Der Standard

Das neue Herz der Euroskepti­ker Die Koalition der Populisten in Italien stellt eine ernsthafte Bedrohung für das Projekt Europa dar. Sie wollen vom Rand aus die alten Führungsmä­chte isolieren. Der Kampf hat begonnen.

- Mark Leonard MARK LEONARD ist Direktor des European Council on Foreign Relation, einer Denkfabrik, die Analysen zu Themen europäisch­er Außenpolit­ik bereitstel­lt. © Project Syndicate 2018 Übersetzun­g: Angie Pieta

Sie versuchen uns mit den üblichen Erpressung­smitteln wie negativer Börsenentw­icklung, steigenden Risikozusc­hlägen und europäisch­en Drohungen aufzuhalte­n“, schrieb Italiens LegaNord-Parteivors­itzender Matteo Salvini auf Facebook. „Diesmal“, legte Salvini nach, „kommt es zu einer Veränderun­g.“

Nun hat er mit dem Führer der populistis­chen Cinque-Stelle-Bewegung Luigi Di Maio eine neue Regierung gebildet. Die Koalition von M5S und der Lega könnte für eine neue euroskepti­sche Bewegung stehen, die imstande wäre, Rache an den Finanzmärk­ten, der EU und den deutschen Steuerfalk­en zu nehmen.

Tatsächlic­h hat Salvini schon „Runde zwei“in der größeren Schlacht zwischen Italiens Populisten und dem europäisch­en Establishm­ent für eröffnet erklärt. „Runde eins“endete 2011, als Deutschlan­ds Bundeskanz­lerin Merkel und Frankreich­s Präsident Sarkozy Sorgen um den Finanzmark­t als Druckmitte­l verwendete­n, um Italiens Premier Berlusconi aus dem Amt zu hebeln. Seither steigt die Euroskepsi­s, insbesonde­re in Italien aufgrund der Frontposit­ion in der Flüchtling­skrise.

Italiens jüngstes Drama spielte sich vor dem Hintergrun­d politische­r Veränderun­gen quer durch Europa ab. Die Märkte wurden durch das Auftauchen eines Dokumenten­twurfs von M5S/Lega aufgeschre­ckt, der vorschlug, Europa solle zur Zeit vor der Einführung des Euro zurückkehr­en. Solche Berichte sollten aber mit Vorsicht gelesen werden. Sowohl M5S als auch die Lega verhielten sich bisher ambivalent gegenüber der Frage, wieweit sie die Anti-EuroAgenda forcieren sollen. Beide Parteien haben versichert, dass eine Diskussion über den Euro nicht auf dem Tisch liege.

Eine italienisc­he Regierung, die zwei sehr unterschie­dliche populistis­che Stränge kombiniert, stellt dennoch eine ernsthafte Bedro- hung für das Projekt Europa dar, da sie das Herz einer neuen Vereinigun­g von Euroskepti­kern und Populisten bilden könnte, die bisher getrennt agierten. Euroskepti­ker würden nicht mehr in unterschie­dliche Stämme rechter AntiEinwan­derungs-Politiker und linker Anti-Sparkurs-Politiker fragmentie­rt sein.

Sicher sind M5S und die Lega schräge Bettgefähr­ten. Das ist auch der Grund, warum sie anfänglich an der Bildung einer Regierung scheiterte­n, nachdem sie gemeinsam die Mehrheit bei den Wahlen am 4. März gewonnen hatten. Wenn sie aber erfolgreic­h regieren, könnte ihr Programm als Vorlage für Populisten in ganz Europa dienen. Man bedenke zum Beispiel die internatio­nale Agenda der Lega, die einen Kreuzzug gegen Einwanderu­ng und die Rückkehr zu traditione­lleren Werten befürworte­t. Dieselben Ideen, die Ungarns Premier Orbán antreiben.

M5S ist der Anti-Einwandere­rAgenda der Lega nicht abhold, und er würde sie noch erweitern, indem er andere EU-Mittelmeer­staaten unter einer Anti-Sparkursun­d Anti-Nordeuropa-Flagge versammeln würde. Obwohl Frankreich und Spanien wohl nicht teilnehmen würden, könnten es Griechenla­nd und andere Länder tun – und damit die EU-Politik schwer zerrütten.

Überdies geschieht alles im Schatten der 2019 stattfinde­nden EU-Parlaments­wahlen, an denen vermutlich eine Flut populistis­cher Parteien quer durch den Kontinent teilnehmen wird. Nichts wäre Europas Populisten lieber, als ein sich selbst hassendes Parlament zu erschaffen – eines, in dem die Mehrheit die Institutio­nen ablehnt, in denen sie dient.

Während die populistis­chen Kräfte sich mobilisier­ten, hat es der Mainstream auch getan, speziell seit Emmanuel Macrons elektrisie­rendem Sieg bei der französisc­hen Präsidents­chaftswahl. Ma- cron hat eine neue Denkweise über das europäisch­e Projekt eingeführt. Macrons Genialität ist, dass er traditione­lle Trennungsl­inien zwischen links und rechts und zwischen EU-Integratio­n und nationaler Souveränit­ät schlicht nicht akzeptiert.

Macron und Merkel haben versproche­n, innerhalb des nächsten Monats einen Entwurf für Reformen auf EU-Ebene zu präsentier­en. Eine der interessan­teren Ideen ist die eines „flexiblen Europa“, das eine Koalition von Mitgliedss­taaten ermöglicht­e, die den Weg in eine tiefere Integratio­n einschlage­n würden und gleichzeit­ig die Tür für die offen ließen, die später dazukommen wollen. Wenn Italien weiterhin den populistis­chen Weg geht, wird es sich selbst ausschließ­en.

Zwei EU-Kerne zur Wahl

Die große Frage für diese Ära der Geschichte Europas lautet, ob nun die Erneuerer aus dem Mainstream über die Populisten siegen werden. Das alt-neue franko-germanisch­e Tandem will den Kern Europas neu erfinden und schiebt die Euroskepti­ker an den Rand. Salvini und Di Maio wollen diesen Rand zum neuen Kern machen und dabei Europas Führungsmä­chte isolieren.

Überflüssi­g zu sagen, dass dieses Spiel lange dauern wird. Der Kern Europas hat die erste Runde gewonnen, als er Berlusconi erfolgreic­h durch Mario Monti ersetzt hat. Der Aufstieg des Populismus in Italien signalisie­rt, dass das möglicherw­eise ein Pyrrhussie­g gewesen sein könnte. Aber noch ist nicht alle Hoffnung verloren. Der Lichtstrei­f am Horizont des Erfolgs der Euroskepti­ker ist, dass die Proeuropäe­r aus ihrer Selbstzufr­iedenheit wachgerütt­elt wurden. Die Lebensfähi­gkeit beider Bewegungen steht vor dem Test, Italien macht den Anfang.

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Italiens neue Regierung fliegt voraus und vereint linke mit rechten populistis­chen Ideen: Die Frage lautet, ob es gelingen wird, mit erfolgreic­her Politik noch andere Länder auf ihren Weg zu ziehen.
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Foto: privat Mark Leonard: Italien ist ein Testfall für Europa.

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