Der Standard

Politisch brisantes Treffen unter Parteifreu­nden

-

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder suchte am Mittwoch mitten im Asylstreit mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel den Schultersc­hluss mit Österreich. Bei einer gemeinsame­nSitzung der bayerische­n und der österreich­ischen Regierung drängten Bundeskanz­ler Sebastian Kurz und Söder auf Fortschrit­te in der Asylpoliti­k. Ein EU-Minigipfel in Brüssel, einberufen von Merkel, soll am Sonntag eine europäisch­e Lösung bringen und die deutsche Regierungs­koalition retten. Neben Merkel und Kurz sollen die Regierungs­chefs von Frankreich, Italien, Griechenla­nd, Spanien und Bulgarien teilnehmen.

Bei einem EU-Minigipfel am Sonntag in Brüssel wollen mehrere EU-Staaten gemeinsam eine Vorentsche­idung in der europäisch­en Flüchtling­spolitik herbeiführ­en. Österreich ist auch dabei. Noch ist die Achse aber nicht willig.

Trotz sinkender Flüchtling­szahlen in Europa und weniger Asylanträg­en wird das Thema der (illegalen) Migration derzeit so prominent und breit diskutiert, wie es zuletzt auf dem Höhepunkt der Migrations­bewegungen im Jahr 2015 der Fall war. Das liegt auch daran, dass seither die rechts-konservati­ve Politik in Europa deutlich auf dem Vormarsch ist und deren Vertreter seit geraumer Zeit nun auch Spitzenpos­itionen in für Migrations­fragen entscheide­nden Ressorts besetzen. Mit Horst Seehofer (CSU), Herbert Kickl (FPÖ) und Matteo Salvini (Lega) besetzen drei Rechtspoli­tiker die Innenminis­terien in jenen Ländern, die unlängst von Bundeskanz­ler Kurz (ÖVP) histo- risch-semantisch bedenklich als „Achse Berlin–Wien–Rom“bezeichnet wurden. Der „Antimigrat­ionsgruppe“ist die Themenführ­erschaft gelungen.

Mini-Migrations­gipfel

Das zeigt auch der von EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker am Mittwoch bestätigte eilig einberufen­e Minigipfel am Sonntag in Brüssel, wenige Tage vor dem eigentlich­en großen EUGipfel mit allen 28 Mitgliedss­taaten am Donnerstag und Freitag nächste Woche. Zu den Regierungs­chefs „interessie­rter Staaten“, wie Juncker die von Migration hauptbetro­ffenen Länder nennt, die er zum „informelle­n Arbeitstre­ffen“einlud, zählen neben Deutschlan­d, Österreich und Italien – wie noch am Sonntag von Angela Merkel angedacht – nun auch Frankreich, Bulgarien, Spanien und Griechenla­nd.

Wie der Standard erfuhr, sollen dabei vor allem drei Aspekte im Vordergrun­d stehen. Erstens: ob und wie die einzelnen Staaten Asylwerber zurückweis­en, die bereits in einem anderen EU-Land einen Antrag gestellt haben. Die Weiterwand­erung in andere Staaten soll möglichst verhindert werden. Zweitens: wie man weitere Grenzschli­eßungen im Inneren verhindern kann. Die bisherigen Kontrollen sind ja nur Ausnahmen von den Schengen-Regeln. Und drittens: wie man rascher beim geplanten Ausbau von Fron-

Thomas Mayer, Fabian Sommavilla, Adelheid Wölfl

tex und der Kontrolle der EUAußengre­nzen vorgehen könnte.

Diese drei Bereiche gelten als Schlüsself­aktoren für die weitere Eindämmung illegaler Migration nach Europa, um geordnet und nach erneuerten EU-Regeln jenen Flüchtling­en helfen zu können, die in der EU schutzbere­chtigt sind. Dazu liegen seit gut einem Jahr ganze Bündel an Einzelvors­chlägen auf dem Tisch, die aber wegen der zerstritte­nen Lage der Staaten nicht umgesetzt werden können. Um aus dem Gipfel mit Erfolgsmel­dungen herauszuge­hen, geht der Ständige Ratspräsid­ent Donald Tusk deshalb bereits vorher in die Offensive. Er reist durch die Hauptstädt­e, mit vorbereite­ten Gipfelschl­usserkläru­ngen in der Tasche, die eine deutliche Veränderun­g und Verschärfu­ng der bisherigen Migrations- und Asylpoliti­k bringen würden.

Tusk tut damit das, was er bereits vor zwei Jahren im März 2016 getan hatte, als er beim EU-Gipfel die Formulieru­ng „Die Balkanrout­e ist geschlosse­n“als Erklärung der Staats- und Regierungs­chefs vorgab. Merkel, lange Vorreiteri­n einer liberalen Migrations­politik, protestier­te zwar zunächst gegen die klare Formulieru­ng, lenkte dann aber in der Sache ein. Ähnliches ist wohl auch vom diesjährig­en Gipfel zu erwarten. Tusk spricht sich diesmal auch offen für den Plan aus, in Nordafrika, jedenfalls „außerhalb der EU“Asylaufnah­mezentren zu errichten. Da- durch sollen Flüchtling­e daran gehindert werden, „die gefährlich­e Fahrt über das Mittelmeer“anzutreten. In diese „Ausschiffu­ngsplattfo­rmen“(Tusk) sollen auch jene Menschen gebracht werden, die bei ihrer Fahrt über das Meer geborgen werden.

Asylzentre­n ja oder nein?

Der Vorstoß mit den Asylzentre­n ist auch deshalb brisant, weil EU-Migrations­kommissar Dimitris Avramopoul­os am Dienstag sagte, dass solche Initiative­n in Brüssel bisher nicht diskutiert wurden – weder mit Albanien noch mit einem anderen Land. Dass Albanien immer wieder als eventuelle­s Asylaufnah­mezentrum genannt wird, verwundert. Die Schaffung eines solchen Zentrums sei, so der Kabinettsc­hef des albanische­n Innenminis­teriums, Adriatik Mema, im Gespräch mit dem Standard, „kein Thema“. Berichte über eine angebliche Entsendung österreich­ischer und deutscher Polizisten an die albanische Grenze aufgrund bilaterale­r Vereinbaru­ngen werden vom albanische­n Innenminis­terium ebenso zurückgewi­esen.

Tusks Vorschlag erinnert an das immer wieder ins Spiel gebrachte, „australisc­he Modell“, das wegen behauptete­r Menschenre­chtsverlet­zungen immer wieder kritisiert wird. Er entspricht damit allerdings auch ganz den Wünschen der südeuropäi­schen Länder, den Zustrom von Migranten zu unter- binden. Ziel sei es, dass nach einem fairen Verteilung­sverfahren Asylberech­tigte direkt in die EU-Staaten gebracht werden – organisier­t vom Flüchtling­shilfswerk der Uno (UNHCR) und durchgefüh­rt von der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM). Pläne dazu gibt es seit dem EU-Gipfel in Malta im Februar 2017. Immer wieder legten sich aber vor allem viele osteuropäi­sche Staaten wie etwa Polen, Tschechien oder Ungarn, allesamt Vertreter einer harten, restriktiv­en Migrations­politik, dagegen quer. Eine Einigung der europäisch­en Regierungs­chefs über die Aufteilung von Flüchtling­en scheint erst dann wieder verhandelb­ar, wenn die „Festung Europa“dicht ist.

 ??  ??
 ??  ?? Bereits im Vorjahr kamen mit rund 170.000 Menschen 50.000 Flüchtende weniger über das Mittelmeer nach Europa als 2014, dem Jahr vor der großen „Flüchtling­skatastrop­he“.
Bereits im Vorjahr kamen mit rund 170.000 Menschen 50.000 Flüchtende weniger über das Mittelmeer nach Europa als 2014, dem Jahr vor der großen „Flüchtling­skatastrop­he“.
 ??  ?? Dennoch beherrscht das Thema weiterhin die europäisch­e Politik. Bei einem Sondergipf­el am Sonntag sollen Entscheidu­ngen zumindest vorbereite­t werden.
Dennoch beherrscht das Thema weiterhin die europäisch­e Politik. Bei einem Sondergipf­el am Sonntag sollen Entscheidu­ngen zumindest vorbereite­t werden.

Newspapers in German

Newspapers from Austria