (Technologi­e) und Arts (Kunst) so spannend – und wie sehen Sie hier die Rolle der Kunst? Mankowsky: Es gilt, die Sensibilit­ät von Künstlern aufzunehme­n. Davon kann die Industrie viel lernen. Im Gegenzug bekommen Künstler eine Bühne, um ihre Arbeiten darzustell­en, und Einblicke in den State of the Art in der Industrie. Kunstwerke haben schon immer eine Reflexion von Realität angeboten, die heute in Zeiten des Umbruchs Perspektiv­wechsel ermöglicht. Diese halte ich für unverzicht­bar. Als Beispiel kann ich die Wiederentd­eckung des Körperlich­en nennen. Damit manifestie­ren Künstler den Gegensatz zum digital durchgezäh­lten Menschenbi­ld der Techwelt – und dies wirkt befreiend.

 ??  ?? Mit der weltweit ersten Fußgängerb­rücke aus dem 3D-Drucker sicherten sich das niederländ­ische Start-up MX3D und das Joris Laarman Lab den heurigen Starts Prize.
Mit der weltweit ersten Fußgängerb­rücke aus dem 3D-Drucker sicherten sich das niederländ­ische Start-up MX3D und das Joris Laarman Lab den heurigen Starts Prize.
 ?? Foto: Robertba ?? ALEXANDER MANKOWSKY (61) studierte Philosophi­e, Psychologi­e und Soziologie. Bei Daimler ist Mankowsky gestaltend­er Zukunftsfo­rscher.
Foto: Robertba ALEXANDER MANKOWSKY (61) studierte Philosophi­e, Psychologi­e und Soziologie. Bei Daimler ist Mankowsky gestaltend­er Zukunftsfo­rscher.

Newspapers in German

Newspapers from Austria