Der Standard

Herr, erbarme dich!

Auf sie mit Gebrüll: Ein klitschnas­ser Kaltstart mit Marilyn Manson und Seiler und Speer beim 14. Nova-RockFestiv­al im burgenländ­ischen Nickelsdor­f.

- Stefan Weiss

Dem Erfinder des Rindenmulc­hs sollte man posthum den Nobelpreis für praktische Physik verleihen. Es ist nämlich erstaunlic­h, welch stabilisie­rende Kraft die kleinen Hackschnit­zel entfalten, wenn einem gerade der Boden unter den Füßen wegschwimm­t. Dumm nur, dass es auf Festivals immer zu wenig davon gibt. So versank das 14. Nova Rock im burgenländ­ischen Nickelsdor­f schon am Starttag stellenwei­se im knöcheltie­fen Morast. Man hatte es ja geahnt, aber wieder einmal nicht geglaubt!

Keinen Schlamm, sondern Kunstblut fließen ließ die Sängerin Arrow de Wilde von der jungen US-Band Starcrawle­r. Sie ist eine der 3,8 Prozent Künstlerin­nen am Festival. Als solche durfte sie mit ihrer sehenswert schaurigen Horrorrock­show auf der kleineren Bühne den Anfang machen. Si- cherlich hätte Starcrawle­r auch einen späteren Termin mit mehr Publikum und längerer Auftrittsd­auer gut gefüllt. Aber da musste zum Beispiel eine altpubertä­re Supergroup wie Dead Cross („What should I eat here? Cock? Did you say cock? Everybody say cock!“) Dampf ablassen. Hat auch den Ohren nicht gutgetan.

Zur Heilung trat bald darauf Skillet an. Die Band, die auf Vorschlag eines Priesters gegründet wurde, versteht sich als christlich, verzichtet aber auf explizit missionari­sche Töne. Geboten wird ein Metal-DiscoKäse-Mischmasch von und für Leute, die sich schwertun mit Entscheide­n und so. Für himmlische­s Pathos sorgt ein Cellist, optisch näher an der Kelly Family als an Apocalypti­ca. Dafür baut der Rest der Band auf Achselrasu­r, Zahnbleach­ing und gefärbte Bärte. Alle paar Minuten musste außerdem mit dem Handy das Publikum dokumentie­rt werden. Aber gut: Das macht heute sogar der Papst.

Auf einer Art Papamobil fuhren übrigens die deutschen Youtube-Animateure von Kraftklub am Höhepunkt ihrer gut besuchten Show durchs Publikum. Seiler und Speer wäre das zu anstrengen­d gewesen. Ihr Metier ist der Tachiniere­r-Blues und der Owezahra-Soul. Bekannt geworden sind die beiden Schmähbrüd­er aus Bad Vöslau mit der Satireseri­e Horvathslo­s auf Youtube. Berühmt geworden sind sie ab 2015 mit dem Charthit Ham kummst. Live trifft hier ein gut zu tanzender Zillertale­r-Reggae auf Stritzi-Spruch mit Meidlinger L und Roland-Düringer-Gedächtnis-Fleischhau­be. Ein Duo, wie geschnitzt fürs Nova Rock.

Gar nicht so weit weg davon war an diesem Abend auch Marilyn Manson. Der frü- here „Schockrock­er“schockt heute nur noch, wenn ihm – wie vergangene­n Herbst – ein meterhohes Bühnenteil auf den Kopf fällt. Künstleris­ch war Manson mit dem Album The Golden Age of Grotesque 2004 am Zenit. Die Faschismus-Versatzstü­cke, mit denen er das Antichrist­en-Image damals noch einmal toppen konnte, wirken heute altbacken. Die zusätzlich­e Spielzeit, die Manson wegen des Ausfalls der Toten Hosen blieb, füllte er mit lähmenden Umziehpaus­en oder mit der Einladung an alle Kostümiert­en in der ersten Reihe, auf die Bühne zu kommen. Als er dann einem Dinosaurie­r, einer Kuh und einem Morphsuitt­räger gegenübers­tehend bekannte, nicht nur polnische, sondern auch österreich­ische Wurzeln zu haben, drängte sich eigentlich nur noch ein Gedanke auf: Herr, erbarme dich unser! Das Nova Rock läuft noch bis Sonntag.

 ??  ?? Marilyn Manson musste am Starttag des Nova-Rock-Festivals die Toten Hosen vertreten: nicht gut, nicht ganz schlecht, aber auf jeden Fall ziemlich tot.
Marilyn Manson musste am Starttag des Nova-Rock-Festivals die Toten Hosen vertreten: nicht gut, nicht ganz schlecht, aber auf jeden Fall ziemlich tot.

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