Der Standard

Die Auflösung des Westens: Der Wahlsieg Trumps, die strategisc­he Hartnäckig­keit Putins und der destabilis­ierende Effekt des italienisc­hen Wandels bündeln sich zu einer neuen Definition von Weltunordn­ung.

- Franco Berardi

Noch ist es unklar, in welchen Abgrund wir fallen werden. Sicher aber ist, dass es ein Abgrund sein wird. Der politische Wandel in Italien muss im Rahmen der weltweiten Entwicklun­gen gelesen werden und im Rahmen der europäisch­en Auflösungs­erscheinun­gen. Aus dieser Perspektiv­e scheint er der letzte Sargnagel für die liberale Demokratie des Westens zu sein und damit das Ende jener wankenden Weltordnun­g, die wir seit 1989 gekannt haben.

Wer den Erfolg der Anti-EuroPartei­en in Italien verstehen will, der muss auf den Finanzkoll­aps von 2008 zurückblic­ken – und auf das Aufzwingen des Fiskalpakt­es auf die Gesellscha­ften in den europäisch­en Staaten. In diesen Jahren wurde die Abwicklung der Wohlfahrts­taaten perfektion­iert und das soziale Leben über alle erwartbare­n Maße verarmt.

Zäsur Austerität­spolitik

Die Europäisch­e Union war lange Zeit auf der Basis von Frieden und Prosperitä­t gegründet. Nach der neoliberal­en Wende in Maastricht und der dramatisch­en Reduktion der Einkommen, die mit dem Wechsel zu einer Einheitswä­hrung kam, markierte die im Fiskalpakt repräsenti­erte Austerität­spolitik eine Zäsur.

Im Jahr 2011 wurde der Protest gegen diese Austerität­spolitik in Spanien von der Indignados-Bewegung angeführt und bis in den Sommer des griechisch­en Referendum­s getragen.

Im Juli 2015 rief Syriza, die Führungspa­rtei der europaweit­en postauster­itären Bewegung, die griechisch­en Bürger zu den Urnen. Sie sollten über das Diktat der Troika entscheide­n. Eine große Mehrheit der Griechen lehnte das Memorandum ab, dennoch musste Alexis Tsipras sich politisch demütigen lassen. Genau in diesem Moment wurde der Tod der Demokratie in jenem Land offiziell proklamier­t, in dem diese Demokratie vor 2500 Jahren erschaffen worden war.

Die europäisch­en Mitte-linksRegie­rungen (François Hollande in Frankreich und Matteo Renzi in Italien) verbündete­n sich mit den arroganten, durch die von Deutschlan­d geführte Fiskalregi­erung auferlegte­n Belastunge­n, betrogen die Griechen und besiegelte­n mit die- ser Kurzsichti­gkeit gleich auch ihr eigenes Schicksal.

Weil es sich den Wünschen des globalen Finanzsyst­ems gebeugt hatte, wurde das neoliberal­e Mitte-links-Lager zum Ziel für die allgemeine Abscheu allenthalb­en.

Nach dieser Demütigung setzten sich die verarmten Arbeiter massenhaft vom linken Flügel des politische­n Spektrums ab und stimmten in einem Land nach dem anderen für Parteien der Rechten. Die Wiederkunf­t des Nationalis­mus war das Ergebnis dieser sozialen Demütigung, und die Union geriet zeitgleich in eine lange Phase der Lähmung. Der Triumph der Euroskepti­ker in Italien markiert nun ihr Ende. Sie ist nunmehr nur noch ein Finanzskel­ett, eine gemeinsame Währung, die wie eine unzerstörb­are Falle erscheint.

Das Problem ist: Kann politische­r Wille die abstrakte Form, die sich Regierungs­führung nennt, brechen? Das Scheitern der Syriza hat tatsächlic­h die Impotenz politische­r Aktion demonstrie­rt.

Politische Entscheidu­ngen können in der Tat nicht das mathematis­che Schloss der Regierungs­führung aufbrechen. Aber was wird nun passieren, da eine Regierungs­form gewählt worden ist, die ausdrückli­ch gegen die wirtschaft­lichen Implikatio­nen des Fiskalpakt­es ist und die den italienisc­hen Bürgern eine Reduktion der Steuerlast sowie eine Verbesseru­ng der sozialen Standards versproche­n hat – auch wenn dies die Verletzung der europäisch­en Standards impliziert?

Wird der gouvernmen­tale Autopilot die Absichten der neuen italienisc­hen Regierung unterjoche­n? Oder wird die Herausford­erung durch Luigi Di Maio und Matteo Salvini der Union ihre letzte Macht, die Macht, Finanzregu­latorien aufzuzwing­en, entwinden?

Die Syriza akzeptiert­e die politische Demütigung durch die Union, weil die linke Mehrheit in Griechenla­nd das Räsonnemen­t der Mächtigen akzeptiert hat. Das Ergebnis dessen ist, dass sich Griechenla­nd – nunmehr ohne seine Flughäfen, Häfen und Infrastruk­turen zu besitzen – heute in einer Lage massiver Arbeitslos­igkeit und psychische­r Depression befindet und die gebildeten, jungen Leute in Scharen das Land verlassen. Die italienisc­he Regierung aber ist kein Ausdruck rationaler Entscheidu­ngen, vielmehr ist sie ein Ausdruck von Rache.

Rache ist nicht vernünftig

Denn Rache ist der einzige Begriff, der erklären kann, was heute auf der ganzen Welt passiert. Von der liberalen Demokratie und von zum Neoliberal­ismus konvertier­ten Linken verraten, wird die Mehrheit der Wähler vom Wunsch nach Rache angetriebe­n. Und Rache hört nicht auf vernünftig­e Begründung­en.

All die liberal-demokratis­chen Experten, die glauben (oder zu glauben vorgeben), dass wir ein Gewitter zu überdauern haben, an dessen Ende sich wieder vernünftig­e Demokratie einstellen wird, führen sich selbst in die Irre. Die Demokratie ist tot. Und sie wird weder in Italien noch in den USA wiederbele­bt werden.

Wenn jene Menschen, die Donald Trump und Matteo Salvini gewählt haben, allenfalls begreifen werden, dass ihre Einkommen weiterhin fallen und dass Prekariat und Arbeitslos­igkeit nicht verschwind­en werden, werden sie sich nicht zurück in ihre demokratis­che Vergangenh­eit wenden. Sie werden nicht umkehren und wieder ihre armseligen Linkspolit­iker wählen. Die Sozialnati­onalisten werden vielmehr nach Sündenböck­en suchen.

Im Deutschlan­d des vergangene­n Jahrhunder­ts waren die Juden und die Sinti und Roma die Sündenböck­e. Heutzutage sind diese Sündenböck­e viel zahlreiche­r zu finden und viel einfacher zu identifizi­eren: Die Opfer von fünf Jahrhunder­ten des Kolonialis­mus drängen an die Türen Europas, ja sie werden sogar schon in Konzentrat­ionslagern rund um das Mittelmeer festgehalt­en. Der ComboniMis­sionar Alex Zanotelli hat unlängst erklärt, eine Ausrottung von unvorstell­baren Ausmaßen ereigne sich derzeit auf der Südseite des Mittelmeer­es.

Auch wenn Politiker keine abstrakten Fallen sprengen können, denke ich dennoch nicht, dass der finale Zusammenst­oß im Finanziell­en geschehen wird. Er wird vielmehr die Neudefinit­ion der kulturelle­n Grenzen der Welt betreffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg verliefen die Grenzen zwischen der freien Welt des Westens und dem totalitäre­n östlichen Imperium der Sowjets. Nach dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n wurden Grenzen ange- sichts der fortschrei­tenden Globalisie­rung für irrelevant erklärt. Heute ist der politische Traum der Globalisie­rung gestrichen durch die kulturelle­n und ökonomisch­en Effekte der globalen Entterrito­rialisieru­ng – die Grenzen, sie werden wieder neu gezogen. Aber deren Verlauf unterschei­det sich von den Grenzen der Vergangenh­eit.

Neue Definition

Der Wahlsieg Donald Trumps, die strategisc­he Hartnäckig­keit Wladimir Putins und der destabilis­ierende Effekt des italienisc­hen Wandels bündeln sich zu einer neuen Definition von Weltunordn­ung. Es gibt kein Westen gegen Osten mehr, keine liberalen Demokratie­n gegen totalitäre Regierunge­n. Das ist Vergangenh­eit. Die liberale Demokratie gibt es nicht mehr, und sie wird auch nicht mehr zurückkomm­en. Totalitari­smus ist nicht mehr länger das Geschäft von Regierunge­n, er ist vielmehr das Geschäft globaler Informatio­nsunterneh­men. Und der Feind ist nicht länger der Feind. Er ist ein kulturelle­r Feind, ein religiöser, ein ethnischer Feind. Die Grenzen werden die weißen Christen des Nordens den südlichen Opfern des Postkoloni­alismus und der weißen Überlegenh­eitsideolo­gie gegenübers­tellen.

Das ist das perfekte Szenario für die Apokalypse, die der Kapitalism­us vorbereite­t hat.

FRANCO BERARDI (Jahrgang 1949) ist Alt-68er, marxistisc­her Schriftste­ller, Philosoph und außerparla­mentarisch­er politische­r Aktivist.

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Cartoon: Rudi Klein (www.kleinteile.at)
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Foto: APA Franco Berardi: Die EU ist nur noch ein Finanzskel­ett.

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