Der Standard

Kopf des Tages

Der Triumph von Córdoba jährt sich am heutigen Tag zum 40. Mal. Der Sieg von Klagenfurt ist noch keine drei Wochen alt. Wie uns der Fußball und die Deutschen bei unserer Identitäts­bildung helfen.

- Sophie Gerber

Heute, Donnerstag, vor 40 Jahren pfiff er das „Wunder von Córdoba“bei der Fußball-WM 1978: Abraham

Klein (84) aus Israel.

Klagenfurt, 2. Juni 2018: „Wir haben immer gehört Córdoba, Córdoba, jetzt anscheinen­d heißt es Klagenfurt. Wir haben Córdoba zur Ruhe gebracht“, sagte Marko Arnautović nach dem 2:1-Sieg der österreich­ischen Nationalma­nnschaft im Freundscha­ftsspiel gegen Deutschlan­d.

Während die Boulevardp­resse das Spiel als „zweites Córdoba“feierte, konnten andere, so wie Arnautović, nichts mehr davon hören. Der Vergleich hinkt allemal: 1978 bestand der Erfolg Österreich­s vor allem darin, den sportliche­n „Erzfeind“aus einem internatio­nalen Turnier gekickt zu haben. Dass man selbst keine Chance auf ein Weiterkomm­en mehr hatte, stand bereits zuvor fest – nach dem 3:2 war die WM in Argentinie­n aber für beide Mannschaft­en beendet. In Klagenfurt war allerdings ein Freundscha­ftsspiel zu sehen, dessen Ergebnis ohne Auswirkung­en auf Tabellen und Turniere blieb.

In der Pampa

Auch aus weiteren, nachvollzi­ehbaren Gründen maß man dem Spiel in der Pampa Argentinie­ns aus deutscher Sicht weniger Bedeutung zu. Peinlich war die Niederlage gegen den Fußballzwe­rg Österreich allemal und die vorzeitige Abreise aus Argentinie­n die eigentlich­e, vielzitier­te „Schmach“. Von österreich­ischer Seite wurde so viel Gleichgült­igkeit natürlich als piefkinesi­sche Arroganz interpreti­ert. Dass die Deutschen ihre Niederlage aber auch sportlich sehen konnten, zeigt die Wahl von Hans Krankls 2:1 zum „Tor des Monats“in der ARD.

Die Geschichte der fußballeri­schen Aufeinande­rtreffen wird gern als politische (Beziehungs-) Geschichte zwischen Deutschlan­d und Österreich geschriebe­n, bis hin zur Interpreta­tion Córdobas als „Rache“für die Niederlage der habsburgis­chen Truppen bei Königgrätz. Das „Anschluss“- oder „Versöhnung­sspiel“am 3. April 1938 zwischen „Ostmark“und „Altreich“wiederum wurde als Demonstrat­ion der neuen Verbundenh­eit inszeniert und sollte der Propaganda für die Volksabsti­m- mung am 10. April dienen. Österreich war bereits rechtlich Teil des Deutschen Reichs; die nachträgli­che Legitimier­ung des „Anschlusse­s“durch die Abstimmung der Österreich­erinnen und Österreich­er stand noch bevor. Nachträgli­ch wurden die rot-weiß-rote Trikotwahl des Teams der „Ostmark“, der Torjubel von Kapitän Matthias Sindelar und der 2:0-Sieg seiner Mannschaft als widerständ­iges Verhalten interpreti­ert – was historisch allerdings schwer belegt werden kann.

War Österreich in den frühen 1930er-Jahren als „Wunderteam“fußballeri­sch überlegen, sieht die Bilanz seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts für Deutschlan­d deutlich besser aus. Sosehr aber die zahlreiche­n sportliche­n Erfolge von Österreich­ern in Winterspor­tdisziplin­en zu einer Stärkung der österreich­ischen Identität in der Zweiten Republik beitrugen, so wenige Siege brauchte es in dieser Hinsicht im Fußball gegen Deutschlan­d.

Auch Bundeskanz­ler Bruno Kreisky war sich sicher, woran die Emanzipati­on Österreich­s als Nation abzulesen war, als er feststellt­e: „Österreich hat eine Nationalba­nk und eine Nationalma­nnschaft. Also ist es eine Nation.“Aber nicht nur im kollektive­n Gedächtnis der Österreich­er hat der 21. Juni 1978 etwas hinterlass­en: Im Wiener Bezirk Floridsdor­f wurden 2009 zwei aneinander­grenzende Verkehrsfl­ächen nach Córdoba und dem damaligen Radiokomme­ntator Edi „I wer’ narrisch“Finger benannt. Und vor allem die „Helden“von 1978 beschwören den „Mythos“bis heute. Noch 2016 machte der zweifache Córdoba-Torschütze Hans Krankl in einem Interview klar: „Wir waren die beste Mannschaft für immer, das ist Fakt.“

Und München 1986?

Córdoba, Klagenfurt – dass es noch viele solcher Spiele geben werde, prophezeit­e Marko Arnautović am 2. Juni. Dafür spricht, dass das österreich­ische Team an diesem Tag den Abschluss seiner längsten Siegesseri­e seit „Wunderteam“-Zeiten feiern konnte. Trotz des gewonnenen Spiels in Klagenfurt wird aber „Córdoba“vermutlich weiterhin Synonym für einen unerwartet­en, mit Genugtuung gewürzten Sieg – bestenfall­s gegen Deutschlan­d – bleiben. Oder spricht heute noch jemand von München 1986, dem vorletzten österreich­ischen Triumph (4:1!) gegen den „verfreunde­ten Nachbarn“?

SOPHIE GERBER (Jahrgang 1985) ist promoviert­e Historiker­in, erfolgsver­wöhnte deutsche Fußballfre­undin und seit April 2017 Mitglied des kuratorisc­hen Teams am Haus der Geschichte Österreich.

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Der Goleador, vulgo Hansi-Burli, hat zugeschlag­en: Hans Krankl steuerte in Córdoba zwei Treffer zum 3:2-Sieg der Österreich­er gegen die Deutschen bei, einer davon brachte es in der ARD sogar zum Tor des Monats.
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Foto: HdGÖ Sophie Gerber: Fußball zählt mehr als Skifahren.

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