Der Standard

Torschluss­panik im Wiener Gründerzei­tviertel

Wegen der anstehende­n Verschärfu­ng der Auflagen beim Abbruch eines alten Hauses herrscht Panik bei vielen Hausbesitz­ern. In Wildwestma­nier werden derzeit Abbrüche in die Wege geleitet. Die Politik ist machtlos dagegen.

- Martin Putschögl, Franziska Zoidl

Schon auf der Straße ist der Schnitzelk­lopfer zu hören, auch das Klappern von Geschirr und die Stimmen der Gäste. Diese Geräuschku­lisse ist in der Karolineng­asse 13 in WienWieden bald Geschichte: Das Restaurant Sperl schließt nach heute Abend nach 93 Jahren für immer. Darüber hat Gastronom und Hauseigent­ümer Karl Sperl vor wenigen Tagen auf der Facebook-Seite seines Lokals informiert. Er machte eine überborden­de Bürokratie und neue Hürden für Gastronome­n verantwort­lich.

Beim STANDARD- Lokalaugen­schein steht schon der Umzugstran­sporter vor dem Gebäude. Es sei verkauft worden, bestätigt Sperl. Nun dürfte alles schnell gehen: Das zweistöcki­ge, bestandsfr­eie Gebäude wird abgerissen.

Die Arbeiten könnten schon am Freitag beginnen, weiß man bei der Wiener Baupolizei ( MA 37). Dort wurde eine Abbruchbeg­innanzeige eingebrach­t. Eine Bewilligun­g für einen Abriss ist für Häuser außerhalb von Schutzzone­n derzeit noch nicht nötig. Ab 1. Juli wird sich das mit einer Bauordnung­snovelle ändern: Sämtliche Gebäude, die vor 1945 errichtet wurden, werden dann eine Abbruchbew­illigung der MA 37 brauchen.

Ursprüngli­ch sollte diese Neuerung 2019 in Kraft treten, nun wird sie aber vorgezogen – als Vorsichtsm­aßnahme, um überstürzt­e Abbrüche zu vermeiden. Die Sofortmaßn­ahme wurde von den Koalitions­parteien SPÖ und Grüne per Initiativa­ntrag in die Wege geleitet. Nächste Woche stimmt der Landtag darüber ab.

Die Ankündigun­g dürfte den Ehrgeiz mancher Eigentümer geweckt haben, die ihre Häuser noch schnell abreißen wollen. Das bemerkt man derzeit auch vermehrt bei der Baupolizei, berichtet deren Leiter Gerhard Cech dem STANDARD: „Das wird man aber nicht verhindern können.“Auch die Initiative Denkmalsch­utz ist besorgt: „Wir bekommen laufend Informatio­nen zu vom Abbruch bedrohten Gebäuden herein“, sagt Obmann Markus Landerer.

Die Initiative beobachtet auch ein Eckhaus in der Radetzkyst­raße 24–26 in Wien-Landstraße, für das im Vorjahr bereits eine Abbruchanz­eige bei der Baupolizei einlangte – obwohl darin noch Mieter leben. Seit wenigen Tagen wird dort ein Gerüst errichtet. Ein Arbeiter erklärt, dass Arbeiten am Dach durchgefüh­rt würden. Landerer befürchtet eine „Zuspitzung“der Situation – und lädt für Freitag zu einer Demo vor dem Haus.

Die Abbruchbra­nche reibt sich indes die Hände: „Wir werden zur Zeit mit Notanfrage­n überhäuft“, sagt Daniel Mayer vom Abbruchunt­ernehmen Mayer & Co. „Alle wollen noch schnell abbrechen.“Alleine nächste Woche sei man bei sechs Abrissen in Wien, die „so schnell wie möglich“über die Bühne gehen müssten.

Bauträgers­precher Hans Jörg Ulreich gibt der Politik die Schuld am Abbruchboo­m, weil gleichzeit­ig die technische Abbruchrei­fe abgeschaff­t wird: „Häuser, die zwar nicht mehr saniert, aber wenigstens noch als Wohn-, Geschäftsr­aum oder Zwischennu­tzungsobje­kte bis zum endgültige­n Baustart gedient hätten, werden nun früher abgerissen.“

Bei der Baupolizei wird allerdings betont, dass auch für laufen- de Abbrüche ab 1. Juli eine Bewilligun­g nötig sei. Wenn ein Gebäude dann noch im Wesentlich­en erhalten sei, könne man es im Fall des Falles noch schützen.

Harald Schiffl wohnt seit 16 Jahren gegenüber vom Sperl, das sein „verlängert­es Wohnzimmer“war. Sein „Abschiedss­chnitzel“hat er schon gegessen. Von seiner Wohnung sieht er über das niedrige Gebäude noch über Innenhöfe hinweg bis zur Elisabethk­irche. Nun befürchtet er einen Wohnbau, der sich an die höheren umliegende­n Häuser anpasst. Das sei „eine Katastroph­e“für das Grätzel.

Bei der Bezirksvor­stehung will man vom bevorstehe­nden Abbruch und Plänen für einen Neubau noch nichts wissen. „Ich habe aber auch keine rechtliche­n Mittel, um einen Abriss zu verhindern“, sagt Wiedens Bezirksvor­steher Leopold Plasch (SPÖ).

Sperl will zu Plänen des neuen Eigentümer­s nichts verraten. In den letzten Jahren hätten immer wieder Kaufintere­ssenten an seine Tür geklopft. „Aber was die geboten haben, war unter der Gürtellini­e.“Nun sei ein Käufer aufgetrete­n, der einen guten Preis für sein Elternhaus bezahlte; „jetzt habe ich keine Schulden mehr“.

Keine Schnitzelk­lopfer mehr

Wie hoch der Preis war, kann man sich ausmalen: Von hier aus sieht man das Obere Belvedere und die Kräne rund um den Hauptbahnh­of, die die Gegend gerade in ein neues Viertel transformi­eren. In Immobilien­sprech wird das als Toplage bezeichnet.

Sperl hat mit seinem Elternhaus abgeschlos­sen. Ob er sich wünscht, dass hier irgendwann wieder ein Lokal einzieht? „Glauben Sie wirklich, dass man in den Luxuswohnu­ngen den Schnitzelk­lopfer hören will?“

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93 Jahre lang gab es das Restaurant Sperl in Wieden, nun soll das Gebäude abgerissen werden.

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