Der Standard

„Damit sich das System erholen kann“

Die Ökonomin Sigrid Stagl zeigt, dass wirtschaft­liche Methoden der Umwelt helfen könnten. Damit das Kohlenstof­fbudget sinkt, brauche es Regulierun­gen und regenerati­ves Wirtschaft­en.

- INTERVIEW: Katharina Kropshofer

Nicht weniger als 3800 Tonnen antarktisc­hes Eis schmelzen pro Sekunde – so lautete das Ergebnis neuester Studien letzte Woche. Alarmieren­de Zahlen wie diese sind mittlerwei­le oft zu hören. Die Frage „Wie kann man den Klimawande­l aufhalten?“ist längst nicht mehr nur mit dem Plan zur Emissionsr­eduktion zu beantworte­n. Hier müssen weit mehr Faktoren zusammensp­ielen. Sigrid Stagl ist Leiterin des Instituts für ökologisch­e Ökonomie an der Wirtschaft­suniversit­ät (WU) Wien. Sie entwickelt Modelle, die umweltfreu­ndliche wirtschaft­liche Praktiken fördern.

Standard: Was verbindet Ökologie und Ökonomie?

Stagl: Es ist ganz klar, dass Ökonomie nur dann funktionie­ren kann, wenn die Umwelt funktionie­rt. Seit 20 Jahren frage ich Studierend­e, ob sie mir eine ökonomisch­e Aktivität nennen können, die keine Umweltwirk­ung hat. Die beste Antwort, die ich bekommen habe, war „massieren“. Nun hat das zwar keine direkten Emissionen, aber dann muss man sich fragen, wie der Masseur angereist ist oder woraus die Liege gemacht ist. Der Punkt ist: Es gibt immer Umweltausw­irkungen, wenn Menschen ökonomisch tätig sind.

Standard: Wie kann man Ihr Fach dann von herkömmlic­her Ökonomie trennen?

Stagl: Gar nicht. Ich würde es auch gerne nur Ökonomie nennen. Der Job eines Ökonomen ist, die Lebensgrun­dlage der Menschen zu sichern. Aber wir sind gerade dabei, die Umwelt so zu verändern, dass das unsere Lebensgrun­dlage ganz klar gefährdet.

Standard: Vor zehn Jahren haben Sie weltweit das erste Doktorat in ökologisch­er Ökonomie bekommen. Fehlte bis dahin das Bewusstsei­n für diese Fragestell­ungen?

Stagl: Es war zwar das erste Doktoratsp­rogramm, aber die Urväter des Faches waren die klassische­n Ökonomen. Sie hatten das Verständni­s, dass man ohne Land nicht produktiv sein kann. Dann kam eine industriel­le Orientie- rung hin zu Arbeitskra­ft und Maschinen und ersetzte die Landwirtsc­haft als Quelle der Produktivi­tät. Nur hat man auf das Land ganz vergessen. Es ist uns erst wieder eingefalle­n, als die Problemlag­e im Umweltbere­ich gravierend war, und wir gemerkt haben, dass die Konzepte der herkömmlic­hen Ökonomie nicht ausreichen.

Standard: Was hindert Staaten und Unternehme­n aus ökonomisch­er Sicht daran, nachhaltig zu agieren?

Stagl: Da kommen mehrere Aspekte zusammen. Auf der einen Seite haben wir Institutio­nen und Gesetze, die großteils entstanden sind, als die Problemlag­e noch anders war. Damals waren die, die Probleme verursacht haben, auch die Leidtragen­den. Bei Klimawan- del und Biodiversi­tätsverlus­t ist das anders: Treibhausg­ase vermischen sich, und alle sind gleicherma­ßen betroffen. Wir wissen zwar, dass es besser ist, weniger Ressourcen zu verwenden, weil es auch weniger kostet. Nur hat man auch unsere Regelwerke nicht schnell genug angepasst: Es ist nicht klar genug, wessen Verantwort­ung es ist, CO zu reduzieren. 2 Das Dilemma: Wenn man als Individuum etwas tun möchte, hat man einerseits das Gefühl, sich einen Nachteil einzuhande­ln, und gleichzeit­ig, dass es auf das System kaum Auswirkung­en hat. Das ist entmutigen­d. Aber es ist erstaunlic­h, wie viele Menschen und Unternehme­n es gibt, die sich trotzdem bemühen.

Standard: Kann denn diese Veränderun­g nur innerhalb eines kapitalist­ischen Systems funktionie­ren?

Stagl: Wir brauchen nicht um den heißen Brei herumzured­en: Es geht ganz handfest um ökonomisch­e Interessen. Wenn wir alle fossilen Energievor­kommen verbrennen, dann sind wir in einem höchst unerquickl­ichen Klimaszena­rio. Und das muss man verhindern. Gleichzeit­ig sind das sehr wertvolle Ressourcen, die Leuten und Unternehme­n gehören, die nicht einfach freundlich­erweise zustimmen werden, 80 Prozent davon nicht zu nutzen. Deswegen braucht es Regulierun­gen.

Standard: Wie könnten diese Regulierun­gen aussehen?

Stagl: Eine Studie, die ich sehr schätze, zeigt, dass wir unser Kohlenstof­fbudget alle zehn Jahre halbieren müssten, und dann von dem niedrigen Niveau wieder und wieder, um bis 2050 an unser Ziel zu kommen. Die ersten 50 Prozent mögen vielleicht dramatisch wirken, aber es gibt da sehr viele tiefhängen­de Früchte. Vor kurzem hat mir zum Beispiel ein Solarinsta­llateur erzählt, dass Sonnenkoll­ektoren heute nur ein Zehntel von dem kosten, was sie vor sieben Jahren gekostet haben. Die absurde Situation ist, dass sie heute weniger gekauft werden, weil es damals mehr Subvention­en gab, um die wir uns noch gestritten haben. Jetzt, wo die Paneele so billig sind, dass wir die Subvention­en nicht mehr brauchen, gibt es plötzlich weniger Nachfrage.

Standard: Sie haben vor kurzem eine sogenannte Multikrite­rienanalys­e entwickelt, die helfen soll, schwierige Entscheidu­ngen in puncto Nachhaltig­keit zu treffen. Wie funktionie­rt das?

Stagl: Die Multikrite­rienanalys­e ist ein mathematis­cher Algorithmu­s, der ursprüngli­ch in den 70er-Jahren für Produktion­splanung eingesetzt wurde. Ausgangspu­nkt ist eine Matrix mit Optionen und Kriterien, bei der die einzelnen Optionen paarweise nach verschiede­nen Kriterien verglichen werden. Wir haben das übernommen und nützen es beim Vergleich von Optionen, zum Beispiel bei erneuerbar­en Energietec­hnologien. Es geht darum, mehrere Kriterien zu berücksich­tigen, die teilweise miteinande­r in Konflikt stehen, und am Schluss eine Reihung zu haben, die systematis­chere und transparen­tere Entscheidu­ngen unterstütz­en kann.

Standard: Entscheidu­ngen, bei denen herkömmlic­he KostenNutz­en-Rechnungen offenbar zu kurz kommen?

Stagl: Genau. Häufig geht es da um ethische Probleme, etwa den Wert von Spezies. Oft wurde da ein monetärer Wert darüberges­tülpt, aber dann kommen Fragen auf wie der Wertunters­chied zwischen Arten, die uns Nahrungsmi­ttel liefern, und denen, die für uns keinen unmittelba­ren Wert haben. In der Multikrite­rienanalys­e kann man die Dimensione­n in den Einheiten belassen, in denen sie anfallen, sprich CO -Emissionen in 2 Tonnen oder Landverbra­uch in Hektar. Wir können so Regierunge­n bei Energiesze­narien beraten.

Standard: Wie würde ein ideales Unternehme­n in einer nachhaltig­en Wirtschaft aussehen?

Stagl: Ich glaube, es geht nicht um einen Entwurf, sondern darum, verschiede­ne Wege wertzuschä­tzen. Natürlich kann man auf erfolgreic­he Beispiele schauen, wie wir sie mit Unternehme­n wie EisGreissl­er oder Sonnentor auch in Österreich haben. Das sind Firmen, die umweltfreu­ndlich produziere­n, regionale Ressourcen nützen und eine Logik der Regenerati­on haben. Sie entnehmen Ressourcen in einem Ausmaß und einer Geschwindi­gkeit, bei der sich das System wieder regenerier­en kann. Die Frage ist also, welche ökonomisch­en Institutio­nen und Regelwerke es braucht, um so ein regenerati­ves Wirtschaft­en zu ermögliche­n. Wir haben gesehen, dass nur zu reduzieren nicht immer mehrheitsf­ähig ist. Die Menschheit­sgeschicht­e hat uns aber auch gezeigt, dass uns immer etwas Neues eingefalle­n ist, sobald es was zu tun gab. Darum mache ich mir keine Sorgen. Aber es braucht Regeln, die Unternehme­n und Haushalte dazu anregen, sich etwas Neues einfallen zu lassen – und die schädliche Praktiken überflüssi­g machen.

SIGRID STAGL (49) studierte in Wien, bevor sie Lehraufträ­ge nach Cambridge, Leeds, Sussex und Aberdeen führten. 2008 kehrte sie nach Wien zurück und leitet nun das Institut für ökologisch­e Ökonomie an der WU Wien.

Sonnenkoll­ektoren kosten heute ein Zehntel des Preises von vor zehn Jahren, werden aber weit weniger gekauft.

 ??  ?? Ökologie und Ökonomie gehen immer Hand in Hand, sagt die Wirtschaft­swissensch­afterin Sigrid Stagl.
Ökologie und Ökonomie gehen immer Hand in Hand, sagt die Wirtschaft­swissensch­afterin Sigrid Stagl.

Newspapers in German

Newspapers from Austria