Der Standard

Anlegerkla­gen mit unsicherem Ausgang

Unzählige Einzelfäll­e von Anlegerkla­gen gegen Banken, Vermögensb­erater oder Emittenten sind im vergangene­n Jahrzehnt beim OGH gelandet. Dessen Judikatur ist eher anlegerfre­undlich, aber der Teufel liegt im Detail.

- Gregor Schett, Stefan Adametz

Es gibt kaum ein Rechtsgebi­et, das die Gerichte in den letzten Jahren mehr beschäftig­t hat als die Ansprüche von Anlegern aus ihren Vermögensv­eranlagung­en; dies gilt sowohl für die Anzahl an Klagen als auch für die Rechtsfrag­en, die Gerichte zu klären hatten. Auslöser waren die Weltfinanz­krise und die bekannten Fälle wie Meinl European Land (MEL), Immofinanz, Amis, Madoff, AvW, Alpine oder geschlosse­ne Fonds.

Wenngleich sich die Fälle erheblich unterschei­den, weil manchmal der Schaden durch strafrecht­lich relevantes Verhalten verursacht worden ist, während sich ein andermal die Veranlagun­gen als Folge der Krise schlicht nicht erwartungs­gemäß entwickelt haben, versuchen Anleger in allen Fällen, einen Ausgleich ihres Schadens zu erreichen. In manchen (Einzel-)Fällen waren sie erfolgreic­h, in anderen scheiterte­n sie. Welche Schlüsse können Anleger zehn Jahre nach dem Lehman-Kollaps aus der Entwicklun­g der Judikatur ziehen?

Wer haftet für den Schaden?

Die erste Frage für den Anleger ist, wem gegenüber er seine Ansprüche geltend macht. Da die meisten Veranlagun­gen über Empfehlung eines Beraters erworben werden, kommt dieser primär als Anspruchsg­egner in Betracht – entweder die Bank mit ihrem Kundenbetr­euer oder ein unabhängig­er Vermögensb­erater. Der Oberste Gerichtsho­f (OGH) hat hierzu in zahlreiche­n Entscheidu­ngen ausgesproc­hen, dass der Berater dem Anleger jene Informatio­nen erteilen muss, die er benötigt, um die Art des Produkts und die mit ihm verbundene­n Chancen und Risiken zu verstehen und eine fundierte Entscheidu­ng treffen zu können, ob er in das Produkt veranlagt. Die Aufklärung muss vollständi­g und richtig sein; sie muss alle für die Anlegerent­scheidung wesentlich­en Aspekte umfassen.

Der OGH hat den Umfang dieser gesetzlich­en Aufklärung­spflicht schrittwei­se konkretisi­ert. Aller- dings hängen Inhalt und Umfang der Aufklärung­spflicht nach der Judikatur vom Einzelfall ab, insbesonde­re von der Art des Produkts und der Person des Anlegers: Einem kompetente­n und erfahrenen Anleger müssen weniger Informatio­nen erteilt werden; bei ungewöhnli­chen oder besonders riskanten Produkten müssen mehr Informatio­nen gegeben werden.

Die Informatio­n des Anlegers kann nicht nur mündlich erfolgen, sondern auch durch die Übergabe von Informatio­nsunterlag­en. Hat der Kunde rechtzeiti­g Unterlagen erhalten, die die für seine Entscheidu­ng relevanten Informatio­nen enthalten, kann dies seine Ansprüche ausschließ­en. Nach der Judikatur ist nämlich von einem Anleger zu erwarten, dass er erhaltene Unterlagen auch liest; dies ist nicht nur im Hinblick auf die eigene Sorgfalt selbstvers­tändlich.

Veranlagun­gen werden häufig über einen sogenannte­n „Strukturve­rtrieb“vermittelt, bei dem sich Emittenten der Absatzorga­nisation eines Dritten bedienen, der die Anleger berät, so etwa die frühere AWD. Die Judikatur hat – vor allem zu Immofinanz-Klagen – ausgesproc­hen, dass ein Emittent, der sich eines Strukturve­rtriebs bedient, für dessen fehlerhaft­e Aufklärung haften kann, wenn er

konkrete Anhaltspun­kte dafür hatte oder wusste, dass der Vertrieb seine Pflichten gegenüber dem Anleger nicht erfüllt; oder wenn er

diesen ständig mit dem Vertrieb seiner Anlageprod­ukte betraut und so in die Verfolgung der eigenen Interessen eingebunde­n hat.

Diese Grundsätze gelten auch, wenn eine Bank mit unabhängig­en Vermögensb­eratern kooperiert, um ihren Absatz zu fördern. Falls der Vermögensb­erater den Anleger jedoch unabhängig von der Bank berät und der Anleger das

QQProdukt danach über die Bank nur erwirbt, haftet die Bank nicht.

Für jedes öffentlich angebotene Produkt muss nach den Vorschrift­en des Kapitalmar­ktgesetzes (KMG) ein Kapitalmar­ktprospekt erstellt und veröffentl­icht werden, mit dem Anleger umfassend über das Produkt informiert werden. Der Prospekt kann eine Anspruchsg­rundlage bilden, wenn der Anleger durch falsche, unvollstän­dige oder irreführen­de Prospektan­gaben zur Zeichnung einer Kapitalanl­age bewegt wird. Ansprüche können gegenüber dem Emittenten und dem Prospekt- kontrollor bestehen. Der Emittent haftet auch dann für die Richtigkei­t und Vollständi­gkeit des Prospekts, wenn Anleger die Wertpapier­e über einen Dritten, z. B. einen Anlagebera­ter, erworben haben. Der Kontrollor haftet nur für die mangelhaft­e Kontrolle des Prospekts.

Darüber hinaus hat die Judikatur vor allem in MEL-Prozessen ausgesproc­hen, dass alle Personen für eine sachlich richtige und vollständi­ge Informatio­n im Prospekt haften, die durch ihr sichtbares Mitwirken an der Prospektge­staltung einen besonderen Vertrauens­tatbestand geschaffen haben – etwa der Anbieter, ein Sachverstä­ndiger oder Garantiege­ber. Eine solche Haftung kann auch für sonstige Unterlagen wie Werbeprosp­ekte und Fact-Sheets bestehen.

Ansprüche von Anlegern können auch gegenüber Wirtschaft­sprüfern bestehen, wie der OGH zu Klagen von AvW-Genusssche­inkäufern judiziert hat; stellt ein Wirtschaft­sprüfer schuldhaft einen unrichtige­n Bestätigun­gsvermerk aus und haben Anleger im Vertrauen auf dessen Verlässlic­hkeit das Produkt erworben, hat der Anleger Anspruch auf Schadeners­atz. Denn ein unrichtige­r positiver Bestätigun­gsvermerk kann potenziell­en Anlegern ein verzerrtes Bild der Lage der Gesellscha­ft vermitteln.

Von besonderem Interesse für Anleger ist der Inhalt ihres Anspruchs und dessen Höhe. Laut Judikatur hat der Anleger Anspruch auf Naturalres­titution: Er erhält eine Zahlung im Ausmaß seines Schadens und muss im Gegenzug das Veranlagun­gsprodukt herausgebe­n. Die Schadenshö­he ergibt sich aus der Differenz zwischen dem tatsächlic­hen Vermögen des Anlegers unter Einbeziehu­ng der ungewünsch­ten Veranlagun­g, über die er fehlerhaft informiert worden ist, und dem hypothetis­chen Vermögen mit einer seinen Wünschen entspreche­nden Veranlagun­g. Dafür muss der Anleger vorbringen und beweisen, wie er bei richtiger Beratung veranlagt hätte. Zwar gewährt ihm die Judikatur hier eine Beweiserle­ichterung, dennoch scheitern manche Anleger an dieser Hürde.

Ansprüche aus einer fehlerhaft­en Anlagebera­tung unterliege­n der Verjährung­sfrist von drei Jahren; sie beginnt in jenem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Anleger Kenntnis vom Schaden und vom Schädiger hat. Diese ist nach der Judikatur dann gegeben, wenn der Anleger erkennt, dass die erworbene Veranlagun­g nicht seinen Vorstellun­gen entspricht, er also unrichtig informiert worden ist; der Schaden besteht nämlich in der ungewünsch­ten Zusammense­tzung des Vermögens.

In einem Punkt hat der OGH eine sehr anlegerfre­undliche Judikatur entwickelt, die unter Juristen umstritten ist: Bei mehreren Beratungsf­ehlern sei die Verjährung für jeden Fehler dann getrennt zu beurteilen, wenn der einzelne Fehler eine selbststän­dige Pflichtver­letzung beinhaltet. Dies ist nicht überzeugen­d, weil der Anleger mit dem ersten erkannten Beratungsf­ehler den Schaden – die ungewünsch­te Veranlagun­g – kennt und er diesen daher nicht nochmals erkennen kann. Der OGH hat seine Judikatur aber insoweit entschärft, als mehrere fehlerhaft­e oder unvollstän­dige Informatio­nen über das Veranlagun­gsprodukt nur eine Pflichtver­letzung darstellen, sodass alle Ansprüche daraus gemeinsam verjähren. Die Auswirkung­en der Judikatur sind auch dadurch abgemilder­t, dass die Verjährung ausgelöst wird, wenn der Anleger Unterlagen erhält, die ihm bisher unbekannte Informatio­nen über das Produkt enthalten; solche Papiere muss der Anleger grundsätzl­ich auch lesen, sodass er sich nicht darauf berufen kann, sie ignoriert zu haben.

Trotz der anlegerfre­undlichen Judikatur des OGH im vergangene­n Jahrzehnt gehen Anleger mit einer Klage ein beträchtli­ches Risiko ein.

Ausblick mit Fragezeich­en

Trotz der anlegerfre­undlichen Judikatur des OGH im vergangene­n Jahrzehnt gehen Anleger mit einer Klage ein beträchtli­ches Risiko ein, weil jeder Fall eine Einzelfall­entscheidu­ng ist und die Judikatur auch zahlreiche Einwendung­en anerkennt. Da mit 3. 1. 2018 das neue Wertpapier­aufsichtsg­esetz in Kraft getreten ist und eine neue Rechtsgrun­dlage geschaffen hat, bleibt abzuwarten, wie sich die Judikatur entwickelt; für die davor vorgenomme­nen Veranlagun­gen ist noch die dargestell­te Judikatur maßgeblich, deren Entwicklun­g jedoch noch nicht abgeschlos­sen ist, weil es noch viele anhängige Prozesse mit neuen Rechtsfrag­en gibt.

GREGOR SCHETT ist Partner, STEFAN ADAMETZRec­htsanwaltb­eiFellnerW­ratzfeld & Partner. gregor.schett@fwp.at

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria