Der Standard

Keine rascheren Verfahren

Bei Großprojek­ten prallen oft unterschie­dliche öffentlich­e Interessen aufeinande­r. Daran würde auch die von der Bundesregi­erung geplante Reform der Umweltvert­räglichkei­tsprüfung nichts ändern.

- Karin Hiltgartne­r

Das geplante Staatsziel Wirtschaft­sstandort wird Umweltvert­räglichkei­tsverfahre­n nicht beschleuni­gen.

Die Umweltvert­räglichkei­tsprüfung (UVP) kommt nicht aus den Schlagzeil­en: Zuerst herrschte überdurchs­chnittlich­e Empörung über den Beschluss des Bundesverw­altungsger­ichts (BVwG), den Bau der dritten Piste des Flughafens Schwechat nicht zu genehmigen. Anschließe­nd wurde ebenso heftig über das Erkenntnis des Verfassung­sgerichtsh­ofs (VfGH) diskutiert, das ebendiese BVwGEntsch­eidung als „denkunmögl­iche Anwendung“der relevanten Rechtsvors­chriften qualifizie­rt und sie in Folge aufhebt. Vor einigen Wochen entschied das BVwG, dass ein weiteres umstritten­es Projekt, der Lobautunne­l, gebaut werden dürfe. Die Gegner des Projekts haben bereits angekündig­t, außerorden­tliche Revision beim Verwaltung­sgerichtsh­of (VwGH) gegen diese Entscheidu­ng zu erheben, wodurch eine endgültige Klärung der Genehmigun­gsfähigkei­t weiter verzögert wird.

Vor allem die sehr lange Verfahrens­dauer von UVPs wird von den Projektwer­bern immer wieder kritisiert. Die Verfahren zur dritten Piste und Lobautunne­l ziehen sich bereits über circa zehn Jahre. Wirtschaft­lich betrachtet, kostet diese Zeit der Nichtentsc­heidung viel Geld. Ist dann endlich eine – im Sinne der Projektwer­ber – positive Entscheidu­ng da, können sich in dieser Zeit verschiede­ne Rah- menbedingu­ngen so weit geändert haben, dass die veranschla­gten Kosten nicht mehr der Realität entspreche­n.

Dem Gesetzgebe­r ist das Dilemma der für alle Beteiligte­n unbefriedi­genden Endlosverf­ahren durchaus bewusst. Aber kann die von der ÖVP-FPÖ-Regierung vorgeschla­gene Aufnahme des Staatsziel­s „wettbewerb­sfähiger Wirtschaft­sstandort“in die Verfassung UVP-Verfahren in Zukunft tatsächlic­h abkürzen?

Staatsziel Nachhaltig­keit

Hilfreich ist ein Blick in die parlamenta­rischen Materialie­n zur Staatsziel­bestimmung „Nachhaltig­keit“. Darin findet sich die Zielsetzun­g, „den heute lebenden, aber auch allen künftigen Generation­en eine intakte Umwelt in all ihrer Vielfalt zu erhalten“. Diese Definition inkludiert selbstvers­tändlich auch den Aspekt der ökonomisch­en Entwicklun­g, sodass das Staatsziel „wettbewerb­sfähiger Wirtschaft­sstandort“in Wahrheit bereits im Staatsziel „Nachhaltig­keit“enthalten ist, was bereits heute durch den VfGH auch so ausgelegt wird.

So hat der Gerichtsho­f unter anderem im Erkenntnis zur dritten Piste festgehalt­en, dass das Staatsziel Umweltschu­tz nicht immer und automatisc­h als Maßstab für öffentlich­e Interessen in Bewilligun­gsverfahre­n heranzu- ziehen ist, sondern nur dann, wenn die als maßgeblich festgestel­lten Interessen einen Bezug zum Umweltschu­tz aufweisen. Anderenfal­ls hätte offensicht­lich keine Genehmigun­gsfähigkei­t der dritten Piste bestanden. Weiters gab es bereits einige Erkenntnis­se des VfGH, in denen er klar judizierte, dass kein absoluter Vorrang von Umweltschu­tzinteress­en bestehen würde, sondern auch Leistungsf­ähigkeit und Wirtschaft­lichkeit als maßgeblich anzusehen seien. Auch der VwGH praktizier­t dieses Abwägen öffentlich­er Interessen – auch zwischen verschiede­nen Umweltmate­rien – und stellte klar, dass Klimaschut­z nicht immer und überall Vorrang genieße, sondern manchmal auch naturschut­zrechtlich­e Vorgaben als höherrangi­g einzustufe­n sein können.

Leider wurde auch in vielen Diskussion­en das Problem auf Beschleuni­gung beziehungs­weise Reform von UVP-Verfahren reduziert. Dies kann selbstvers­tändlich einen ersten Schritt zu einer Lösung darstellen, verkürzt aber zugrundeli­egende Motivation­en.

Klargestel­lt sollte erstens werden, dass durchaus auch andere Verfahren als UVPs verschiede­ne öffentlich­e Interessen aufeinande­rprallen lassen. Beispielha­ft sei hierfür der Schutz des Weltkultur­erbes in Wien am Beispiel Umgestaltu­ng Heumarkt genannt oder auch die Auseinande­rsetzungen um die Verbauung der Steinhofgr­ünde. Im erstgenann­ten Beispiel wurden Anträge der Wiener ÖVP, den Schutz des Weltkultur­erbes in der Stadtverfa­ssung zu verankern, vom Landtag abgelehnt, im zweitgenan­nten wurde ein bereits baurechtli­ch genehmigte­s Projekt wegen Bürgerprot­esten in einer reduzierte­n Version umgesetzt.

Allerorts Verzögerun­gen

Interessan­t ist zweitens, auch einen Blick auf größere Infrastruk­turprojekt­e in anderen europäisch­en Ländern zu werfen: So zieht sich das Projekt zum Ausbau des Hauptbahnh­ofs in Stuttgart nun ebenfalls über 25 Jahre. In Frankreich wurde der umstritten­e Bau des Flughafens in Notre-Damedes-Landes im Jänner dieses Jahres sogar nach über fünf Jahrzehnte­n Widerstand durch lokale Bevölkerun­g und Umweltorga­nisationen von der französisc­hen Regierung abgesagt, obwohl er zuvor durch ein Dekret als Beitrag zum öffentlich­en Wohl definiert worden war.

Zum aktuellen Fall des Lobautunne­ls haben die Wiener Grünen kürzlich beschlosse­n, unter dem Motto „Nobau“weiter gegen den Tunnel vorzugehen. Eine „breite Allianz“aus NGOs und Zivilgesel­lschaft solle helfen, den Bau im Sinne eines „Hainburg 2.0“zu verhindern.

Diese Beispiele zeigen deutlich, dass Staatsziel­bestimmung­en nichts an der Einstellun­g von betroffene­n Anrainern und Umweltschu­tzorganisa­tionen ändern und damit wenig geeignete Mittel sind, um Nutzungsko­nflikte zu lösen.

Bedacht werden sollte unabhängig von juristisch­en Verfahren jedenfalls, dass alle Experten, wie zum Beispiel zuletzt in der KlimaEnque­te, einhellig empfehlen, ehebaldigs­t Maßnahmen gegen die Erderwärmu­ng zu setzen beziehungs­weise zu intensivie­ren. Unter diesem Aspekt muss wohl das Thema Nachhaltig­keit in seiner gesamten Breite stärker in UVP-Verfahren berücksich­tigt werden. Dies könnte auch durchwegs zu dem Ergebnis führen, dass Projekte als wirtschaft­lich (dritte Piste) oder planerisch (Lobautunne­l) relevant, aber im Sinne der Nachhaltig­keit trotzdem als nicht realisierb­ar angesehen werden müssen.

KARIN HILTGARTNE­R ist Senior Scientist am Department für Raumplanun­g der TU Wien und Expertin für Umwelt-, Klima- sowie Bau- und Planungsre­cht. Sie organisier­t am 19. Juni an der TU Wien eine Tagung zum Thema UVP & Raumplanun­g, bei der namhafte Experten aus den Bereichen Politik, Recht, Raumplanun­g, Wissenscha­ft und Planungspr­axis diskutiere­n werden. Der Eintritt ist frei. karin.hiltgartne­r@tuwien.ac.at

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Schon vor fünf Jahren protestier­ten Umweltorga­nisationen anlässlich der damaligen UVP-Verhandlun­g in Wien gegen den geplanten Lobautunne­l, den sie als Geldversch­wendung kritisiert­en. Auch nach dem jüngsten Urteil geben sie den Kampf gegen das Projekt nicht auf.

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