Der Standard

Von Lohnraub und anderen Grausamkei­ten

Die Modernisie­rung der Arbeitszei­t hat sich das kommunikat­ive Chaos der vergangene­n Tage nicht verdient. Ein paar klärende Worte zur Regierungs­vorlage über den Zwölfstund­entag und zum heftigen Widerstand dagegen.

- Wolfgang Nagl Lukas Sustala

Die Regierung hat recht: 100 Jahre nach der gesetzlich­en Verankerun­g des Achtstunde­ntags ist es höchst an der Zeit, die Arbeitszei­tregelunge­n in Österreich zu flexibilis­ieren.

Schließlic­h ist die Produktion individuel­ler geworden und Unternehme­n stärker von Auftragssp­itzen abhängig. Arbeit sollte also verstärkt dann geleistet werden, wenn sie anfällt, will man als Arbeitgebe­r keine Aufträge und Kunden verlieren.

Zugleich hat die Vereinbark­eit von Familie und Beruf bei den Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­ern einen ganz anderen Stellenwer­t als noch vor wenigen Jahrzehnte­n, der Trend zu einer stärkeren Selbstbest­immung des Arbeitsall­tags ist auch unabhängig von der Familiensi­tuation augenschei­nlich. Die Wirtschaft­skrise von 2008 hat zudem gezeigt, wie wichtig es ist, im Fall von Auftragsei­nbußen mit Kurzarbeit oder Arbeitszei­tkonten statt Entlassung­en zu reagieren. Mehr Flexibilit­ät schafft mehr Arbeit. Sie ist also ein wichtiger Bestandtei­l eines künftig erfolgreic­hen Wirtschaft­sstandorts und damit auch der Wohlstands­sicherung aller.

Der Plan der Regierung, die Arbeitszei­ten so zu flexibilis­ieren, dass täglich maximal zwölf und wöchentlic­h maximal 60 Stunden gearbeitet werden können, ist zu begrüßen. Gegen die Gesetzesin­itiative ist nun viel Kritik laut geworden, zum Teil berechtigt, zum größeren Teil aber stellt sie sich bei genauer Betrachtun­g als bloße Rhetorik heraus.

So bezichtige­n SPÖ und Gewerkscha­ft die Regierung des „Lohnraubs“, obwohl sich die Voraussetz­ung für die Auszahlung von Überstunde­n bei Gleitzeit gar nicht ändert, wie etwa der Arbeitsrec­htler Roland Gerlach in der Kleinen Zeitung betont: Die Zuschläge fallen eben nicht weg. Wer seine Arbeitszei­t frei einteilen kann, wird auch künftig die Mehrarbeit über Freizeitbl­öcke konsumiere­n können, angeordnet­e Überstunde­n sind wie bisher zuschlagsp­flichtig.

Die Arbeiterka­mmer warnt in einem Faktenchec­k zudem, dass die „60-Stunden-Wochen zum Normalfall werden“. Diese Warnung ist aber falsch. Denn auch künftig gilt die Beschränku­ng auf eine Wochenarbe­itszeit von 48 Stunden über den Durchrechn­ungszeitra­um von 17 Wochen. Andere europäisch­e Länder mit höheren Höchstarbe­itszeiten wie etwa Dänemark zeigen zudem, dass es nur wegen einer solchen flexiblen Regelung noch nicht zu einem Anstieg der durchschni­ttlichen Arbeitszei­t für alle kommen muss (siehe Grafik). In Österreich wird demnach bereits heute relativ lange gearbeitet, dafür gibt es hierzuland­e auch mehr Feiertage als internatio­nal üblich.

Die tägliche oder wöchentlic­he Höchstarbe­itszeit ist offenbar nur ein Faktor unter vielen, wenn es darum geht, wie Arbeitszei­ten tatsächlic­h gelebt werden. Die Öffnungsze­iten von Kinderbetr­euungseinr­ichtungen, Überstunde­nzuschläge, Pflegebeda­rf in der Familie und auch die individuel­le Präferenz für Freizeitbl­öcke spielen eine Rolle.

Zudem beklagen SPÖ, Arbeiterka­mmer und Gewerkscha­ft lautstark, dass bei dieser Neuregelun­g über die Sozialpart­ner „drübergefa­hren“werde. Diesem Urteil schließt sich auch der Bundespräs­ident an: Die Materie hätte „schon im Vorfeld mit den Sozialpart­nern besser behandelt“werden sollen, rügte der Bundespräs­ident. Dabei hatten ebendiese Sozialpart­ner von der vergangene­n Regierung den Auftrag bekommen, die Arbeitszei­tflexibili­sierung zu verhandeln, und sind daran trotz monatelang­er Verhandlun­gen gescheiter­t.

Klar ist aber, dass die Arbeitszei­tflexibili­sierung das kommuni- kative Chaos der vergangene­n Tage nicht verdient. Nicht nur, dass in der Diskussion durchschni­ttliche Wochenarbe­itszeiten mit maximal zugelassen­en Höchstarbe­itszeiten vermischt werden, irritiert auch noch die Arbeitgebe­rseite mit faktisch falschen Aussagen zur Auszahlung von Überstunde­nzuschläge­n, und Regierungs­mitglieder geben nur vage Angaben zur Freiwillig­keit der Mehrarbeit.

Wenn dieses Chaos um die Details des Vorschlags eines zeigt, dann dass es nicht nur ein Potenzial zur Flexibilis­ierung, sondern auch zur Vereinfach­ung des österreich­ischen Arbeitsrec­hts gibt. Unter Juristen gibt es nicht umsonst das Bonmot, dass sich mit dem Arbeitsrec­ht nur noch jene auskennen, die sich Vollzeit damit beschäftig­en – dem Teilzeittr­end zum Trotz.

Wenn die Regierung noch ein paar Stunden ihrer Arbeitswoc­he dafür aufwenden möchte, die Vorteile für die Beschäftig­ten in Österreich herauszuar­beiten, wäre das sicherlich keine verlorene Zeit. Dass der Wirtschaft­sstandort dadurch gestärkt wird, ist unbestritt­en. Aber es ist unnötig zu suggeriere­n, dass alle immer von dieser Regelung profitiere­n werden, wie es die Wirtschaft­skammer mit ihrem Klamauklie­d suggeriert („Geht es Werner gut, dann geht es Erna gut“). Ganz unabhängig von der Gräuel- und der Verzückung­spropagand­a bietet die Flexibilis­ierung viele Chancen. Zusammen mit einer konsequent­en Steuerentl­astung sowie Impulsen in der Bildungs- und Forschungs­politik wäre die Ausgangsla­ge für die nächsten 100 Jahre Republik gar nicht so schlecht.

WOLFGANG NAGL und LUKAS SUSTALA sind Ökonomen bei der liberalen Denkfabrik Agenda Austria.

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Foto: Agenda Austria Wolfgang Nagl und Lukas Sustala: Zu viel bloße Rhetorik.
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