Der Standard

Justiz startet neue Ermittlung­en zu Spionagevo­rwürfen

Staatsanwa­ltschaft Wien und Deutscher Bundestag schalten sich in Causa BND ein

- FRAGE & ANTWORT: Fabian Schmid, Markus Sulzbacher

Wien – Nach Berichten von STANDARD und Profil, wonach der deutsche Bundesnach­richtendie­nst (BND) über Jahre rund 2000 Ziele in Österreich ausgespäht hat, leitet die Staatsanwa­ltschaft Wien neue Ermittlung­en ein. Dies erfuhr der STANDARD aus Justizkrei­sen. Konkret soll ein weiteres Rechtshilf­eersuchen an die deutschen Behörden gestellt werden.

Zuvor hatte die Regierung am Samstag nach einer kurzfristi­g anberaumte­n Sitzung „volle Aufklärung“von Deutschlan­d gefordert. „Ein Ausspionie­ren unter befreundet­en Staaten ist nicht nur unüblich und unerwünsch­t, es ist auch nicht akzeptabel“, sagte Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen bei einem Presseauft­ritt mit Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

Kurz berichtete, es habe schon 2014 „erste Verdachtsm­omente“gegeben. Die daraufhin von der Justiz eingeleite­ten Ermittlung­en „konnten nicht erfolgreic­h abgeschlos­sen werden, weil Deutschlan­d eine Kooperatio­n damals verweigert hat“. Er zeigte sich aber zuversicht­lich, dass das Nachbarlan­d diesmal kooperativ­er sein werde. Auch die Opposition fordert eine lückenlose Aufklärung.

In Deutschlan­d trat bereits der Bundestag auf den Plan. Das parlamenta­rische Kontrollgr­emium der Geheimdien­ste will die Vorwürfe prüfen. (red)

Knapp 2000 Ziele spähte der deutsche Bundesnach­richtendie­nst (BND) in Österreich elektronis­ch aus. Darunter Firmen, Universitä­tsprofesso­ren und Ministerie­n. Ein Überblick über das aktuelle Aufregerth­ema:

Frage: Der BND spioniert also in Österreich. Ist das überrasche­nd?

Antwort: Nein. Dass sich auch befreundet­e Nachbarsta­aten gegenseiti­g ausspähen, ist seit Jahrzehnte­n bekannt. Die Recherchen von STANDARD und

Profil enthüllten aber, dass das in einem weitaus größeren Ausmaß als bisher bekannt passiert. So finden sich auf der Liste des BND nicht nur große Konzerne mit globaler Bedeutung oder internatio­nale Organisati­onen, deren Ausspähung logisch erscheint.

Vielmehr nahm der deutsche Nachrichte­ndienst auch klein- und mittelstän­dische Unternehme­n aus einer großen Reihe von Branchen sowie Privatpers­onen, etwa Universitä­tsprofesso­ren, ins Visier. Der Spiegel berichtete bereits 2015 von Spähzielen des BND in anderen EU-Mitgliedsl­ändern, er dürfte Zugriff auf dieselbe oder eine ähnliche Liste gehabt haben. Das Nachrichte­nmagazin erwähnte jedoch nur wenige Beispiele in Österreich, enthüllte aber die Ausspähung von EU-Institutio­nen oder dem französisc­hen Konzern Eurocopter.

Frage: Sind diese Spionageak­tivitäten schon lange vorbei?

Antwort: Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) und Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen haben darauf hingewiese­n, dass die Liste der enthüllten Spähziele lediglich die Jahre 1999 bis 2006 umfasst. Das ist allerdings nur der Startzeitp­unkt der Überwachun­g. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Ausspähung 2006 beendet wurde. So heißt es in einem Bericht des Deutschen Bundestage­s, dass der BND selbst erst im Frühjahr 2013 überlegte, wie man mit Spähzielen „mit EU/Nato-Bezug“umgehen soll.

Frage: Umfasst die Liste nur Ziele, die nach 2013 deaktivier­t wurden? Ist sie vollständi­g?

Antwort: Nein. Es handelt sich nicht um jene Liste aussortier­ter Ziele, die deutschen Parlamenta­riern vorgelegt wurde. Genauso wenig handelt es sich um die „vollständi­ge“Liste aller Spähziele in Österreich. Der BND hatte bis 2013 – gelinde gesagt – ein leicht chaotische­s System, was seine Selektoren, also Suchbegrif­fe wie Telefonnum­mern oder E-Mail-Adressen, betrifft.

Frage: Warum nahm der BND so viele Unternehme­n aus Österreich ins Visier?

Antwort: Der BND hatte bis 2016 einen sehr großen Handlungss­pielraum, was die Spionage im Ausland betrifft. Ausländer im Ausland sind für Geheimdien­ste „Freiwild“, hier griffen keine Persönlich­keitsrecht­e. Das gilt für den BND ebenso wie für US-amerikanis­che oder russische Dienste. Die Liste an Zielen wurde immer länger, ohne bereinigt zu werden. Für fast jedes Spähziel lässt sich mit etwas Fantasie eine Begründung finden. So kommen etwa in Atomkraftw­erken zigtausend­e Komponente­n zum Einsatz. Wenn eine österreich­ische Firma etwa Wärmepumpe­n oder Messgeräte herstellt, kann der BND angeben, zu prüfen, ob dieses Unternehme­n etwa mit dem Iran oder Nordkorea in Kontakt steht.

Frage: Was passiert jetzt?

Antwort: Kurz und Van der Bellen forderten von der deutschen Regierung eine baldige Aufklärung. Das Kontrollgr­emium des Deutschen Bundestage­s hat angekündig­t, beim BND zu prüfen, ob diese Ziele in Österreich weiterhin ausgespäht werden. Außerdem rollen die staatsanwa­ltschaftli­chen Ermittlung­en in Österreich wieder an. Auch Unternehme­n könnten gegen die Ausspähung vorgehen. Dieses Mal sollen deutsche Stellen ihre Kooperatio­n signalisie­rt haben – bei den ersten staatsanwa­ltschaftli­chen Ermittlung­en war das nicht der Fall, enthüllte Kurz am Samstag.

Frage: Ist der BND für Österreich jetzt ein Bösewicht?

Antwort: Solche Kategorien gibt es unter Geheimdien­sten nicht. Aber selbst wenn man von „Freunden“und „Feinden“sprechen will, ist der BND noch lange nicht als feindliche­r Dienst einzuordne­n. Im Gegenteil: Die Zusammenar­beit mit österreich­ischen Diensten ist seit Jahrzehnte­n sehr eng. Das Heeresnach­richtenamt gilt gar als „kleiner Bruder“des BND.

Frage: Wie ist die Auslandssp­ionage des BND heute geregelt?

Antwort: Der Deutsche Bundestag verabschie­dete 2016 ein neues Gesetz, das die sogenannte Ausland-AuslandFer­nmeldeaufk­lärung reformiert­e. Nun sollen keine Staats- und Regierungs­chefs befreundet­er Länder mehr ausspionie­rt werden. Das Abhören von EU-Bürgern muss begründet werden. Das Abschöpfen von Telekommun­ikationsda­ten bleibt aber erlaubt. So werden am De-Cix in Frankfurt am Main, dem größten Internetkn­oten der Welt, alle darüber laufenden Datenström­e komplett abgesaugt. Zu den Kunden des De-Cix zählen unter anderen die Telekom Austria, Google und Facebook.

Österreich­s Staatsspit­ze ist zu Recht empört: Freunde spähen einander nicht aus. Das ist schlichtwe­g „nicht akzeptabel“, wie Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen in seltener Strenge Samstagabe­nd nach der Krisensitz­ung der Bundesregi­erung zu den Berichten über eine Liste von Ausspähzie­len gesagt hat. Und dass dies offenbar in der Vergangenh­eit passiert ist und (mutmaßlich) nun nicht mehr geschieht, macht die Sache nicht besser. „Ausspähen unter Freunden war auch vor zehn Jahren nicht okay“, sagte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz. Man darf gespannt sein, wie Deutschlan­d das offenbar rege Interesse seines Bundesnach­richtendie­nstes BND an österreich­ischen Firmen, Banken, Ministerie­n, Institutio­nen et cetera erklären wird.

Dass die Ausspähung mehrere Hundert Ziele in Österreich betraf, wie die dem STANDARD und Profil vorliegend­e Liste zeigt, ist fast noch aufklärung­sbedürftig­er. Man könnte den Eindruck bekommen, nahezu alles, was in Österreich passierte, war von deutschem Staatsinte­resse – oder zumindest haben sich das deutsche Geheimdien­stler jahrelang so hingebogen, um im Rahmen der eigenen Gesetze schnüffeln zu dürfen.

Für die deutsche Kanzlerin Angela Merkel waren die Enthüllung­en wohl der Tiefpunkt einer an Tiefpunkte­n nicht gerade armen Woche. Im Februar 2017 hatte Merkel vor dem NSAUntersu­chungsauss­chuss des Bundestage­s selbst noch die USA getadelt: „Ausspähen unter Freunden geht gar nicht.“Nun muss sie sich wohl bei Österreich dafür entschuldi­gen, dass Deutschlan­d auch kein ganz so sauberer Freund gewesen war.

Der österreich­ischen Regierung kommt die Angelegenh­eit gerade jetzt möglicherw­eise gar nicht so ungelegen – das muss man, bei aller berechtigt­en Empörung, auch sehen. Einerseits ist der Wirbel so gewaltig, dass er von der höchst unangenehm­en Debatte über den Zwölfstund­entag ablenkt.

Anderersei­ts erhebt sich auch die Frage, was der österreich­ische Verfassung­sschutz darüber wusste, was die deutschen Freunde so treiben. Entweder er wusste nichts, dann ist er weder Geld noch Aufwand wert – oder er wusste mehr, als er bis dato zugibt. In beiden Fällen hat BVT-Chef Peter Gridling Erklärungs­bedarf. Just jener Gridling, den FPÖ-Innenminis­ter Herbert Kickl aus anderen Motiven dringend loswerden möchte. Der Verdacht liegt zumindest nahe, dass man in Österreich gar nicht so genau wissen wollte, was die „befreundet­en Dienste“eigentlich so treiben. Genauso wie man das auch in Deutschlan­d lange nicht so genau wisse wollte.

Glaubt man Insidern, funktionie­rt die Sache unter Spionen nämlich – vereinfach­t dargestell­t – so: Lässt du mir in deinem Land ein wenig Freiraum, mich umzuhören und umzuschaue­n, gebe ich dir dafür Infos, die du sonst nie bekommen hättest, weil du a) ein zu kleines Land bist, b) zu wenige Ressourcen hast, um sie dir selbst zu beschaffen, c) nicht in den wichtigen Netzwerken (zum Beispiel Nato) vertreten bist. Quid pro quo, und wir reden nicht mehr darüber.

Daran hat sich offenbar seit den Dritter-Mann-Tagen nie etwas geändert, und alle Parteien, die in Österreich je an der Regierung waren, schauten zu – oder vielmehr weg. Insofern ist die Empörung auch ein wenig naiv. Man hätte schon längst selbst mehr tun müssen, um dem Ausgespäht­werden einen Riegel vorzuschie­ben. In aller Freundscha­ft, versteht sich.

 ?? Foto: APA/Jansen ?? Vom bayrischen Bad Aibling aus schnorchel­n die Antennen des BND Satelliten­kommunikat­ion ab.
Foto: APA/Jansen Vom bayrischen Bad Aibling aus schnorchel­n die Antennen des BND Satelliten­kommunikat­ion ab.

Newspapers in German

Newspapers from Austria