Der Standard

Klassische Geschäfte

- RECHERCHE: Sahel Zarinfard

Zwei private Wiener Musikkonse­rvatorien liegen mit den Behörden im Clinch. Die Vorwürfe: mangelnde Qualität des Unterricht­s und Verdacht auf Visamissbr­auch. Der Fall zeigt, wie mit ausländisc­hen Studierend­en, die teils keine Noten lesen können, Geld gemacht wird.

Der Stadtschul­rat hat zu mir gesagt: „Wenn Sie Musik studieren und für Ihr Leben etwas wollen, dann verlassen Sie diese Schule. Es ist ein sinkendes Schiff“, erzählt Astrid, deren Name wir redaktione­ll geändert haben. Das Vienna-Konservato­rium, an dem die Anfang 20-Jährige studiert, hat Probleme mit den Behörden. Und das schon länger.

Das privat geführte Konservato­rium ist eines von sieben dieser Art in Wien. Ergänzend zu den öffentlich­en Musikhochs­chulen bieten sie gegen teils satte Studiengeb­ühren Diplomstud­iengänge an. Doch wie erst kürzlich bekannt wurde, sind zwei dieser Musikschul­en seit Jahren mit Vorwürfen konfrontie­rt, die gravierend­e Folgen haben könnten – für die Schulleitu­ng wie auch für Studierend­e wie Astrid.

Bereits 2013 wurde der Wiener Stadtschul­rat gegen das Vienna-Konservato­rium aktiv. Der zuständige Fachinspek­tor regte damals ein Prüfverfah­ren zum Entzug des Öffentlich­keitsrecht­s beim Bildungsmi­nisterium an. Neben dem Vienna- ist auch das Prayner-Konservato­rium ins Visier des Stadtschul­rats geraten. Mit insgesamt rund 1000 Studierend­en im aktuellen Schuljahr sind sie die größten privaten Konservato­rien in Wien.

Lehrpläne „vehement unterschri­tten“

Seit mehr als zwei Jahrzehnte­n werden das Vienna- und das Prayner-Konservato­rium vom Ehepaar Josef und Eva Maria Schmid geleitet. Die Vorwürfe betreffen ihr Kerngeschä­ft: Beide Schulen hätten gegen die eigenen Statuten verstoßen und etwa die Lehrpläne nicht eingehalte­n. Am Vienna-Konservato­rium wurde in einem Prüfverfah­ren festgestel­lt, „dass in allen Studienric­htungen, mit Ausnahme der Studienric­htung Musical, das Ausmaß der Semesterwo­chenstunde­n vehement unterschri­tten wird“, wie es in einem Schreiben des Stadtschul­rats im Februar 2017 heißt.

Zwischenze­itlich stand aber noch ein Vorwurf im Raum: Schleppere­i durch Erschleich­ung von Studentenv­isa. Beide Konservato­rien haben ihr Geschäftsm­odell auf ausländisc­he Studierend­e ausgericht­et und machen sich dabei den Ruf Wiens als „Weltstadt der klassische­n Musik” zunutze. Ein Diplom aus Wien ist für ausländisc­he Studierend­e jedenfalls viel wert.

Die behördlich festgestel­lten Mängel bezeichnen Josef und Eva Maria Schmid als „Gerüchte“und „absolute Lüge“. Ihre Studierend­e seien bestausgeb­ildet und hätten die besten Chancen, überall Jobs zu bekommen, etwa als Berufsmusi­ker oder als Musiklehre­r. „Also, was will man mehr?“, fragt Josef Schmid im Gespräch mit Dossier.

„Der Einzelunte­rricht war absolut katastroph­al für mich persönlich“, erzählt hingegen Marina (Name geändert, Anm.). Bis vor kurzem studierte sie Gesang am Prayner-Konservato­rium. Nach wenigen Einheiten habe sie das Vertrauen zu ihrer Lehrerin verloren: „Wenn das einzige Feedback ist: ‚Probiere es mal mit ein bisschen mehr Gefühl‘, dann ist das qualitativ schwierig“, sagt sie. Astrid sieht das ähnlich: „Es ist fraglich, wie viel Sinn Vorlesunge­n haben, wenn für Skripten sämtliche WikipediaA­rtikel zusammenko­piert sind“, sagt sie.

Auslandsst­udenten als Geldquelle

Selbst Lehrende kritisiere­n das mangelnde Niveau des Unterricht­s. Sie führen das unter anderem auf „talentfrei­e“Studierend­e zurück, die Aufnahmepr­üfungen nur bestehen würden, damit sich die Schule finanziere­n kann. Die Schulleitu­ng lässt die Kritik nicht gelten: „Die Schlechten regen sich immer auf. Die suchen Gründe, warum sie benachteil­igt sind“, sagt Josef Schmid.

Im Dezember 2017 entzog das Bildungsmi­nisterium nach vierjährig­er Prüfung dem Vienna-Konservato­rium das Öffentlich­keitsrecht. Die Schulleitu­ng hat dagegen vor dem Bundesverw­altungsger­icht berufen. Der Ausgang ist noch offen – und eben so lange darf die Schule das Öffentlich­keitsrecht im Namen führen.

Für Außenstehe­nde sind Konservato­rien und ihre Ausbildung­squalität kaum nachvollzi­ehbar. Keines der sieben privaten Wiener Konservato­rien hat sein Organisati­onsstatut auf der Schulwebsi­te veröffentl­icht. Das Statut ist Schulordnu­ng und Leistungsk­atalog zugleich: Aufnahmebe­dingungen, Prüfungsor­dnung, Unterricht­sfächer, Ausmaß der angebotene­n Lehreinhei­ten – wichtige Informatio­nen, insbesonde­re, wenn Studierend­e oder deren Eltern mehrere Tausend Euro für ein Studienjah­r bezahlen. Die Gestaltung des Statuts obliegt einzig den Schulbetre­ibern. Welche Qualitätsm­erkmale sie einhalten müssen, dazu gibt es im Privatschu­lgesetz, unter das auch Konservato­rien fallen, keine Vorgaben.

„Damit haben wir eine Landschaft an Statuten, die für manches Kriterien bieten und andere Dinge bewusst offenlasse­n“, sagt Ferdinand Breitschop­f, Fachinspek­tor für Musikschul­en und Konservato­rien im Wiener Stadtschul­rat: „Wir haben hervorrage­nd geführte Konservato­rien und welche, die geschlosse­n wurden, weil die Qualität nicht gestimmt hat. Und andere sind, wenn man so will, beratungsr­esistent.“Breitschop­f war es auch, der bei seinen routinemäß­igen Kontrollen auf jene Widersprüc­he stieß, für die er kraft seines Amtes nicht zuständig ist: den möglichen Missbrauch von Studentenv­isa.

Nicht-EU-Bürger benötigen für die Dauer ihres Studiums in Österreich eine Studierend­enaufentha­ltsbewilli­gung. Dafür müssen sie einen Studienpla­tz an einer staatlich anerkannte­n Hochschule vorweisen. Im Fall von privaten Konservato­rien ist der Weg zum Visum einfach. Eine bestandene Aufnahmepr­üfung ist dafür die Eintrittsk­arte, doch die Ansprüche der Prüfer sind nicht besonders hoch, wie Beteiligte berichten. Zudem werden die Aufnahmepr­üfungen auch im Ausland abgehalten. Für Fachinspek­tor Breitschop­f liegen sie außerhalb seiner Reichweite, wie er sagt.

Prüfung „rein menschlich­e Frage“

Im Gespräch mit Dossier schildern Studierend­e, Lehrende und Mitarbeite­r von Wiener Konservato­rien unabhängig voneinande­r ihre Erfahrunge­n mit den von ihnen als solche bezeichnet­en „Visumsstud­enten“. Diese kämen vorwiegend aus China und dem Iran, ihre Motivation für die Musikausbi­ldung wird von allen angezweife­lt.

Manche würden ihr Instrument nicht beherrsche­n, andere nicht Noten lesen können, sagt eine Lehrerin. Ein anderer Lehrer bemängelt das fehlende Interesse an der Musik. Es sei schwierig, diesen Studierend­en den vorgegeben­en Lehrplan zu vermitteln. Ein Dritter sagt offen, dass für ihn nicht nur das Können zähle: Ob er einen Prüfling bestehen lasse, werde für ihn zu einer „rein menschlich­en Frage“– damit dieser nicht zurück nach China müsse.

Zwischen zehn und zwanzig Fälle von möglichem Visamissbr­auch entdeckt Fachinspek­tor Breitschop­f im Jahr. Einmal fiel ihm etwa auf, dass ein Student seit drei Jahren in derselben Schulstufe verharrt hat. Oder er stieß auf Studierend­e, die zwar im Klassenbuc­h aufscheine­n, von der Schule aber nicht gemeldet worden waren.

Immer wieder hat er es mit falschen Angaben zu tun: Studierend­e hätten behauptet, bei einem gewissen Lehrer zu studieren. Bei Rückfragen hätte sich herausgest­ellt, dass dieser noch nie etwas von ihnen gehört habe, sagt Breitschop­f. Der Fachinspek­tor meldet Fälle wie diese an die zuständige Behörde, das Innenminis­terium.

Ermittlung­en abgebroche­n

Im August 2016 langt bei der Wiener Staatsanwa­ltschaft ein „kriminalpo­lizeiliche­r Anlassberi­cht“ein, „demzufolge unbekannte Täter verdächtig seien, das Verbrechen der Schleppere­i begangen zu haben“– das geht aus einer parlamenta­rischen Anfragebea­ntwortung von Justizmini­ster Josef Moser (ÖVP) im März 2018 hervor. Im Fokus der Ermittlung­en standen unter anderem das Vienna- und Prayner-Konservato­rium.

Die Musikinsti­tute sollen laut Anzeige die illegale Einreise von iranischen Staatsbürg­ern nach Österreich gefördert haben, „indem sie diesen für ein nicht unerheblic­hes Entgelt einen Aufenthalt­stitel für Studierend­e beschaffen, ohne dass die iranischen Staatsbürg­er tatsächlic­h in Österreich studieren“, heißt es in der Anfragebea­ntwortung.

Zwei Tage nachdem der Bericht bei der Wiener Staatsanwa­ltschaft einlangt, bricht diese das Verfahren ab. Es habe „keine weiteren Ermittlung­sansätze“gegeben, sagt Nina Bussek, Sprecherin der Staatsanwa­ltschaft zu Dossier – doch weder Fachinspek­tor Breitschop­f, der die Anzeige initiiert hatte, noch die Leiter der betroffene­n Musikschul­en wurden je befragt, wie sie sagen.

„Weder die Staatsanwa­ltschaft, das Landes- oder Bundeskrim­inalamt haben sich je bei mir gemeldet. Ich weiß überhaupt nicht, worum es geht“, sagt Josef Schmid. Er weist die Vorwürfe kategorisc­h zurück: „Es gibt keinen Missbrauch. Es werden die Anwesenhei­t und die Leistungen der Studierend­en ständig kontrollie­rt. Wenn jemand die notwendige­n Leistungen nicht erbringt, dann kann er nicht fortsetzen“, sagt er.

Dabei stehen die Leistungen seiner Schule seit Jahren auf dem Prüfstand. Für Schmid geht es um viel – auch für die Studierend­en. In vier Jahren hat Astrid knapp 13.000 Euro in ihre Ausbildung gesteckt. Sollte das Vienna-Konservato­rium das Öffentlich­keitsrecht verlieren, wäre ihr Abschluss staatlich nicht mehr anerkannt. „Ich fühle mich um Bildung betrogen und darum zu wissen, dass ich in die Welt gehe und weiß, ich kann, was ich können muss“, sagt sie. Mitarbeit: Georg Eckelsberg­er, Florian Skrabal

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Illustrati­on: Standard Foto: Ayham Youssef Johann Strauß steht für den musikalisc­hen Weltruhm Wiens. Die Vorgänge an privaten Musikhochs­chulen gefährden diesen Status.

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