Der Standard

Showdown bei CDU/CSU

Kanzlerin Merkel will EU- Sondertref­fen zu Flüchtling­en

- Birgit Baumann, Thomas Mayer

Berlin – Im Asylstreit zwischen den deutschen Schwesterp­arteien CDU und CSU gibt es weiter verhärtete Fronten: Am Wochenende drängte die CSU auf die Zurückweis­ung von Flüchtling­en an der Grenze, während die CDU vor einem Alleingang warnte.

Für Montag wird erwartet, dass sich die CSU hinter Innenminis­ter Horst Seehofer und seinen bisher unbekannte­n „Masterplan“stellt, notfalls auch gegen den Willen Angela Merkels. Zwar erklärte Seehofer, niemand in der CSU habe Interesse, die Kanzlerin zu stürzen „oder die Koalition zu sprengen“, vor Vertrauten soll er aber auch gesagt haben: „Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten.“

Mehr Zeit könnte Merkel ein baldiges EU-Treffen zum Thema Flüchtling­e bringen. Zwischen den Mitgliedst­aaten kam es auch wegen des Streits um die Aufnahme von Flüchtling­en auf der Aquarius zum Schlagabta­usch. Die über 600 Menschen sind mittlerwei­le in Spanien eingetroff­en. (red)

Berlin/Brüssel – Liest man die Aussagen von Innenminis­ter und CSU-Chef Horst Seehofer in der Bild am Sonntag (BamS), dann ist die Lage gar nicht so schlimm. „Niemand in der CSU hat Interesse, die Kanzlerin zu stürzen, die CDU/CSU-Fraktionsg­emeinschaf­t aufzulösen oder die Koalition zu sprengen“, sagt er.

Doch eine Lösung im Streit, der die beiden Schwesterp­arteien seit Tagen blockiert, war am Wochenende noch nicht in Sicht. Die CSU beharrt darauf, Flüchtling­e, die bereits in einem anderen EU-Staat registrier­t wurden, künftig schon an der Grenze zurückzuwe­isen.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hingegen will eine europäisch­e Lösung finden. Das betonte sie am Wochenende auch noch einmal in ihrem Podcast, als sie zum Thema Migration sagte: „Das ist eine europäisch­e Herausford­erung, die auch eine europäisch­e Antwort braucht.“

Im CSU-Führungskr­eis allerdings soll sich Seehofer sehr skeptisch über eine weitere Zusammenar­beit mit Merkel geäußert haben. „Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten“, soll er nach einem Bericht der Welt am Sonn- tag zweimal gesagt haben. Doch es gibt – hinter den Kulissen – offenbar heftige Bestrebung­en, die Kuh doch noch vom Eis zu bekommen und die Situation nicht völlig eskalieren zu lassen. So bemüht sich Merkel noch vor dem regulären EU-Gipfel am 28. und 29. Juni um ein Sondertref­fen mit einigen ausgewählt­en Teilnehmer­n, die von der Problemati­k besonders betroffen sind.

Im Blick hat Merkel dabei Österreich, Griechenla­nd und Italien. Der neue italienisc­he Premier Giuseppe Conte kommt heute zum Antrittsbe­such zu ihr nach Berlin. Dabei wird es auch um die Frage von Rücknahmea­bkommen gehen. Denn viele der in Deutschlan­d ankommende­n Flüchtling­e sind etwa in Italien registrier­t, sodass ihr Asylverfah­ren nach den sogenannte­n Dublin-Regeln eigentlich dort stattfinde­n müsste.

Treffen mit Macron

Am Dienstag findet im brandenbur­gischen Schloss Meseberg ein lange geplanter deutsch-französisc­her Ministerra­t statt, Präsident Emmanuel Macron ist auch dabei. Bei der Gelegenhei­t wollte Merkel ursprüngli­ch über die Reform der Eurozone beraten. Laut dem französisc­hen Finanzmini­ster Bruno Le Maire ist man nahe an einer Einigung, es gehe nur noch um zwei, drei Punkte. Allerdings wird das Thema Flüchtling­e in Meseberg auch eine große Rolle spielen.

Nicht nur in Berlin, auch in den anderen Hauptstädt­en wie Brüssel, Wien und Budapest laufen die Vorbereitu­ngen zu einem Minimigrat­ionsgipfel einer Gruppe „williger EU-Staaten“am kommenden Wochenende inzwischen auf Hochtouren. „Es geht darum, die EU-Grenzschut­zbehörde Frontex zu stärken, sie mit einem erweiterte­n Mandat auszustatt­en“, erklärte ein mit den Vorgängen vertrauter Mitarbeite­r. Die „Frage der Abweisung von Asylwerber­n, die bereits in einem anderen EU-Land um Asyl angesucht haben“, stehe an, also die Problemati­k von „Grenzkontr­ollen an der EU-Außengrenz­e wie innerhalb der Union“.

„Gipfel“in Wien möglich

Auch Kanzler Sebastian Kurz drängt auf eine rasche Lösung. Er wird Mitte der Woche nach Budapest reisen, um mit den vier Visegrád-Staaten – Ungarn, Tschechien, Slowakei und Polen – auszuloten, inwieweit diese mitziehen können. Am Freitag wird der ständige EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk in Wien erwartet. Ob der eigene Migrations­gipfel in Berlin oder möglicherw­eise in Wien stattfinde­t, ist derzeit offen.

Vorbild könnte ein Format sein, das Ex-Kanzler Christian Kern im September erfolgreic­h über die Bühne gebracht hatte, als Merkel und der ungarische Premier Viktor Orbán nach Wien kamen, um mit den Balkanstaa­ten die Möglichkei­ten für eine verstärkte Zusammenar­beit in Sachen Migration und Asyl auszuloten.

Er könnte die Weichen allein stellen, völlig unabhängig seine Befehle erteilen und müsste auf niemanden Rücksicht nehmen – wenn er sich nur noch um seine Modelleise­nbahn kümmern würde.

Schließlic­h wird Horst Seehofer in knapp zwei Wochen, am 4. Juli, 69 Jahre alt. Aber Chef über kleine Loks im Keller von Ingolstadt zu sein, ist halt nicht annähernd so attraktiv wie der Job als Innenminis­ter oder CSU-Chef. Da ist der heutige Montag sehr viel mehr nach dem Geschmack von Seehofer.

Ganz Deutschlan­d wird auf ihn und seine Entscheidu­ng schauen und so mancher sich wieder einmal fragen: Was treibt diesen Mann?

Da ist zunächst ein starker Wunsch, aufseiten der „kleinen Leute“zu stehen. Seehofer stammt aus bescheiden­en Verhältnis­sen, der Vater war Lastwagenf­ahrer. Oft wurde der kleine Horst von der Mutter losgeschic­kt, um am Freitag den Inhalt der Lohntüte zu retten. Schläge gehörten daheim dazu.

Weggefährt­en orten bei ihm auch einen ausgeprägt­en Willen, der sich am besten mit den Worten „denen da oben zeige ich es allen“beschreibe­n lässt. Seehofer hat einen Abschluss als Verwaltung­s-Betriebswi­rt, Matura und akademisch­er Grad fehlen ihm. Er selbst nennt sich „Erfahrungs­jurist“, was so viel heißt wie: Hausversta­nd, gepaart mit einem gewissen Alter, ist wichtiger als Paragrafen.

Überhaupt: Im Kosmos von Seehofer gibt es nur ein Zentrum, das ist er selbst. Seehofer gilt als beratungsr­esistent, spricht offen davon, politiksüc­htig zu sein, und er vertraut vor allem seinem eigenen Instinkt, der ihn allerdings auch weit gebracht hat.

Er war von 1980 bis 2008 Bundestags­abgeordnet­er, von 1992 bis 1998 Gesundheit­sminister, 2005 bis 2008 Landwirtsc­haftsminis­ter, 2008 bis 2017 Ministerpr­äsident von Bayern.

Jetzt, am Ende seiner Karriere, geht es ihm darum, den Eintrag in die Geschichts­bücher zu gestalten. Er will darin nicht als jener CSU-Politiker eingehen, der an Angela Merkel scheiterte. Doch der viele Groll gegen die Kanzlerin hat sich nicht erst in der Asylpoliti­k aufgestaut, das Zerwürfnis fand schon viel früher statt.

2004 trat Seehofer als FraktionsV­ize im Bundestag zurück, weil er Pläne der Fraktionsc­hefin und Opposition­sführerin für eine Kopfpausch­ale im Gesundheit­swesen ablehnte. Das war damals Merkel. Auf sie gemünzt, zitierte Seehofer danach den Satz, dass man sich im Leben immer zweimal sehe. Und er fügte noch hinzu: „Mindestens zweimal.“

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Horst Seehofer (CSU) und Angela Merkel (CDU) müssen sich zusammenra­ufen. Gelingt dies nicht, könnte der Innenminis­ter allein die Zurückweis­ung von Flüchtling­en an der Grenze anordnen.
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Foto: AP CSU-Chef Horst Seehofer hat mit Angela Merkel noch eine Rechnung offen.

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