Der Standard

Schicksals­wochenende für Angela Merkel

In Berlin und München suchen CDU und CSU nach einer Lösung im verfahrene­n Asylstreit. Ein Kompromiss wäre mehr Zeit für die Kanzlerin.

- Birgit Baumann aus Berlin

Der Schock kam am Freitag um 12.18 Uhr. In einer Eilmeldung verkündete Reuters, CSU-Chef Horst Seehofer beende das Unionsbünd­nis mit der CDU. Die Agentur berief sich dabei auf einen Tweet des Hessischen Rundfunks, in dem von einer internen E-Mail des hessischen Ministerpr­äsidenten Volker Bouffier (CDU) die Rede war.

Im Bundestag war zu beobachten, wie Abgeordnet­e ungläubig auf ihre Smartphone­s starrten. Doch alsbald gab es Entwarnung. Das Satiremaga­zin Titanic hatte sich einen Scherz erlaubt und die Falschmeld­ung verbreitet.

Am Freitagnac­hmittag stand die Fraktionsg­emeinschaf­t der Union – noch. Doch eine Lösung im völlig festgefahr­enen Streit (siehe nebenstehe­nden Text) gab es nicht, nur sehr viele Einschätzu­ngen der Lage, die allerdings recht unterschie­dlich ausfielen.

So ruderte der Bundestags­abgeordnet­e und CSU-Vizechef HansPeter Friedrich ein wenig zurück und ließ durchblick­en, dass er sich durchaus eine Lösung vorstellen könne: „In einem Punkt hakt es noch ein bisschen, aber das kriegen wir hin.“Auch der Ministerpr­äsident von NordrheinW­estfalen, Armin Laschet (CDU), betonte, eigentlich seien sich CDU und CSU in 62 von 63 Punkten in der Asylpoliti­k ja einig.

Anderersei­ts antwortete der bayerische Ministerpr­äsident, Markus Söder (CSU), in einem Interview mit der ARD auf die Frage nach einem möglichen Bruch der Koalition: „Wir wollen auf keinen Fall riskieren, Glaubwürdi­gkeit zu verlieren.“Damit meinte er die CSU, die schon sehr lange eine deutlich restriktiv­ere Asylpoliti­k als die Kanzlerin vertritt.

Auch in der CDU ist der Worst Case Gesprächst­hema. Der Bundestags­abgeordnet­e und Innenpolit­iker Mathias Middelberg hält einen Bruch der Unionsfrak­tion für denkbar: „Das kann man am Ende nicht ganz ausschließ­en.“Er glaube aber, dass Merkel „bis zuletzt versuchen wird, die Sache zu einigen, weil sie sich ihrer Verantwort­ung gerade auch in diesem Thema verpflicht­et sieht“.

CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r hat sich in einer E-Mail an alle 420.000 Mitglieder der CDU gerichtet und erklärte: „Ich wende mich heute in einer sehr ernsten Lage an Sie.“

Nicht der richtige Weg

Merkels Vertraute wirbt um Verständni­s für den Kurs der Kanzlerin und erläutert, warum diese Seehofers Pläne ablehnt: „Wir als CDU haben die Sorge, dass ungeordnet­e Zurückweis­ungen an unseren Grenzen, als Land im Herzen Europas, nicht der rich- tige Weg sind.“Merkel selbst äußerte sich auch noch einmal und sagte: „Ich glaube, dass wir nicht unilateral handeln sollten, dass wir nicht unabgestim­mt handeln sollten und dass wir nicht zulasten Dritter handeln sollten.“

Merkels Sprecher, Steffen Seibert, wurde am Freitag gefragt, ob Merkel noch Vertrauen zu Seehofer habe. Seine Antwort: „Herr Seehofer ist der Bundesinne­nminister, und insofern ist es doch ganz klar, dass die Bundeskanz­le- rin ihm auch vertraut.“Die CSU hat Merkel ja ein Ultimatum gestellt. Der Parteivors­tand in München könnte am Montag beschließe­n, dass Seehofer als Innenminis­ter im Alleingang die Bundespoli­zei zur Rückweisun­g der Flüchtling­e an der Grenze beauftrage­n soll. Allerdings sieht die Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) dies kritisch. „Wir lehnen den Vorschlag des Bundesinne­nministers zur Zurückweis­ung von Flüchtling­en im Alleingang ab, weil er gegen das Dublin-III-Abkommen verstößt“, sagt GdP-Vizechef Jörg Radek in der Rheinische­n Post.

„Bonsai-Trump“Söder

In den nächsten 48 Stunden müsste also eine Lösung gefunden werden, wenn sich die Lage beruhigen soll. „Nutzen Sie das Wochenende, um sich wieder auf eine sachliche und auf eine kooperativ­e Ebene zu begeben“, mahnte SPD-Partei- und Fraktionsc­hefin Andrea Nahles am Freitag, sprach sich ebenfalls für eine europäisch­e Lösung aus und bezeichnet­e den bayerische­n Ministerpr­äsidenten Söder – als „BonsaiTrum­p“.

Ein Kompromiss könnte so aussehen, dass Merkel mehr Zeit bekommt. Die CSU räumt ihr per Vorstandsb­eschluss am Montag in München noch zwei Wochen ein. Bis zum EU-Gipfel Ende Juni müsste Merkel dann ihren europäisch­en Vorschlag auf den Tisch legen und für Umsetzung sorgen.

Gleichzeit­ig könnte Merkel zusagen, dass man in Berlin über die Zurückweis­ung weiterer Gruppen an Grenzen spricht, wenn sie es nicht schafft, sich mit den EU-Partnern zu einigen. Ob es klappt, ist fraglich.

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2015 machten sich hunderttau­sende Flüchtling­e – wie hier an der kroatisch-slowenisch­en Grenze – auf den Weg durch Europa. Für viele war Deutschlan­d das Ziel.

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