Als käme der FC Bayern in die Donaustadt
Mit dem Projekt „Stadtrecherchen“lädt die Offene Burg Menschen aus den Bezirken ein, in über 300 Workshops künstlerisch die Stadt zu erforschen. Am 10. Juni ist Abschlusspräsentation.
Alle Wienerinnen und Wiener finanzieren mit ihren Steuern auch Institutionen wie das Burgtheater. Da liegt der Gedanke nahe, dass auch alle etwas davon haben sollten. Und so geht die Mitmachschiene Offene Burg heuer erneut in die Stadt hinaus und lädt zur Teilhabe ein, konkret in Floridsdorf, der Donaustadt und Favoriten.
Das Projekt „Stadtrecherchen“unter der Leitung von Airan Berg ermöglicht, unterstützt von 22 Künstlerinnen und Künstlern, die eigene Stadt zu erforschen – ob theatral, tanzend, musizierend, mit Kamera oder Fotoapparat, alles ist erlaubt. Unter den über 500 Beteiligten ist heuer die 87-jährige Gertrude Klar, die mit der Gruppe Pensionistenclub 21 aus Floridsdorf die Tanzperformance Freundschaft zwischen Leben und Tod zu Motiven aus jedermann (stirbt) erarbeitet hat.
Ein weiterer Teilnehmer ist der aus Afghanistan geflohene Sayed Mustafa Mosawi, Student des Vorstudienlehrgangs der Wiener Universitäten (VWU): Er dokumentiert in einem Filmworkshop die Arbeit zweier anderer aus VWUStudenten bestehenden Gruppen. Und Savo Ristic, der mit der Gruppe Ensemble Kunstnetz Wien / Galerie Kunstnetz Wien im K1
Eine Jenseits-Miniatur zu jedermann (stirbt) erarbeitet hat.
STANDARD: Wie sind Sie zu den Stadtrecherchen gestoßen?
Klar: Ich gehe regelmäßig in einen Seniorenclub in meinem Bezirk. Eines schönen Tages kam jemand vom Burgtheater zu uns, und wir erfuhren von diesem Projekt und dass wir dabei mitmachen können. Ich habe als Kind schon Tanzstunden gehabt und mein Leben lang weitergetanzt, sehr gern zum Beispiel Square-Dance. Also habe ich mir gedacht, das ist noch mal eine Chance für mich.
Mosawi: Ich komme aus Afghanistan und möchte hier Journalismus studieren. Als ich von diesem Filmworkshop hörte, habe ich die Gelegenheit genutzt und mich angemeldet.
Ristic: Für mich ist es schon das zweite Mal. Ich habe in meinem Bezirk Donaustadt den Verein Kunst und Menschen (KUM) gegründet. Die Donaustadt ist einer der am schnellsten wachsenden Bezirke, aber es gibt kaum Kulturangebote, diese Lücke will mein Verein füllen. Vor zwei Jahren er- fuhr ich dann auf einem Infoabend von den Stadtrecherchen. Für mich war das unfassbar: Das Burgtheater kommt zu uns, über die Donau! Das war, als käme das BayernMünchen-Team und sagt: Kommt, spielt mit uns! Ein Traum. Wir waren natürlich dabei. Ich selber mache mit, aber auch die Studenten unserer Kooperation.
Standard: Was für eine Kooperation ist das?
Ristic: Das ist eine Kooperation mit dem Vorstudienlehrgang der Wiener Universitäten. Ausländische Studenten, die nach Wien kommen, lernen dort circa zwei Semester lang Deutsch, bevor sie ordentlich studieren können. Außer den intensiven Sprachkursen gibt es für sie kaum Angebote. Ich war vor 20 Jahren selbst im Vorstudienlehrgang und weiß, wie wichtig es ist, an der Kultur der Menschen, die hier leben, teilzuhaben. Mein Verein arbeitet nun mit dem Vorstudienlehrgang zusammen, wir machen Führungen, Musikfeste, beim Vienna City Marathon haben wir eine Verpflegestation betreut. Heuer machen drei Gruppen mit Studierenden aus dem Vorstudienlehrgang bei den Stadtrecherchen mit, Mustafa ist in einer davon. Wenn jemand hierherkommt, um Deutsch zu lernen, heißt das ja nicht, dass er sonst keine Talente hat. Und es erleichtert das Erlernen der Sprache, das Einfinden in die Gesellschaft.
Standard: Ihre Projekte sind sehr unterschiedlich, Sie tanzen, filmen, machen Theater – was war besonders herausfordernd für Sie?
Klar: Unsere Workshopleiterin hat uns zu Beginn ganz schön geschunden, das Aufwärmen war so anstrengend, dass ich schon dachte, ich bin im Aerobic gelandet. Ich habe zum Schluss sogar einen Soloauftritt, da stelle ich drei meiner Wünsche dar, ganz ohne Musik und mitten im Scheinwerferlicht – das ist natürlich ungewohnt. Und was hat man in meinem Alter schon noch für Wünsche? Gesundheit, Familie und ein immer noch vorhandener Wunsch: reisen. Aber wie stellst du Gesundheit dar? Das ist wirklich nicht einfach. Es ist anspruchsvoll, was wir machen. Aber: Es macht Freude! Und ich finde es mutig vom Burgtheater, so ein Projekt zu machen – mit Menschen, die so wenig Ahnung davon haben.
Ristic: Unser Thema heuer ist „Der Tod ist ein Wiener“, das ist nicht unbedingt positiv, aber wir wollen auf keinen Fall ein düsteres Stück machen. Wir wollen vermitteln, dass der Tod nicht nur ein Ende ist, sondern auch ein Anfang, dass er Teil des Lebens ist! Bei uns kommt auch ein Gedicht von H. C. Artmann vor, das war für mich eine Herausforderung: Es ist im Dialekt, und ich kann das nicht, egal wie oft ich übe. Ich versuche es, aber wenn man nicht hier geboren ist, ist das fast unmöglich.
Standard: Was haben Sie mitgenommen aus den künstlerischen Arbeiten, verändert das auch den Blick, lernt man Neues? Ristic: Ich gehe sowieso gern ins Theater, aber mein Blick hat sich verändert, seit ich den Prozess dahinter kenne und verstehe. Ohne darüber mehr zu wissen denkt man vielleicht: Die sprechen halt und bewegen sich auf der Bühne. Aber wie schwierig es ist, seinen Körper zu kontrollieren, nicht zu- viel, nicht zu wenig zu machen, laut genug, deutlich zu sprechen, das weiß man erst, wenn man es einmal selbst gemacht hat. Man erlebt eine Theatervorstellung dann viel wacher. Auch im Freundeskreis gehen jetzt immer mehr Leute ins Theater. Man genießt es mehr, wenn man weiß, wie es gemacht wird. Wie guten Wein.
Mosawi: Ich habe in meinem Workshop viel darüber gelernt, wie man Tonaufnahmen macht, was man bei der Beleuchtung beachten muss und wie ein Film geschnitten wird.
Standard: Etwas sehr Theaterspezifisches ist die Zusammenarbeit im Ensemble. Wie haben Sie das erlebt?
Mosawi: Wahrscheinlich ist es am Anfang einfacher, mit einer Gruppe von alten Freunden zu arbeiten. Aber hier habe ich durch den Workshop neue Freunde gefunden, und das hat echt Spaß gemacht.
Klar: Man wächst zusammen in der Gruppe.
Ristic: Da kommt wirklich was in Bewegung, man erschafft sich aus nichts eine ganz neue Wirklichkeit – während man normalerweise nach der Arbeit einfach nach Hause gehen würde. Es macht das Leben bunter.
Standard: Wien ist ja durchaus eine gespaltene Stadt – sozial, aber auch, was die Unterschiede zwischen einzelnen Bezirken betrifft. Verändern Projekte wie die Stadtrecherchen da etwas?
Ristic: Bei den Leuten am Stadtrand gibt es große Angst und Unsicherheit, ob sie an Orte wie das Burgtheater überhaupt hingehören. Genau deshalb ist so ein Projekt wichtig, damit die Leute sehen, dass das auch für sie gemacht wird, dass sie genauso hingehen können. Es sollte aber auch mehr Kultur vor Ort, mehr niederschwellige Angebote geben. Ich merke, der Bedarf ist sehr groß. Es passiert einiges, aber es gibt sicherlich noch viel zu tun.
Mosawi: Es ist wahr, Wien besteht aus verschiedenen Klassen von Menschen. Diese Unterschiede kann man in jedem Bezirk sehen. Dieser Workshop ist für Menschen aus anderen Ländern und besonders für Flüchtlinge wie mich eine großartige Möglichkeit, sich mit den Menschen in Österreich zu verbinden und sich in die Gemeinschaft zu integrieren.
GERTRUDE KLAR (87) ist Pensionistin undhatihrganzesLebenlanggerngetanzt. Das tut sie immer noch, jetzt am Burgtheater. Sie lebt im 21. Wiener Gemeindebezirk und würde gern mehr reisen.
SAYED MUSTAFA MOSAWI (22) aus der Nähe von Kabul, Afghanistan, lebt seit 2015 in Österreich und ist derzeit Student im Vorstudienlehrgang der Universität Wien. Danach möchte er Journalismus studieren. SAVO RISTIC (40) ist Obmann des Vereins Kunst und Menschen (KUM) im Bezirk Donaustadt sowie Fußball- und Theaterfan. Er wurde in Serbien geboren und lebt seit 1998 in Österreich.
Das Burgtheater kam zu uns, über die Donau. Das war, als würde Bayern München sagen: Spielt mit uns! Savo Ristic