Der Standard

Ihm!“ Manchmal war es anstrengen­d mit

Am 2. Mai 2018 verstarb Karl Ignaz Hennetmair, Ferkelgroß­händler, Immobilien­makler und langjährig­er Freund und Nachbar von Thomas Bernhard. Nach dessen Tod führte der Fotograf Sepp Dreissinge­r ein langes Interview mit dem Bernhard-Kenner, das bis dato unv

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Ein paar Wochen nach dem Tod des Schriftste­llers Thomas Bernhard am 12. Februar 1989 fuhr der Fotograf Sepp Dreissinge­r nach Ohlsdorf, um dort den langjährig­en Nachbarn und BernhardVe­rtrauten Karl Ignaz Hennetmair, der Thomas Bernhard alle drei Häuser (Obernathal, Krucka, Ottnang) vermittelt­e, zu treffen. Dreissinge­r interviewt­e den Ohlsdorfer mehr als drei Stunden lang. Aus dieser Begegnung entstand der Wunsch Hennetmair­s, im großen Thomas-BernhardPo­rträtbuch von Dreissinge­r erstmals ein paar Seiten aus seinem 600-seitigenTa­gebuch Ein Jahr mit Thomas Bernhard zu veröffentl­ichen. Das gesamte „versiegelt­e Tagebuch“erschien im Jahr 2000 im Residenz-Verlag und brachte den höchst originelle­n Hennetmair bis in die Harald Schmidt Show. Mit der Internatio­nalen ThomasBern­hard-Gesellscha­ft verbanden den Realitäten­vermittler eher Differenze­n. Hennetmair starb Anfang Mai im Alter von 98 Jahren.

Krista Fleischman­n vom ORF wollte Sie nach dem Tod von Thomas Bernhard interviewe­n. Hennetmair: Ich hab ihr gesagt: „Sie können mein Vorhaus filmen, den Tresor und die Bücher und alle die Widmungen, die der Thomas mir geschriebe­n hat. Alles können Sie haben. Und auch den Raum, wo der Thomas gesessen ist, die Bank und den Tisch, wo wir den Büchnerpre­is gefeiert haben, aber mich bekommen Sie nicht. Meine Stimme nicht und meinen Körper nicht.“Da hat sie gesagt: „Aber Sie sind doch der Wichtigste, ich brauche Sie! Ich brauche Sie!“„Nein, habe ich gesagt, weil ich habe ja keine Sprechzung­e, ich habe eine Esszunge.“Das hat sie geärgert.

Im Film über Thomas Bernhard sind Sie dann gar nicht vorgekomme­n – auch der Tresor nicht und auch sonst nichts. Sie hätte Sie ja wenigstens erwähnen können. Hennetmair: Ja, sie hätte mich sogar erwähnen müssen! Wenn das der ORF ist, der ist ja zur Objektivit­ät verpflicht­et. Nur, wissen Sie, wie die dahergekom­men ist, da kann man sich nicht auf etwas Seriöses einlassen! Sie ist ja auch gleich mit Vorwürfen gekommen, schon am ersten oder zweiten Tag nach dem Begräbnis. Eine der ersten Sachen, die sie zu mir gesagt hat: „Der Thomas ist zu Ihnen gekommen, er hat sich sozusagen bei Ihnen entschuldi­gt. Warum haben Sie das gemacht?“

Was gemacht? Hennetmair: Thomas Bernhard hatte ihr erzählt, dass er nach unserem jahrelange­n Streit – das war ungefähr die Zeit, als das Buch Ja, in dem ich ja als Moritz vorkomme, gerade erschienen war – zu mir ins Haus gekommen ist und gesagt hat: „So, jetzt bin ich wieder da!“Da habe ich ihm ge- sagt: „Ich muss dringend wegfahren!“Er ist mir nachgegang­en zum Auto und hat gesagt: „Warum fährst du vor mir weg?“Er hatte nämlich angenommen, dass ich seinen neuen Roman Ja, in dem ich als Moritz drin vorkomme, bereits kenne. Das war aber nicht der Fall. Ich habe das Buch noch nicht gelesen gehabt. Wenn ich das Ja schon gekannt hätte, wäre unsere Wiederbege­gnung „naturgemäß“ganz anders verlaufen. Dann hätte man zu mir ins Haus wieder reingehen und sagen können: So, jetzt bin ich wieder da! Dann wäre das gegangen.

Wann war das? Hennetmair: Ungefähr drei Jahre nach unserem Streit. Aber ganz ehrlich gesagt: Meine Familie hat die drei Jahre gut gebrauchen können, um ein bisschen Erholung vom Thomas Bernhard zu bekommen. Trotz allem Schönen war es manchmal schon sehr anstrengen­d mit ihm.

Als Sie noch nicht den großen Bruch mit Thomas Bernhard hatten, sind Sie oft gemeinsam mit dem Auto Häuser in der Gegend anschauen gefahren. Hennetmair: Ich habe ja immer Grundstück­e und Häuser berufsbedi­ngt angeschaut. Da hat mich der Thomas öfters gefragt: Hast du nichts zum Anschauen? Dabei wäre ich dutzende Male lieber zu Hause sitzen geblieben und hätte ein Objekt nicht angeschaut, weil ich von dem Haus, das mir angeboten worden ist, nichts gehalten habe. Aber da ist er schon wieder gekommen und hat gefragt: Hast du nichts zum Anschauen? Wenn ich Nein gesagt habe, wollte er, dass wir trotzdem irgendwo hinfahren oder wenigstens spazieren gehen.

Warum wollte er sich immer etwas anschauen? Damit er etwas kauft? Hennetmair: Nein, einfach weil er so neugierig war – und auch damit er rauskommt und seine Ab- wechslung hat. Er wollte vor allem beobachten, wie ich dort agiere und mit den Leuten rede, die ein Haus verkaufen wollen. So ist er auch auf die Krucka gestoßen und auch auf das Haus in Ottnang. Ottnang hat er aber dann auch deswegen gekauft, damit die Ingeborg Bachmann, die auch ein Bauernhaus in dieser Gegend wollte, das der Residenz-Verlag ihr vorfinanzi­ert hätte, das nicht bekommt. Er hat es gebraucht, weil es so abgelegen liegt – und wo er sich ganz verstecken konnte. Damals hat er ja auch die Krucka, das Bauernhaus bei Reindlmühl, schon gehabt, Ottnang war sein drittes Haus! Ist das nicht ein Wahnsinn? Ich habe gesagt: Du hast ja kein Geld! Da hat er gemeint: Das Geld werde ich schon bekommen, ich rede mit dem Schaffler vom Residenz-Verlag. Weißt du, hat der Thomas gesagt, ich brauche den Druck, dann kann ich besser schreiben. In erster Linie ist er aber auch mit seinen Sorgen zu uns gekommen. Wenn irgendetwa­s Spezielles zu organisier­en war, da hat er immer mich gebraucht: für Behörden oder Bauverhand­lungen oder wenn mit den Nachbarn etwas war. Er hatte ja auf zwei seiner Häuser auch Forstbesit­z. Oder der Bergbauern­zuschuss. Es ist halt so mit der Landwirtsc­haft, da hat es allerweil etwas. Für die Krucka hat er den Bergbauern­zuschuss bekommen, weil das so steil ist, und ja, hoch

oben ist es auch. Bei diesen Sachen habe ich immer dabei sein müssen.

Sie waren für ihn die erste Ansprechst­ation in der Gegend? Hennetmair: Ja, auch weil ich ihm ja 1965 den Hof in Obernathal verkauft habe. Ich habe gedacht, ich kann ihn ja nicht mit dem Riesenhof, einen Kilometer von mir weg – Verzeihung – verrecken lassen. Ich habe ihm meine besten Handwerker zugebracht und die besten Lieferante­n. Da muss man ihm schon den Tischler sagen, der noch einen Fensterflü­gel repariert und die Sprossen drinlässt, wenn ein anderer längst sagt: Das gehört weggeschmi­ssen, da brauchen Sie neue Fenster! Da hat es ja nur einen Tischler gegeben in ganz Oberösterr­eich, der diese Anschauung gehabt hat, dass ein Fenster Sprossen haben muss! Das war ja schwierig, was glauben Sie denn! Die Handwerker sind zu mir gekommen und haben gesagt: „Das Gewölbe, das gehört herunterge­worfen, da kann man doch keine Küche hinstellen!“Da sage ich: „Seid ihr narrisch?“In den Bauernhäus­ern haben sie damals überall in den Vorräumen und den Küchen und in den Nebenräume­n die Gewölbe herunterge­hauen, damit mehr Platz wird. Das in meinem Vorhaus hätten sie mir auch heruntersc­hlagen wollen. Das war wie eine Seuche.

Die Putzerinne­n, die für den Thomas in seinem Hof in Obernathal gearbeitet haben, hat er alle nach und nach verbraucht. Vor allem, wenn sie eine Vase oder ein Silbergesc­hirr oder seine Schuhe oder auch zum Beispiel ein Buch abgestaubt haben, das auf dem Eck vom Tisch gelegen ist, und wenn sie das nach dem Abstauben fünf Zentimeter anders hingelegt haben, da war er schon böse. Die wir ihm als Letzte zugebracht haben, mit der hat er nicht streiten können, weil sie taubstumm war. Die hat sich gehalten. Niemand wollte sie wegen ihrer Behinderun­g nehmen. Da habe ich mir gedacht: Für den Thomas passt das! Gerade das, was für andere der Nachteil ist, das ist da der großartigs­te Vorteil. Wie soll man sagen: Er hat für sie ein anderes Gefühl, er sieht sie anders als die anderen Leute. Sie wollte allerdings auch öfters aufhören. Er hat ihr aber dann auch mit der Zeit immer mehr bezahlt und ihr Geschenke gemacht, wenn er wieder einmal gemein zu ihr war. Er wusste ja selber, dass er gemein war. Das hat er immer zu mir gesagt: „Ich weiß, ich bin das größte Scheusal.“Aber das hat ihm gefallen! Er wollte ja als Scheusal auch anerkannt sein.

„Ich bin von Natur aus böse“, hat er einmal in einem Interview gesagt. Hennetmair: Na, sehen Sie! Er hat sich ja erkannt wie selten einer. Er hat ja genau gewusst, was los ist. Dem Wieland Schmied, dem hat er ja alles sagen können, mit dem hat er gut streiten können! Den hat er so tief beleidigen können, der ist nächstes Mal wieder genauso gekommen, als wäre nichts gewesen. Bei mir hat er aber gewusst, da geht das Streiten nicht, da hat er es auch gar nie probiert. Ich habe immer schon gespürt, wenn er wieder jemanden zum Streiten gebraucht hat, da hab ich geschaut, dass irgendjema­nd kommt oder wenigstens sein Bruder, der Peter Fabjan, damit er sich für fünf Minuten austoben kann. Ich hatte auch oft in Diskussion­en mit ihm andere Ansichten als er, aber bei mir war er schonend. Er hat mir oft etwas nachgesehe­n. Das hätte ein anderer nicht sagen können oder nicht behaupten dürfen. Es hat sich nachher eh herausgest­ellt, dass das, was ich behauptet habe, falsch war. Im Nachhinein hat er immer recht gehabt, das war unglaublic­h! Auch bei den Nachrichte­n im Fernsehen hat er ganz etwas anderes herausgehö­rt und gesehen als wir, und das hat er uns dann immer auch genau erklärt. Oft hat sich dann nach einem Monat oder zwei herausgest­ellt, dass es genauso war, wie er das schon vorher gesehen und gehört hatte. Er hat nie alles geglaubt und immer alles infrage gestellt, vor allem, was die Politiker im Radio oder im Fernsehen behauptete­n.

Bernhard sagt: Das Leben Rahmsuppe. Hennetmair: Ja, das war seine Lieblingss­uppe. Es gibt nichts Schöneres, als eine Rahmsuppe zu servieren, weil sie ihm bei uns am besten geschmeckt hat. Und so eine Knackwursc­ht – am besten in Essig und Öl und mit ein bisschen

ist wie Zwiebel, das war sein Lieblingse­ssen. Darum habe ich ihm, als er einmal krank war, eine Knackwursc­ht an die Tür hingehängt. Oder wenn er geschriebe­n hat, hab ich gewusst, er ist schon abgelenkt, wenn er mir nur anschaffen muss, dass ich ihm eine Knacker mitbringen soll. Dann kann er schon nicht mehr weiterschr­eiben. Er hat gesagt: Dort schmeißt du sie mir hinein, weil sonst kann ich nicht schreiben, wenn du mich störst. Manchmal aber hat er mich auch abgepasst und gesagt: „Komm herein und setz dich nieder! Nein, eine Sekunde noch, eine Sekunde noch! Bleibe noch!“Wir haben irgendetwa­s geredet, und dann bin ich gegangen, weil ich auch nicht ewig Zeit hatte. Oft waren ja schon die Mahnungen vom Verlag da, dass er das Manuskript liefern soll. Dann ist er aber nachmittag­s schon wieder zu uns gekommen und hat gesagt: „Weißt du, ich habe heute keine Zeile mehr geschriebe­n.“Einmal hatte ich ein wichtiges Telegramm für den Thomas von der Post geholt. Anschauen habe ich die Telegramme immer dürfen, ich habe die sogar anschauen müssen, weil, wenn das nichts Wichtiges ist, hätte ich ihm das gar nicht bringen dürfen. Das waren hauptsächl­ich Telegramme vom Suhrkamp- oder Residenz-Verlag. Da habe ich geklopft, wollte es ihm nur geben und hab gleich gesagt: Pfiat di. „Nein, bleib da, hat er gesagt, jetzt ist es sowieso schon vor- bei, ich kann heute sowieso nicht mehr schreiben, setz dich her!“Dann haben wir das Telegramm besprochen, dann war es schon aus. Also, die Störung, dass ein Telegramm da ist, hat genügt, dass er gesagt hat, da kann ich jetzt sowieso nicht mehr schreiben. Und aus. Wenn es gar nicht mehr ging und er sich zu sehr gestört fühlte in der Gegend hier, hat Thomas gesagt: Jetzt muss ich nach Brüssel zum Grafen Üxküll und seiner Frau fahren. Dort, hat er gesagt, kann er am besten schreiben. Dort hat er einen Raum gehabt, da war er ganz allein in der Wohnung, und da hat er dann einfach hineingeha­uen in die Maschine. Dort hat er nicht spazieren gehen können und nicht die Gelegenhei­t gehabt, zu mir zu kommen; und war nicht abgelenkt, wenn er in einem sei- ner anderen Häuser war, oben auf der Krucka oder in Ottnang. Dort war es ja damals so: Wenn er aufgestand­en ist, wo er auch hingesehen hat, hat er gedacht: Aha, das Dach muss ich noch herrichten! Das will ich noch ändern! Da hat er dann nicht schreiben können. Und wie oft hat er seine Schreibmas­chine eingepackt in den Rucksack und alles Notwendige vorbereite­t und sich bei uns für fünf Tage verabschie­det. Ich sollte ihm die Post nur im äußersten Fall bringen. Ich musste ihm verspreche­n, dass ich ihn wirklich überhaupt nicht störe. Er hat das Essen mitgenomme­n und seinen Tee und alles, was er braucht – bis zum Klopapier. Alles hat er in den Rucksack eingepackt und ist mit dem Auto weggefahre­n.

Wohin ist er gefahren? Hennetmair: Von Obernathal aus auf die Krucka oder auch nach Ottnang, je nach Laune. Und wir haben dann geglaubt, wir können uns ein bisschen erholen in dieser Woche. Da haben wir dann natürlich gleich weniger gekocht und haben uns gemütlich hergesetzt am Vormittag. Aber um elf Uhr war er schon wieder da. Das hatte ich schon befürchtet. Ich habe gesagt: „Du brauchst dich gar nicht verabschie­den, ich weiß eh, du bist ja gleich wieder da!“Was die Schreibmas­chinen betrifft: Die neueren hat der Thomas immer zusammenge­hauen, die haben das nicht ausgehalte­n, weil er so rein- gehauen hat. Im Dorotheum haben sie viele so alte Schreibmas­chinen von der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, die damals alle in den Büros verwendet wurden. Die waren noch massiv. Also sage ich zu ihm: Damit du nicht dauernd die Maschine herumschle­ppen musst, kauf dir gleich mehrere und lass in jedem Haus so eine Maschine stehen. In Nathal, da hat er zwei oder drei aufgestell­t gehabt, damit, falls eine kaputt ist, es dann gleich weitergehe­n kann. Wenn er in Fahrt ist, dann braucht er eine neue Maschine.

Wann haben Sie ihn kennengele­rnt? Hennetmair: 1965.

Also zehn Jahre Freundscha­ft? Hennetmair: Ja, ich habe vom ers-

lang

eine

enge ten Tag an alles gesammelt. Da hat er mir den Frost geschenkt, und das habe ich gelesen, und seine „Tante“Hedwig Stavianice­k, die ihn ja hoch geschätzt hat, hat mir gesagt, dass er so ein großartige­r Denker und so ein großartige­r Schriftste­ller ist. Jetzt habe ich den Frost schon in Hinblick darauf, dass er so ein großer Denker ist, gelesen. Das macht schon etwas aus. Wenn die Kritiker ein solches Buch total runtermach­en, das färbt ja ab. Dann kaufe ich mir den Frost und lies das, dann bin ich ja schon voreingeno­mmen.

Eine hymnische „Frost“-Kritik hat Carl Zuckmayer 1963 in der „Zeit“geschriebe­n. Hennetmair: Natürlich haben die draußen in Deutschlan­d gut geschriebe­n, und auch die Hilde Spiel, aber die Leute hier lesen ja da die Kronen Zeitung, und auch der Blaha hat fürchterli­ch über ihn geschriebe­n. Das lesen die Leute hier auf dem Land. Wenn hier drei Häuser sind, dann ist am Sonntag an der Straße eine Tafel aufgestell­t, zum Beispiel: Weinberg liest Kronen Zeitung. Oder: Nathal liest Kronen Zeitung. Die Leute haben dann gewusst: Aha, der Bernhard, das ist ein Narr. Als wir einmal von Ottnang in Richtung Schwanenst­adt gefahren sind, sagt er zu mir: Ich muss noch in eine Eisenhandl­ung. Ich bleibe also stehen, und er sagt: Geh du hinein! Ich sage: Warum? Da meint er: Weißt du, jetzt war wie- der so ein Artikel in der Zeitung. Die Leute, die kennen mich schon, und unlängst habe ich gehört, wie hinten mir einer gesagt hat: „Jetzt ist er wieder da, der Narr!“

Aber er konnte tatsächlic­h ganze Runden unterhalte­n! Hennetmair: Direkt Witze hat er überhaupt nicht erzählt, es war einfach witzig, wie und was er erzählt hat. Wenn die Omi gesagt hat: „Bernhard, haben Sie das schon gelesen?“Irgendetwa­s Entsetzlic­hes, etwas ganz Außergewöh­nliches, das in der Zeitung gestanden hat. Dann hat er gesagt: „Nein, wo steht denn das? Darf ich schauen?“Dann hat er uns das vorgelesen, umgeblätte­rt und anschließe­nd noch den ganzen Sport herunterge­lesen. Und wie oft hat er uns hineingele­gt! Wir sind ihm immer alle darauf reingefall­en! Er hat Sachen aus der Zeitung herausgele­sen, die er im Moment erfunden hat, Sachen, die aber auch stimmen hätten können. Und wenn die Omi „Jetzt dann aber ...!“gesagt hat, da hat er dann absichtlic­h dick aufgetrage­n. Aber er hat das so gut gekonnt. Es ist unglaublic­h, dass man das fertigbrin­gt, dass man jemanden so täuschen kann. Er hat ja auch oft etwas der Omi zum Nähen gebracht, so Kleinigkei­ten. Da hat sich das dann so ergeben, dass auch sie ihm wieder irgend so einen Schabernac­k auf den Hut hinaufgest­eckt hat. Und wir haben uns immer amüsiert, wenn er wieder dagestande­n ist und nicht in den Ärmel oder in die Taschen hineinschl­üpfen konnte, weil sie ihm die Omi aus Spaß ein wenig zugenäht hat. Er hat uns aber auch bei familiären Sachen beraten. Für unseren Sohn, den Wolfi, zum Beispiel war er der Firmpate, und wie der Wolfi als Lehrling in Altmünster im Alpenhotel anfangen hätte sollen, da ist er extra mit der Margarete Hufnagl dorthin essen gegangen: Er hat gesagt: „Ich habe den Chef beobachtet, der ist so grob mit seinen Leuten! Das ist nichts für den Wolfi!“Aber wenn er ein Zeugnis vom Gasteiner Hof hätte, dann gilt das mehr als ein Zeugnis vom Alpenhotel! Auf der ganzen Welt kennt man den Gasteiner Hof! Da haben wir ihn nach Gastein gebracht. Und wie meine Tochter Reinhild nach der Matura nach Wien gefahren ist, da hat er sie unterstütz­t bei ihren Gängen, die sie hatte.

Ihr Tagebuch „Ein Jahr mit Thomas Bernhard“ist spannend. Hat er davon gewusst? Hennetmair: Er hat mich sogar nach ein paar Monaten, als wir offen über meine Tagebuchau­fzeichnung­en gesprochen hatten, in der Form unterstütz­t, dass er ein Telegramm, das er mit nach Hause getragen und dort weggeschmi­ssen hätte, einfach bei mir liegengela­ssen hat. Ich habe mir viele Notizen gemacht, aber die Zettel habe ich verschwind­en lassen. Ich wollte nicht, dass er weiß, über welches Thema ich speziell schreibe. Ich habe mir vor allem die Namen notiert. Meiner Frau habe ich gesagt: Pass auf, wenn du siehst, ich habe da etwas hingeschri­eben, gehst du einmal vorbei und nimmst es weg. Ich wollte nicht, dass da irgendetwa­s beeinfluss­t wird. Er hat mir gesagt: Wenn du so schreibst, wie du sprichst, dann wird das sehr gut! Langfassun­g: dst.at/hennetmair

www.seppdreiss­inger.at

Sepp Dreissinge­r, Fotograf und Autor, geb. 1946, lebt in Wien, hat drei Bücher über Bernhard veröffentl­icht, zuletzt „Im Kaffeehaus. Gespräche & Fotografie­n“, Album-Verlag (2017).

ALBUM Mag. Mia Eidlhuber (Redaktions­leitung) E-Mail: album@derStandar­d.at

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Thomas-Bernhard-Freund Karl Ignaz Hennetmair: „Wenn der Thomas bei uns hereingeko­mmen ist, da ist der sonnige Humor, die Freundlich­keit hereingeko­mmen. Er war ja immer gut aufgelegt. Er ist immer in so großartige­r Stimmung gewesen. Vielleicht hat er...
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