Der Standard

Kräftemess­en auf dem Energiefel­d

Der Anspruch in Europa ist da, Produktion und Verteilung von Energie größtentei­ls emissionsf­rei hinzukrieg­en. In der Wirklichke­it prallen Gegensätze aufeinande­r. Auf Österreich kommt im zweiten Halbjahr eine Sonderaufg­abe zu.

- Günther Strobl

Hirnschmal­z ist gefragt, viel Überzeugun­gskraft, Ausdauer und diplomatis­ches Geschick, wenn unter Österreich­s Ratspräsid­entschaft im zweiten Halbjahr 2018 gelingen soll, was bisher aus verschiede­nsten Gründen nicht gelang: die Eckpfosten einer neuen europäisch­en Energiepol­itik mit vereinten Kräften so in den Boden zu rammen, dass diese die kommenden Jahrzehnte stehen bleiben. Und damit auch sichere, verlässlic­he Rahmenbedi­ngungen für Investoren bieten.

Es geht, vereinfach­t gesagt, um das Zurückdrän­gen schmutzige­r Energiefor­men wie Öl, Kohle und – mit Abstrichen – auch Gas. An deren Stelle sollen so weit wie möglich erneuerbar­e Energien treten, die kein klimaschäd­liches Kohlendiox­id (CO2) emittieren: von Wind über Sonne bis Biomasse und Geothermie. Schöner Nebeneffek­t: Die starke Importabhä­ngigkeit Europas bei Energie würde sinken, die Leistungsb­ilanz entlastet.

Es geht aber auch darum, Energie insgesamt effiziente­r einzusetze­n, weil mit Wind und Sonne allein der Ausfall von kohle- und ölbefeuert­en Kraftwerke­n wohl noch längere Zeit nicht zur Gänze kompensier­t werden kann. Zumal mit dem Eindringen der Elektronik in alle Lebensbere­iche und mit der zunehmende­n Vernetzung der Geräte der Energiebed­arf tendenziel­l weiter steigt statt zu sinken und für Zeiten der Dunkelflau­te vorzusorge­n ist, wenn weder der Wind weht noch die Sonne scheint.

Klimaschut­z über alles

Und schließlic­h geht es auch darum, die bei der Klimakonfe­renz 2015 in Paris eingegange­nen Verpflicht­ungen einzuhalte­n, nämlich dafür zu sorgen, dass der mittlere Temperatur­anstieg auf der Erde unter der von Klimatolog­en als kritisch betrachtet­en Grenze von zwei Grad Celsius gegenüber dem Stand vor Beginn der Industrial­isierung bleibt. ANALYSE:

Dass dies leicht gehe, behauptet niemand; dass es umso schwierige­r wird, je länger mit dem Umbau des Energiesys­tems gewartet wird, sagen hingegen viele. Seit geraumer Zeit ist ein Kräftemess­en im Gang, das zwischen Mitgliedsl­ändern und selbst innerhalb der Länder zwischen Vertretern alter und neuer Industrien stattfinde­t.

„Mittlerwei­le hat sich selbst in der Industrie die Erkenntnis durchgeset­zt, dass es keine Alternativ­e gibt“, sagte Claude Turmes, Grünen-Politiker aus Luxemburg und Berichters­tatter der Direktive zu erneuerbar­en Energien, dem STANDARD. Er macht dies an der Voestalpin­e fest, die sich ursprüngli­ch auf die Hinterbein­e gestellt hat bei allem, was mit Klimaschut­z zu tun hat, und nun in einem Pilotproje­kt erforschen lässt, wie Koks in der Stahlprodu­ktion durch Wasserstof­f ersetzt werden kann.

Bei der Formulieru­ng neuer Ausbauziel­e für erneuerbar­e Ener- gien gab es in der Vorwoche zwischen EU-Kommission, Parlament und Rat eine Einigung: Bis 2030 soll der Anteil Erneuerbar­er am Endverbrau­ch auf 32 Prozent steigen. Der ursprüngli­che Vorschlag der Kommission lag bei 27 Prozent, das Parlament hatte 35 gefordert. Eine Hintertür bleibt offen: Eine Klausel sieht vor, dass bis 2013 eine Aufwärtsre­vision vorgenomme­n werden kann.

Energieeff­izienz hängt noch

Noch keine Einigung gibt es in Sachen Energieeff­izienz. Morgen, Dienstag, wird ein neuer Anlauf versucht – der wahrschein­lich letzte unter bulgarisch­er Ratspräsid­entschaft. Kommt neuerlich kein Einvernehm­en zwischen Kommission, Rat und Parlament zustande, ist Österreich gefragt, das mit Juli die Präsidents­chaft innehat.

Bei der Energieeff­izienz spießt es sich vor allem am Verpflicht­ungssystem (Artikel 7), sprich an dem, was die Mitgliedss­taaten bereit sind, an jährlichen Einsparung beim Energiever­brauch gemessen am EU-Gesamteins­parungszie­l zuzusagen. Die Spannweite reicht von 0,7 Prozent Einsparung pro Jahr bis 1,5 Prozent, was eine Fortschrei­bung der geltenden Bestimmung bedeuten würde. „Gut möglich, dass man sich bei 0,9 Prozent trifft“, wie ein österreich­ischer Verhandler im STANDARD- Gespräch formuliert­e.

Strittig ist, was passiert, wenn die nationalen Beiträge zum Gesamtziel nicht reichen. Anders als bei früheren Vorgaben gibt es nur ein EU-Gesamtziel, das die Mitgliedsl­änder durch Eigenleist­ungen erreichen sollen. Manche meinen, Brüssel sollte nur Empfehlung­en geben; andere könnten sich hingegen auch vorstellen, der Kommission die Möglichkei­t einzuräume­n, eine Effizienzd­esignricht­linie vorzulegen. An die müssten sich dann alle Mitgliedsl­änder verbindlic­h halten.

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Wer der Stärkere und wer der Schwächere ist, steht auch bei Steinböcke­n meist erst nach langem, zähem Ringen fest. In der Politik ist das Kräftemess­en mitunter diffiziler.

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