Showdown bei CDU/CSU
Kanzlerin Merkel will EU- Sondertreffen zu Flüchtlingen
Berlin – Im Asylstreit zwischen den deutschen Schwesterparteien CDU und CSU gibt es weiter verhärtete Fronten: Am Wochenende drängte die CSU auf die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze, während die CDU vor einem Alleingang warnte.
Für Montag wird erwartet, dass sich die CSU hinter Innenminister Horst Seehofer und seinen bisher unbekannten „Masterplan“stellt, notfalls auch gegen den Willen Angela Merkels. Zwar erklärte Seehofer, niemand in der CSU habe Interesse, die Kanzlerin zu stürzen „oder die Koalition zu sprengen“, vor Vertrauten soll er aber auch gesagt haben: „Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten.“
Mehr Zeit könnte Merkel ein baldiges EU-Treffen zum Thema Flüchtlinge bringen. Zwischen den Mitgliedstaaten kam es auch wegen des Streits um die Aufnahme von Flüchtlingen auf der Aquarius zum Schlagabtausch. Die über 600 Menschen sind mittlerweile in Spanien eingetroffen. (red)
Berlin/Brüssel – Liest man die Aussagen von Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer in der Bild am Sonntag (BamS), dann ist die Lage gar nicht so schlimm. „Niemand in der CSU hat Interesse, die Kanzlerin zu stürzen, die CDU/CSU-Fraktionsgemeinschaft aufzulösen oder die Koalition zu sprengen“, sagt er.
Doch eine Lösung im Streit, der die beiden Schwesterparteien seit Tagen blockiert, war am Wochenende noch nicht in Sicht. Die CSU beharrt darauf, Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Staat registriert wurden, künftig schon an der Grenze zurückzuweisen.
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hingegen will eine europäische Lösung finden. Das betonte sie am Wochenende auch noch einmal in ihrem Podcast, als sie zum Thema Migration sagte: „Das ist eine europäische Herausforderung, die auch eine europäische Antwort braucht.“
Im CSU-Führungskreis allerdings soll sich Seehofer sehr skeptisch über eine weitere Zusammenarbeit mit Merkel geäußert haben. „Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten“, soll er nach einem Bericht der Welt am Sonn- tag zweimal gesagt haben. Doch es gibt – hinter den Kulissen – offenbar heftige Bestrebungen, die Kuh doch noch vom Eis zu bekommen und die Situation nicht völlig eskalieren zu lassen. So bemüht sich Merkel noch vor dem regulären EU-Gipfel am 28. und 29. Juni um ein Sondertreffen mit einigen ausgewählten Teilnehmern, die von der Problematik besonders betroffen sind.
Im Blick hat Merkel dabei Österreich, Griechenland und Italien. Der neue italienische Premier Giuseppe Conte kommt heute zum Antrittsbesuch zu ihr nach Berlin. Dabei wird es auch um die Frage von Rücknahmeabkommen gehen. Denn viele der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge sind etwa in Italien registriert, sodass ihr Asylverfahren nach den sogenannten Dublin-Regeln eigentlich dort stattfinden müsste.
Treffen mit Macron
Am Dienstag findet im brandenburgischen Schloss Meseberg ein lange geplanter deutsch-französischer Ministerrat statt, Präsident Emmanuel Macron ist auch dabei. Bei der Gelegenheit wollte Merkel ursprünglich über die Reform der Eurozone beraten. Laut dem französischen Finanzminister Bruno Le Maire ist man nahe an einer Einigung, es gehe nur noch um zwei, drei Punkte. Allerdings wird das Thema Flüchtlinge in Meseberg auch eine große Rolle spielen.
Nicht nur in Berlin, auch in den anderen Hauptstädten wie Brüssel, Wien und Budapest laufen die Vorbereitungen zu einem Minimigrationsgipfel einer Gruppe „williger EU-Staaten“am kommenden Wochenende inzwischen auf Hochtouren. „Es geht darum, die EU-Grenzschutzbehörde Frontex zu stärken, sie mit einem erweiterten Mandat auszustatten“, erklärte ein mit den Vorgängen vertrauter Mitarbeiter. Die „Frage der Abweisung von Asylwerbern, die bereits in einem anderen EU-Land um Asyl angesucht haben“, stehe an, also die Problematik von „Grenzkontrollen an der EU-Außengrenze wie innerhalb der Union“.
„Gipfel“in Wien möglich
Auch Kanzler Sebastian Kurz drängt auf eine rasche Lösung. Er wird Mitte der Woche nach Budapest reisen, um mit den vier Visegrád-Staaten – Ungarn, Tschechien, Slowakei und Polen – auszuloten, inwieweit diese mitziehen können. Am Freitag wird der ständige EU-Ratspräsident Donald Tusk in Wien erwartet. Ob der eigene Migrationsgipfel in Berlin oder möglicherweise in Wien stattfindet, ist derzeit offen.
Vorbild könnte ein Format sein, das Ex-Kanzler Christian Kern im September erfolgreich über die Bühne gebracht hatte, als Merkel und der ungarische Premier Viktor Orbán nach Wien kamen, um mit den Balkanstaaten die Möglichkeiten für eine verstärkte Zusammenarbeit in Sachen Migration und Asyl auszuloten.
Er könnte die Weichen allein stellen, völlig unabhängig seine Befehle erteilen und müsste auf niemanden Rücksicht nehmen – wenn er sich nur noch um seine Modelleisenbahn kümmern würde.
Schließlich wird Horst Seehofer in knapp zwei Wochen, am 4. Juli, 69 Jahre alt. Aber Chef über kleine Loks im Keller von Ingolstadt zu sein, ist halt nicht annähernd so attraktiv wie der Job als Innenminister oder CSU-Chef. Da ist der heutige Montag sehr viel mehr nach dem Geschmack von Seehofer.
Ganz Deutschland wird auf ihn und seine Entscheidung schauen und so mancher sich wieder einmal fragen: Was treibt diesen Mann?
Da ist zunächst ein starker Wunsch, aufseiten der „kleinen Leute“zu stehen. Seehofer stammt aus bescheidenen Verhältnissen, der Vater war Lastwagenfahrer. Oft wurde der kleine Horst von der Mutter losgeschickt, um am Freitag den Inhalt der Lohntüte zu retten. Schläge gehörten daheim dazu.
Weggefährten orten bei ihm auch einen ausgeprägten Willen, der sich am besten mit den Worten „denen da oben zeige ich es allen“beschreiben lässt. Seehofer hat einen Abschluss als Verwaltungs-Betriebswirt, Matura und akademischer Grad fehlen ihm. Er selbst nennt sich „Erfahrungsjurist“, was so viel heißt wie: Hausverstand, gepaart mit einem gewissen Alter, ist wichtiger als Paragrafen.
Überhaupt: Im Kosmos von Seehofer gibt es nur ein Zentrum, das ist er selbst. Seehofer gilt als beratungsresistent, spricht offen davon, politiksüchtig zu sein, und er vertraut vor allem seinem eigenen Instinkt, der ihn allerdings auch weit gebracht hat.
Er war von 1980 bis 2008 Bundestagsabgeordneter, von 1992 bis 1998 Gesundheitsminister, 2005 bis 2008 Landwirtschaftsminister, 2008 bis 2017 Ministerpräsident von Bayern.
Jetzt, am Ende seiner Karriere, geht es ihm darum, den Eintrag in die Geschichtsbücher zu gestalten. Er will darin nicht als jener CSU-Politiker eingehen, der an Angela Merkel scheiterte. Doch der viele Groll gegen die Kanzlerin hat sich nicht erst in der Asylpolitik aufgestaut, das Zerwürfnis fand schon viel früher statt.
2004 trat Seehofer als FraktionsVize im Bundestag zurück, weil er Pläne der Fraktionschefin und Oppositionsführerin für eine Kopfpauschale im Gesundheitswesen ablehnte. Das war damals Merkel. Auf sie gemünzt, zitierte Seehofer danach den Satz, dass man sich im Leben immer zweimal sehe. Und er fügte noch hinzu: „Mindestens zweimal.“