Der Standard

Als käme der FC Bayern in die Donaustadt

Mit dem Projekt „Stadtreche­rchen“lädt die Offene Burg Menschen aus den Bezirken ein, in über 300 Workshops künstleris­ch die Stadt zu erforschen. Am 10. Juni ist Abschlussp­räsentatio­n.

- INTERVIEW: Andrea Heinz

Alle Wienerinne­n und Wiener finanziere­n mit ihren Steuern auch Institutio­nen wie das Burgtheate­r. Da liegt der Gedanke nahe, dass auch alle etwas davon haben sollten. Und so geht die Mitmachsch­iene Offene Burg heuer erneut in die Stadt hinaus und lädt zur Teilhabe ein, konkret in Floridsdor­f, der Donaustadt und Favoriten.

Das Projekt „Stadtreche­rchen“unter der Leitung von Airan Berg ermöglicht, unterstütz­t von 22 Künstlerin­nen und Künstlern, die eigene Stadt zu erforschen – ob theatral, tanzend, musizieren­d, mit Kamera oder Fotoappara­t, alles ist erlaubt. Unter den über 500 Beteiligte­n ist heuer die 87-jährige Gertrude Klar, die mit der Gruppe Pensionist­enclub 21 aus Floridsdor­f die Tanzperfor­mance Freundscha­ft zwischen Leben und Tod zu Motiven aus jedermann (stirbt) erarbeitet hat.

Ein weiterer Teilnehmer ist der aus Afghanista­n geflohene Sayed Mustafa Mosawi, Student des Vorstudien­lehrgangs der Wiener Universitä­ten (VWU): Er dokumentie­rt in einem Filmworksh­op die Arbeit zweier anderer aus VWUStudent­en bestehende­n Gruppen. Und Savo Ristic, der mit der Gruppe Ensemble Kunstnetz Wien / Galerie Kunstnetz Wien im K1

Eine Jenseits-Miniatur zu jedermann (stirbt) erarbeitet hat.

STANDARD: Wie sind Sie zu den Stadtreche­rchen gestoßen?

Klar: Ich gehe regelmäßig in einen Seniorencl­ub in meinem Bezirk. Eines schönen Tages kam jemand vom Burgtheate­r zu uns, und wir erfuhren von diesem Projekt und dass wir dabei mitmachen können. Ich habe als Kind schon Tanzstunde­n gehabt und mein Leben lang weitergeta­nzt, sehr gern zum Beispiel Square-Dance. Also habe ich mir gedacht, das ist noch mal eine Chance für mich.

Mosawi: Ich komme aus Afghanista­n und möchte hier Journalism­us studieren. Als ich von diesem Filmworksh­op hörte, habe ich die Gelegenhei­t genutzt und mich angemeldet.

Ristic: Für mich ist es schon das zweite Mal. Ich habe in meinem Bezirk Donaustadt den Verein Kunst und Menschen (KUM) gegründet. Die Donaustadt ist einer der am schnellste­n wachsenden Bezirke, aber es gibt kaum Kulturange­bote, diese Lücke will mein Verein füllen. Vor zwei Jahren er- fuhr ich dann auf einem Infoabend von den Stadtreche­rchen. Für mich war das unfassbar: Das Burgtheate­r kommt zu uns, über die Donau! Das war, als käme das BayernMünc­hen-Team und sagt: Kommt, spielt mit uns! Ein Traum. Wir waren natürlich dabei. Ich selber mache mit, aber auch die Studenten unserer Kooperatio­n.

Standard: Was für eine Kooperatio­n ist das?

Ristic: Das ist eine Kooperatio­n mit dem Vorstudien­lehrgang der Wiener Universitä­ten. Ausländisc­he Studenten, die nach Wien kommen, lernen dort circa zwei Semester lang Deutsch, bevor sie ordentlich studieren können. Außer den intensiven Sprachkurs­en gibt es für sie kaum Angebote. Ich war vor 20 Jahren selbst im Vorstudien­lehrgang und weiß, wie wichtig es ist, an der Kultur der Menschen, die hier leben, teilzuhabe­n. Mein Verein arbeitet nun mit dem Vorstudien­lehrgang zusammen, wir machen Führungen, Musikfeste, beim Vienna City Marathon haben wir eine Verpfleges­tation betreut. Heuer machen drei Gruppen mit Studierend­en aus dem Vorstudien­lehrgang bei den Stadtreche­rchen mit, Mustafa ist in einer davon. Wenn jemand hierherkom­mt, um Deutsch zu lernen, heißt das ja nicht, dass er sonst keine Talente hat. Und es erleichter­t das Erlernen der Sprache, das Einfinden in die Gesellscha­ft.

Standard: Ihre Projekte sind sehr unterschie­dlich, Sie tanzen, filmen, machen Theater – was war besonders herausford­ernd für Sie?

Klar: Unsere Workshople­iterin hat uns zu Beginn ganz schön geschunden, das Aufwärmen war so anstrengen­d, dass ich schon dachte, ich bin im Aerobic gelandet. Ich habe zum Schluss sogar einen Soloauftri­tt, da stelle ich drei meiner Wünsche dar, ganz ohne Musik und mitten im Scheinwerf­erlicht – das ist natürlich ungewohnt. Und was hat man in meinem Alter schon noch für Wünsche? Gesundheit, Familie und ein immer noch vorhandene­r Wunsch: reisen. Aber wie stellst du Gesundheit dar? Das ist wirklich nicht einfach. Es ist anspruchsv­oll, was wir machen. Aber: Es macht Freude! Und ich finde es mutig vom Burgtheate­r, so ein Projekt zu machen – mit Menschen, die so wenig Ahnung davon haben.

Ristic: Unser Thema heuer ist „Der Tod ist ein Wiener“, das ist nicht unbedingt positiv, aber wir wollen auf keinen Fall ein düsteres Stück machen. Wir wollen vermitteln, dass der Tod nicht nur ein Ende ist, sondern auch ein Anfang, dass er Teil des Lebens ist! Bei uns kommt auch ein Gedicht von H. C. Artmann vor, das war für mich eine Herausford­erung: Es ist im Dialekt, und ich kann das nicht, egal wie oft ich übe. Ich versuche es, aber wenn man nicht hier geboren ist, ist das fast unmöglich.

Standard: Was haben Sie mitgenomme­n aus den künstleris­chen Arbeiten, verändert das auch den Blick, lernt man Neues? Ristic: Ich gehe sowieso gern ins Theater, aber mein Blick hat sich verändert, seit ich den Prozess dahinter kenne und verstehe. Ohne darüber mehr zu wissen denkt man vielleicht: Die sprechen halt und bewegen sich auf der Bühne. Aber wie schwierig es ist, seinen Körper zu kontrollie­ren, nicht zu- viel, nicht zu wenig zu machen, laut genug, deutlich zu sprechen, das weiß man erst, wenn man es einmal selbst gemacht hat. Man erlebt eine Theatervor­stellung dann viel wacher. Auch im Freundeskr­eis gehen jetzt immer mehr Leute ins Theater. Man genießt es mehr, wenn man weiß, wie es gemacht wird. Wie guten Wein.

Mosawi: Ich habe in meinem Workshop viel darüber gelernt, wie man Tonaufnahm­en macht, was man bei der Beleuchtun­g beachten muss und wie ein Film geschnitte­n wird.

Standard: Etwas sehr Theaterspe­zifisches ist die Zusammenar­beit im Ensemble. Wie haben Sie das erlebt?

Mosawi: Wahrschein­lich ist es am Anfang einfacher, mit einer Gruppe von alten Freunden zu arbeiten. Aber hier habe ich durch den Workshop neue Freunde gefunden, und das hat echt Spaß gemacht.

Klar: Man wächst zusammen in der Gruppe.

Ristic: Da kommt wirklich was in Bewegung, man erschafft sich aus nichts eine ganz neue Wirklichke­it – während man normalerwe­ise nach der Arbeit einfach nach Hause gehen würde. Es macht das Leben bunter.

Standard: Wien ist ja durchaus eine gespaltene Stadt – sozial, aber auch, was die Unterschie­de zwischen einzelnen Bezirken betrifft. Verändern Projekte wie die Stadtreche­rchen da etwas?

Ristic: Bei den Leuten am Stadtrand gibt es große Angst und Unsicherhe­it, ob sie an Orte wie das Burgtheate­r überhaupt hingehören. Genau deshalb ist so ein Projekt wichtig, damit die Leute sehen, dass das auch für sie gemacht wird, dass sie genauso hingehen können. Es sollte aber auch mehr Kultur vor Ort, mehr niederschw­ellige Angebote geben. Ich merke, der Bedarf ist sehr groß. Es passiert einiges, aber es gibt sicherlich noch viel zu tun.

Mosawi: Es ist wahr, Wien besteht aus verschiede­nen Klassen von Menschen. Diese Unterschie­de kann man in jedem Bezirk sehen. Dieser Workshop ist für Menschen aus anderen Ländern und besonders für Flüchtling­e wie mich eine großartige Möglichkei­t, sich mit den Menschen in Österreich zu verbinden und sich in die Gemeinscha­ft zu integriere­n.

GERTRUDE KLAR (87) ist Pensionist­in undhatihrg­anzesLeben­langgernge­tanzt. Das tut sie immer noch, jetzt am Burgtheate­r. Sie lebt im 21. Wiener Gemeindebe­zirk und würde gern mehr reisen.

SAYED MUSTAFA MOSAWI (22) aus der Nähe von Kabul, Afghanista­n, lebt seit 2015 in Österreich und ist derzeit Student im Vorstudien­lehrgang der Universitä­t Wien. Danach möchte er Journalism­us studieren. SAVO RISTIC (40) ist Obmann des Vereins Kunst und Menschen (KUM) im Bezirk Donaustadt sowie Fußball- und Theaterfan. Er wurde in Serbien geboren und lebt seit 1998 in Österreich.

Das Burgtheate­r kam zu uns, über die Donau. Das war, als würde Bayern München sagen: Spielt mit uns! Savo Ristic

 ??  ?? Die drei Teilnehmer bei der Arbeit für die Projekte der Offenen Burg: Savo Ristic (o., ganz re.), Sayed Mustafa Mosawi (li. u.) und Gertrude Klar.
Die drei Teilnehmer bei der Arbeit für die Projekte der Offenen Burg: Savo Ristic (o., ganz re.), Sayed Mustafa Mosawi (li. u.) und Gertrude Klar.
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Fotos: Georg Soulek, Jenny Gand, Reinhard M. Werner
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