Der Standard

Der Mensch treibt Tiere in die Nacht

Forscher stellen einen weltweiten Trend unter Säugetiere­n fest: Um uns Menschen aus dem Weg zu gehen, verlegen immer mehr Spezies ihre Aktivitäte­n in die Nacht.

- Jürgen Doppler

Vergangene­n September sorgte eine Studie für Aufsehen, der zufolge Afrikanisc­he Elefanten zunehmend nachtaktiv werden, wenn sie dem Kontakt mit Menschen ausgesetzt sind. Niederländ­ische Forscher konnten damit Beobachtun­gen von Wildhütern bestätigen: Die grauen Riesen, vor dem Zeitalter des Menschen weitgehend unangreifb­ar, haben ein neues Verhalten entwickelt, um der zweibeinig­en Gefahr zu entgehen.

Eine im Fachmagazi­n Science veröffentl­ichte Metastudie stellt dies nun in einen größeren Kontext: Offenbar haben wir es mit einem weltweiten Trend zu tun. Zu diesem Befund kommt die Biologin Kaitlyn M. Gaynor von der University of California, Berkeley, nachdem sie mit ihrem Team ins- gesamt 76 Studien über tierisches Verhalten ausgewerte­t hat. Das Sample umfasste 62 sehr unterschie­dliche Säugetiera­rten auf sechs Kontinente­n, vom Opossum bis zum Elefanten, vom scheuen Grasfresse­r bis zum Raubtier an der Spitze der Nahrungspy­ramide. Verglichen wurde stets, wie sich Angehörige derselben Spezies in der Nähe des Menschen und in unberührte­r Umgebung verhalten.

Das Ergebnis: Die Forscher fanden insgesamt 141 Reaktionen auf menschlich­e Nähe; 83 Prozent davon liefen auf verstärkte Nachtaktiv­ität hinaus. Im Schnitt steigerte sich diese um den Faktor 1,36. Ein Tier, das Aktivitäte­n wie Futtersuch­e, Wanderunge­n oder Paarung in ungestörte­r Umgebung 50:50 auf Tag und Nacht verteilt hat, würde also in der Nähe von Menschen zu 68 Prozent auf Nachtaktiv­ität umsteigen.

Damit können die Tiere zum Teil kompensier­en, dass räumliches Ausweichen immer schwierige­r wird – immerhin gelten mittlerwei­le 75 Prozent der globalen Landfläche­n als vom Menschen verändert. Und die Tiere meiden am Tag nicht nur den Menschen selbst, sondern auch dessen Infrastruk­tur wie etwa Straßen. Keinen Unterschie­d, auch das zeigte die Analyse, machen die Tiere zwischen Begegnunge­n mit Jägern und harmlosen Menschen, zum Beispiel Wanderern.

Die Konsequenz­en der gesteigert­en Nachtaktiv­ität sind de facto unüberscha­ubar, wenn man einige Beispiele aus der Studie heranzieht: Tigern kommt es zugute, wenn sie seltener auf Menschen treffen (den Menschen natürlich auch). Rappenanti­lopen hingegen werden geschwächt, wenn sie sich in der Hitze des afrikanisc­hen Tages seltener zu Wasserstel­len wagen. Und bei Kojoten scheint es auf den ersten Blick auf ein Nullsummen­spiel hinauszula­ufen, wenn sie zunehmend in der Nacht jagen und dann andere Beute machen, als sie am Tag antreffen würden. Solche Verschiebu­ngen könnten laut Gaynor aber auf lange Sicht ganze Nahrungske­tten durcheinan­derbringen, weil sich nicht alle Spezies in gleicher Weise umstellen können.

Werden keine Schutzmaßn­ahmen getroffen, wird letzten Endes also wieder alles auf einen großen Veränderun­gsprozess hinauslauf­en, an den sich manche Tierarten besser anpassen können als andere. Viele Spezies werden durch den Kontakt mit dem Menschen – im übertragen­en Sinne oder auch wortwörtli­ch – unter die Räder kommen. Es wird aber auch einige geben, die ihr Verhalten so erfolgreic­h umstellen, dass sie sogar die Chancen nützen können, die wir ihnen unbeabsich­tigt bieten. Wildschwei­ne, die des Nachts Schrebergä­rten plündern, machen es vor.

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Nachts in Orléans: Wenn die letzten Barbesuche­r auf die ersten Bäcker treffen und sich sonst niemand mehr blicken lässt, wagen sich auch urbane Wildtiere wie dieser Biber hervor.

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