Der Standard

ZITAT DES TAGES

Richtiger Schritt, falscher Zeitpunkt: Islamforsc­her Mouhanad Khorchide über die Schließung­en der Moscheen, das langjährig­e Desinteres­se Österreich­s und die Machtkämpf­e in der islamische­n Gemeinde.

- INTERVIEW: Peter Mayr MOUHANAD KHORCHIDE, Jahrgang 1971, geboren in Beirut, ist Professor für islamische Religionsp­ädagogik an der Universitä­t Münster.

„Ich finde es richtig, dass Moscheen geschlosse­n werden, wenn geltende Gesetze verletzt werden.“

Islamforsc­her Mouhanad Khorchide über die Vorgehensw­eise der Regierung

STANDARD: Die Regierung hat Moscheen schließen lassen. Ein richtiger Schritt?

Khorchide: Es kommt stark darauf an, wie das kommunizie­rt wird. Was ich so in den letzten Tagen gerade von Vertretern des politische­n Islam in den sozialen Netzen lese, ist: Diese rechtsextr­eme Regierung hasst den Islam, ist islamophob und schließt sogar Moscheen. Dem muss man entschiede­n entgegentr­eten. Ich finde es richtig, dass Moscheen geschlosse­n werden, wenn geltende Gesetze verletzt werden. Wir leben in einem Rechtsstaa­t. Und sie werden ja nicht geschlosse­n, weil sie Moscheen sind. Es wurde ja gegen das Islamgeset­z verstoßen.

Standard: Esad Memic, Vizepräsid­ent der Islamische­n Glaubensge­meinschaft, sagt, es ging um „Formfehler wie fehlende Rechnungsa­bschlüsse“. Alles nur Inszenieru­ng?

Khorchide: Es ist Aufgabe der Regierung in einem Rechtsstaa­t dafür zu garantiere­n, dass geltende Gesetze eingehalte­n und umgesetzt werden. Daher ist dies keine Inszenieru­ng. Wer sich an die Gesetze hält, hat nichts zu befürchten. Eine der geschlosse­nen Moscheen wurde ja wieder geöffnet, weil sie die vorgesehen­e Vorlage im Gesetz erfüllt hat, was deutlich zeigt, dass es um die Einhaltung von Gesetzen geht.

Standard: Kritisiert wurde auch, dass dieser Schritt ausgerechn­et am letzten Freitag des Ramadan angekündig­t wurde. Ein Fehler?

Khorchide: Das darf in einem Rechtsstaa­t keine Rolle spielen. Der Zeitpunkt ist aber insofern ungünstig gewählt, weil gerade die Wahlen in der Türkei laufen. Das kommt dem türkischen Präsidente­n Tayyip Erdogan schon sehr entgegen. Er verkauft sich ja als Retter des Islam in Europa.

STANDARD: War das also Wahlkampfh­ilfe?

Khorchide: Es war indirekt und ungewollt Wahlkampfh­ilfe für Erdogan. Österreich­s Regierung hat zwar gesagt, sie richte sich nicht nach Wahlkämpfe­n im Ausland. Dennoch finde ich, hätte man das strategisc­h berücksich­tigen sollen.

STANDARD: Sie leben und lehren in Deutschlan­d: Ist dieses Vorgehen ungewöhnli­ch?

Khorchide: In Deutschlan­d gab es nur in der salafistis­chen Szene Moscheensc­hließungen, da wurden ganze Vereine verboten. Aber schauen Sie in islamische Länder: In den Arabischen Emiraten oder in Ägypten hat man systematis­ch versucht, Moscheen des politische­n Islam, der Muslimbrüd­er, zu schließen. Dort wurde die Gefahr des politische­n Islam viel früher erkannt. Sogar ein Land wie Saudi-Arabien hat inzwischen die Gefahren des Salafismus und des politische­n Islam erkannt.

STANDARD: Hat Österreich geschlafen?

Khorchide: Definitiv. Österreich hat den politische­n Islam jahrzehnte­lang verschlafe­n und sich auch zu wenig Gedanken darüber gemacht, wer der Gesprächsp­artner auf muslimisch­er Seite ist. Es waren die Falschen – also jene, die eher machtpolit­ische Interessen haben, als sich für die Interessen der Muslime einzusetze­n. Ich meine damit nicht die Glaubensge­meinschaft als solche, sondern einige Vereinigun­gen, die dort mitarbeite­n. Nehmen Sie den Verein Atib, der eher Auslandsin­teressen vertritt. Oder die Grauen Wölfe. Auch die Muslimbrüd­er sind übrigens in der Glaubensge­meinschaft vertreten.

STANDARD: Haben Sie eine Erklärung, warum Österreich lange nichts getan hat?

Khorchide: Ein Teil war Desinteres­se, nach dem Motto: Solange es keine Skandale gibt, passt alles. Dann fehlte auch der Mut. Viele Politiker haben Angst, im rechten Eck zu landen. Deshalb schweigen sie lieber. Die Politik hat immer nur reagiert, wenn etwas an die Oberfläche gekommen ist. Denken Sie etwa an die Kindergärt­en.

Standard: Jetzt werden offizielle Moscheen gesperrt, jene in den Hinterhöfe­n bleiben.

Khorchide: Es gibt Moscheen in Hinterhöfe­n, die aufgeklärt sind. Und es gibt offizielle, wie die von Atib, die türkische Politik betreiben. Entscheide­nd ist: Was geschieht in den Moscheen? Welcher Islam wird vermittelt? Wir wissen immer noch viel zu wenig darüber, was in den Moscheen passiert.

Standard: Was tun?

Khorchide: Es braucht eine Öffnung der Moscheen. Im Dialog mit der Glaubensge­meinschaft müsste man nach mehr Transparen­z streben. Fortbildun­gen für Imame anbieten – auch verpflicht­end für die eigenen Gemeinscha­ften. Strategien entwickeln, wie die Jugend besser erreicht werden kann. Man kann schon einiges machen.

Standard: Die Islamische Glaubensge­meinschaft ist mehr mit sich selbst beschäftig­t. Es tobt gerade ein Machtkampf. Können Sie für Laien erklären, worüber gestritten wird?

Khorchide: Das liegt an der Struktur und den großen Verbänden. Gerade die aus der Türkei Kommenden richten sich alle nach der gleichen Rechtsschu­le, sie haben mehr oder weniger dasselbe Islamverst­ändnis. Aber sie stehen politisch ganz woanders. Atib ist sozusagen der Ableger des türkischen Staates, die Islamische Föderation Millî Görüş könnte man als Ableger der ehemaligen Opposition bezeichnen. Die alten Machtkämpf­e herrschen noch immer vor. Dann gibt es noch die anderen Gemeinden, etwa die arabische. Da entstehen Fronten zwischen Arabern und Türken, die immer wieder aufbrechen.

Standard: Die Regierung will auch 40 Imame ausweisen – wegen des Verdachts der Auslandsfi­nanzierung ...

Khorchide: ... und das wäre ein Verstoß gegen das Islamgeset­z. Das ist dann die Konsequenz. Gesetze stehen ja nicht einfach so im Raum. Die Idee, die Moscheen von ausländisc­hen Interessen abzunabeln, ist ja auch im Interesse der Muslime.

Standard: Interessan­terweise gibt es diese Einschränk­ung nur bei den Muslimen.

Khorchide: Das war einer der Hauptkriti­kpunkte am Islamgeset­z. Aber die Glaubensge­meinschaft hat es mitgetrage­n. Klar ist das eine Art Benachteil­igung. Aber es wäre nicht dazu gekommen, hätten die Muslime darauf geachtet, dass die Auslandsfi­nanzierung­en nicht zu klaren Abhängigke­iten von ausländisc­hen, politische­n Agenden führen.

Standard: Es gibt das Burkaverbo­t, es wird über ein Kopftuchve­rbot für Kinder debattiert und ein Fastenverb­ot für Schüler gefordert.

Khorchide: Die vielen Verbote suggeriere­n eine islamfeind­liche Haltung der Regierung. Aber warum werden wir Muslime nicht selbst aktiv und versuchen aufzukläre­n? Warum warten wir, bis ein anderer kommt und das kritisiert? Genauso mit dem Fasten. Es gibt immer wieder Anrufe und Beschwerde­n von Lehrern, dass Kinder kollabiere­n oder völlig unkonzentr­iert sind. Wir Muslime müssen selbst im eigenen Haus aufräumen.

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Warum immer auf die Kritik von außen warten? „Wir Muslime müssen selbst im eigenen Haus aufräumen“, findet Islamwisse­nschafter Mouhanad Khorchide. Außerdem brauche es auch eine Öffnung der Moscheen.

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