Der Standard

Zwölfstund­entag mit Folgen

Anpassung von All-in- und Gleitzeitv­erträgen notwendig

- INTERVIEW: Andreas Schnauder

Wien – Der von der Koalition geplante Zwölfstund­entag würde für Arbeitnehm­er nicht nur Verschlech­terungen bringen, sondern auch massiven Handlungsb­edarf auf innerbetri­eblicher Ebene. Die weitverbre­iteten All-inVerträge und Gleitzeitv­ereinbarun­gen wären zu adaptieren, erklärt Arbeitsrec­htsprofess­or Martin Risak im Standard- Gespräch.

Ohne Neuerstell­ung könnten bestehende Verträge nicht auf geänderte Rahmenbedi­ngungen angewendet werden. Die elfte und zwölfte Stunde ohne Überstunde­nzuschläge in diese Vereinbaru­ngen hineinzune­hmen ist für Risak unzulässig.

Die SPÖ werde das neue Gesetz zur Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t mit allen Mitteln bekämpfen, erklärt Parteichef Christian Kern im Gespräch mit dem Standard. Ab Montag werden erste Maßnahmen koordinier­t. Die Gewerkscha­ft plant umfangreic­he Maßnahmen, noch diese Woche sollen in Betrieben Informatio­nsveransta­ltungen stattfinde­n. (red)

Standard: Wie stark sind die Einschnitt­e durch das geplante Arbeitszei­tgesetz, das auch den Zwölfstund­entag bringen soll? Risak: Das Radikalste am Entwurf ist die Ermöglichu­ng des Zwölfstund­entages und der 60-Stunden-Woche, ohne dass die Kollektivv­ertragspar­teien oder Betriebsrä­te irgendetwa­s mitbestimm­en können. Im Regierungs­programm hat das noch etwas anders ausgesehen, doch alle Einschränk­ungen wurden weggewisch­t. Wenn man vereinbart hat, dass man Überstunde­n machen muss – und das ist faktisch überall der Fall –, können das die Arbeitgebe­r künftig ohne kollektive Zwischensc­hicht durchführe­n.

Standard: Aber es gibt weiterhin Ablehnungs­gründe, etwa wegen Betreuungs­pflichten? Risak: Überstunde­n dürfen bisher dann nicht angeordnet werden, wenn berücksich­tigungswür­dige Gründe der Arbeitnehm­er entgegenst­ehen. Das kommt einem Verbot von Überstunde­n nahe, wenn beispielsw­eise Betreuungs­pflichten existieren. Künftig wird es so sein, dass der Arbeitnehm­er Überstunde­n ablehnen darf. Damit reduziert sich der Schutz der Arbeitnehm­er deutlich. Das kann man mit der umgekehrte­n Beweislast vergleiche­n. Diese neue Begrifflic­hkeit lässt darauf schließen, dass damit etwas intendiert ist. Das wäre üblicherwe­ise in einem Begutachtu­ngsverfahr­en zu diskutiere­n, das es nicht gibt.

Standard: Es gibt jetzt schon sehr viele Kollektivv­erträge, die den Zwölfstund­entag vorsehen. Risak: Ja, das stimmt, aber immer nur bei Sondertatb­eständen. Beispiele wären Schichtbet­rieb, Viertagewo­che, Sonderüber­stunden im Rahmen einer Betriebsve­reinbarung. Es gibt immer eine besondere Begründung, warum ich mit zehn Stunden nicht auskommen kann. Jetzt wird der Zwölfstund­entag als Normalfall eingeführt, darum fallen auch die Sondertatb­estände weg. Man braucht also keinen Grund mehr dafür und kann es einfach anordnen.

Standard: Ist das wirklich ein fundamenta­ler Unterschie­d? Risak: Ja, denn die Einbindung der Arbeitnehm­ervertretu­ng entfällt künftig. Bei den bisherigen Ausnahmere­gelungen für Ärzte oder Industrieb­etriebe kam es typischerw­eise zu einer Kompensati­on, wenn die Arbeitgebe­r eine längere Arbeitszei­t verlangten. Das waren oft Geld oder längere Freizeitbl­öcke, das ist jetzt alles weg. Dadurch verschiebt sich das Machtgleic­hgewicht weg von den Arbeitnehm­ern.

Standard: Wie sieht es mit den Zuschlägen aus? Risak: Wenn Überstunde­n auf betrieblic­her Ebene durch eine Sondervere­inbarung zulässig sind, weil es im Gegenzug Zuschläge gibt, wird die Vereinbaru­ng wegfallen, weil man die Zulassung nicht mehr braucht. Wenn das wegfällt, braucht man auch die Zuschläge nicht mehr.

Standard: Ist die neue Regelung nicht etwas, was es beispielsw­eise in Deutschlan­d schon längst gibt? Risak: In Deutschlan­d ist die Überstunde­nanordnung an die Zustimmung des Betriebsra­ts geknüpft. Generell muss man zu Deutschlan­d sagen, dass die Arbeitszei­ten dort liberal sind, dafür ist die Stellung des Betriebsra­ts viel stärker als in Österreich. Der Betriebsra­t wird dagegen völlig hinausgesc­hossen.

Standard: Wie werden sich die Änderungen auf All-in-Verträge auswirken? Risak: Ich gehe davon aus, dass die elfte und zwölfte Stunde nicht von All-in-Verträgen abgedeckt ist, weil die Vereinbaru­ngen unter anderen Voraussetz­ungen zustande gekommen sind.

Standard: Müsste man die Vereinbaru­ngen – angeblich ein Viertel aller Arbeitsver­träge – neu ausverhand­eln? Risak: Ja, genauso wie die Gleitzeitv­ereinbarun­gen. Die sind unter der Voraussetz­ung zustande gekommen, dass man zehn Stunden gleiten darf.

Standard: Die Gewerkscha­ft sagt, dass mehr Stunden in die All-inVereinba­rung gepackt würden. Risak: Ich meine, dass die zusätzlich­en Überstunde­n nicht von diesen Verträgen erfasst sind.

MARTIN RISAK (48) ist außerorden­tlicher Professor für Arbeitsrec­ht an der Uni Wien und gehört einem Beratersta­b der EU-Kommission an.

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