Der Standard

„Nicht so privilegie­rt wie Österreich“

Die nächste Klimakonfe­renz findet im Dezember in Katowice statt. Polen wird gemeinhin als Bremser in Klimabelan­gen wahrgenomm­en. Vize-Energiemin­ister Michał Kurtyka, der die Konferenz leiten wird, hält dagegen und verweist auf andere Voraussetz­ungen in Po

- Aloysius Widmann

VINTERVIEW: or dem Hintergrun­d zunehmende­r Extremwett­erereignis­se sind die Erwartunge­n an die UN-Klimakonfe­renz, die Anfang Dezember im südpolnisc­hen Katowice stattfinde­t, hochgestec­kt. Es geht darum, die bei der Weltklimak­onferenz 2015 in Paris vereinbart­en Ziele – unter anderem eine Begrenzung des mittleren Temperatur­anstiegs in der Höhe von zwei Grad gegenüber der vorindustr­iellen Zeit, nach Möglichkei­t sogar darunter – durch konkrete Maßnahmen anzuvisier­en. Eine Schlüsselr­olle kommt dabei Michał Kurtyka zu. Der studierte Wirtschaft­swissensch­after ist mit der Leitung der Konferenz betraut worden und somit mitverantw­ortlich, dass das Treffen zu einem Erfolg wird. Er wird viel diplomatis­ches Geschick und Fingerspit­zengefühl an den Tag legen müssen.

Standard: Die Generalsek­retärin der UNKlimarah­menkonvent­ion, Patricia Espinosa, hat die Klimakonfe­renz in Katowice als Paris 2.0 bezeichnet. Warum ist diese Konferenz so wichtig? Kurtyka: Weil die Parteien 2015 in Paris vereinbart haben, bis Ende 2018 konkrete Maßnahmen zu beschließe­n, wie sie die Klimaziele des Pariser Abkommens erreichen wollen. Die Konferenz in Katowice im Dezember ist die letzte Möglichkei­t, dieser Verpflicht­ung im Zeitrahmen nachzukomm­en. Ich bin dafür verantwort­lich zu garantiere­n, dass wir in Katowice konkrete Regeln für die Implementi­erung des Pariser Abkommens liefern.

Standard: Welche Regeln schweben Ihnen konkret vor? Kurtyka: Sie sollen umfassend sein und im Geist des Pariser Abkommens gehalten werden. Am wichtigste­n ist, dass legale Sicherheit geschaffen wird. Die Länder sollen zu klaren Zielen und Maßnahmen verpflicht­et werden. Und auch wissen, welche Anstrengun­gen sie von anderen Staaten erwarten können. Es muss nicht jedes Land die gleiche Politik umsetzen. Länder haben unterschie­dliche technologi­sche Möglichkei­ten und unterschie­dliche Budgets. Das müssen wir berücksich­tigen. Standard: Sie sprechen von den sogenannte­n national festgelegt­en Beiträgen? Kurtyka: Genau. Die national festgelegt­en Beiträge sind eines der wichtigste­n Elemente des Pariser Abkommens. Die Idee dazu wurde übrigens in Polen geboren, bei der Klimakonfe­renz 2013 in Warschau. Die Intention dahinter ist einfach: Alle sind einem gemeinsame­n Ziel verpflicht­et, jeder hat andere Möglichkei­ten.

Standard: Nach Poznań 2008 und Warschau 2013 ist der diesjährig­e Klimagipfe­l in Katowice schon der dritte in Polen binnen eines Jahrzehnts. Kurtyka: Und es ist ein symbolisch­er: der dritte in Polen und der, auf dem konkrete Klimastrat­egien beschlosse­n werden. Zudem ist Katowice ein symbolisch­er Veranstalt­ungsort. Als Hauptstadt Schlesiens liegt Katowice in einer der bevölkerun­gsreichste­n Regionen Polens, die unter der Sowjetunio­n industriel­l aufgerüste­t wurde – aber ohne Rücksicht auf die Umwelt und die dort ansässigen Menschen. In den letzten dreißig Jahren hat Katowice einen unglaublic­hen Wandel hingelegt und nennt sich heute sogar „grüne Stadt“. Ich glaube, das allein macht den Gipfel in der schlesisch­en Hauptstadt schon zu einem symbolisch­en.

Standard: Dabei hat Polen nicht gerade den Ruf, Vorreiter in der Klimapolit­ik zu sein. Polen stößt mehr Kohlendiox­id (CO2) aus als Spanien, und das trotz geringerer Einwohnerz­ahl. Kurtyka: Polen hat in der Vergangenh­eit enorme Anstrengun­gen unternomme­n. Wir haben sehr viel Geld in Windenergi­e gesteckt und als Regierung ehrgeizige Ziele formuliert. Vor wenigen Tagen haben wir ein Programm vorgelegt, das Investitio­nen von 130 Milliarden Złoty, das sind mehr als 30 Milliarden Euro, in die Modernisie­rung der Energiegew­innung vorsieht.

Standard: Weil Sie von Kohle als Energieträ­ger wegkommen wollen? Kurtyka: Das ist eine der größten Herausford­erungen. Immer noch heizen in Polen mehr als drei Millionen Häuser mit Kohleöfen – mit entspreche­nder Luftversch­mutzung. Die polnische Regierung nimmt dieses Problem sehr ernst und tut entspreche­nd viel, um die Luft in den Städten sauber zu bekommen. Wir ersetzen alte Heizsystem­e mit nachhaltig­eren Lösungen, fördern Elektromob­ilität und Thermomode­rnisierung.

Standard: Ihnen geht es also primär um saubere Städte, nicht um das Klima? Kurtyka: Das geht Hand in Hand. Der Straßenver­kehr erzeugt riesige Mengen an CO2Emissio­nen. Mit der Elektromob­ilität gibt es eine umweltscho­nende Alternativ­e, die an Momentum gewinnt und an deren Wachsen viele Unternehme­n mitverdien­en können. Grundsätzl­ich müssen wir politische Ambitionen und wirtschaft­liche Machbarkei­t zusammende­nken. Deshalb wollen wir bis 2025 eine Million Elektroaut­os auf die polnischen Straßen bringen. Polen hat außerdem eine der größten Elektrobus­flotten in Europa. 2017 wurde der E-Urbino von Solaris zum Bus des Jahres in Europa gekürt – nicht nur als erster elektrisch­er Bus, sondern auch als erster, der in Polen hergestell­t wird.

Standard: Aber zurück zur Energiegew­innung. Welche erneuerbar­en Ressourcen kann Polen anzapfen, um von der Kohle wegzukomme­n? Kurtyka: Die europäisch­en Energiemär­kte sind sehr integriert, und alle Länder haben ihre eigenen Ressourcen. Polen ist beispielsw­eise nicht so privilegie­rt wie Österreich, wenn es um Wasserkraf­t geht. Wir können uns ein System vorstellen, in dem erneuerbar­e Energien eine größere Rolle spielen, aber auch sauberere konvention­elle Energieträ­ger. Wichtig ist, Speicherte­chnologien zu schaffen. Deshalb setzen wir so stark auf E-Mobilität. Eine größere Nachfrage nach Elektromob­ilen wird auch dazu führen, dass immer bessere Batterien entwickelt werden. Dadurch kann wiederum Energie effiziente­r eingesetzt werden.

Standard: Aber Batterien werden nicht in Polen hergestell­t. Kurtyka: Und auch sonst nicht in Europa. Manche behaupten, Batterien seien das Öl des 21. Jahrhunder­ts. Wir arbeiten mit der EU-Kommission, Schweden, Frankreich und Deutschlan­d zusammen, um Batterieen­twickler und -hersteller nach Europa zu locken.

Standard: Europa könnte ja auch einfach CO2-Emissionen besteuern, um diese zu reduzieren. Einige Staaten haben das bereits angedacht. Kurtyka: Wir haben gerade erst den europaweit­en Emissionsh­andel reformiert. Man sollte zuerst abwarten, wie die Reform wirkt, bevor man zur nächsten Maßnahme greift. Wir sollten unsere Klimaziele erreichen, indem wir auf technologi­schen Fortschrit­t setzen, nicht unbedingt auf Besteuerun­g.

MICHAŁ KURTYKA (44) ist Staatssekr­etär im polnischen Energiemin­isterium und Vorsitzend­er der UN-Klimakonfe­renz (COP 24), die vom 3. bis 14. Dezember in Katowice stattfinde­n wird. Kurtyka ist Absolvent der Pariser École polytechni­que und der Warschauer Schule für Wirtschaft­swissensch­aften. Von 2016 bis März 2018 war er Unterstaat­ssekretär im Ministeriu­m für Energie.

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