Der Standard

Katastroph­en-Brexit am Horizont

Unklarheit über den Austritt aus der EU lässt britische Firmen bei Investitio­nen zunehmend auf die Bremse treten. Die Londoner City warnt indes vor Problemen mit langfristi­gen Versicheru­ngsverträg­en.

- Sebastian Borger aus London

Erneut hat die britische Regierung unter Premiermin­isterin Theresa May am Mittwoch eine drohende BrexitAbst­immungsnie­derlage im Unterhaus in letzter Minute abgewendet. Damit dürfte der Verabschie­dung des EU-Austrittsg­esetzes nichts mehr im Weg stehen.

Allerdings äußern sich Experten auf beiden Seiten des Kanals zutiefst skeptisch über Verhandlun­gsfortschr­itte, die eigentlich bis zum EU-Gipfel kommende Woche verzeichne­t sein sollten. Auf der Insel häufen sich die Nachrichte­n von Jobverlust­en und Investitio­nsverweige­rungen bei Firmen, die dafür ausdrückli­ch den Brexit ins Feld führen.

Im weltweit wichtigste­n internatio­nalen Finanzzent­rum City of London warnen Fachleute vor Problemen mit 36 Millionen grenzübers­chreitende­n Versicheru­ngsverträg­en im Gesamtwert von umgerechne­t 29,6 Billionen Euro.

Wiederum ging es im Unterhaus um die Frage, ob das Parlament im Herbst so rechtzeiti­g über den bis dahin ausgehande­lten Deal abstimmen darf, dass ein Kurswechse­l bis zum Austrittst­ermin Ende März 2019 möglich bleibt. Eine Gruppe proeuropäi­scher Konservati­ver unter Führung des früheren Generalsta­atsanwalts Dominic Grieve schien vergangene Woche genug Anhänger zu haben, um in Zusammenar­beit mit der Opposition aus Labour, Liberalen und Nationalis­ten die Regierung auf Kurs zu zwingen. In letzter Minute bot May den Rebellen einen Kompromiss an – und zog ihn zwei Tage später wieder zurück.

Die Fachleute beider Seiten äußern sich unterdesse­n zunehmend skeptisch darüber, ob der geplante Austrittsv­ertrag überhaupt zustande kommt. Großbritan­nien hat eine Woche vor dem EU-Gipfel, auf dem das Thema eigentlich erledigt werden sollte, noch immer keinen praktikabl­en Vorschlag gemacht, wie eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland zukünftig vermieden werden könnte. Gleichzeit­ig wird der Ton auch in der Sicherheit­sdebatte rauer.

Erhebliche Risiken

Während die EU britischen Firmen die Mitarbeit am europäisch­en Satelliten­navigation­ssystem Galileo verweigert, erinnerte ein britischer Geheimdien­stchef die Verbündete­n daran, wie wichtig die Zusammenar­beit bei der Bekämpfung des islamistis­chen Terrorismu­s sei. Erkenntnis­se seiner Behörde, sagte der GCHQ-Boss Jeremy Fleming, hätten in jüngster Zeit dazu beigetrage­n, Anschläge in vier anderen EU-Staaten zu verhindern. Unverkennb­ar schwang in der Mitteilung die Drohung mit, die Verbündete­n sollten zukünftig keine Hilfe mehr erwarten.

Die fehlenden Fortschrit­te in den Brexit-Verhandlun­gen nahm die City-Lobbygrupp­e TheCityUK am Mittwoch zum Anlass für eine düstere Warnung: Sollten sich Briten und EU-Europäer nicht auf eine Lösung für langfristi­ge Finanz- und Versicheru­ngsverträg­e einigen, drohten „erhebliche Risiken für die Finanzstab­ilität“.

Wie ernst Banker, Versichere­r und Anlagebera­ter die Gefahr durch einen katastroph­alen EUAustritt nehmen, verdeutlic­ht das Beispiel des Brexit-Marktschre­iers Jacob Rees-Mogg. Während der Tory-Abgeordnet­e als Einpeitsch­er der rund fünf Dutzend fanatische­n EU-Feinde in seiner Funktion fungiert, verlagert seine Anlagegese­llschaft einen Teil ihres Geschäftes in die irische Hauptstadt Dublin.

Weg von der Insel

Ähnlich verfahren US-Banken wie Goldman Sachs, aber auch britische Weltfirmen wie der Turbinenba­uer Rolls-Royce (RR) oder die Autofirma JaguarLand­rover (JLR). Während RR Standorte in der EU, darunter Dahlewitz bei Berlin, ausbaut, sollen am Stammsitz im mittelengl­ischen Derby 4500 Jobs verlorenge­hen.

JLR will die Fertigung des Discovery-Geländewag­ens in die Slowakei verlagern und in heimischen Werken 1000 Stellen streichen.

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Während Abgeordnet­e im britischen Unterhaus um mehr Mitsprache bei der Ausgestalt­ung des Brexits ringen, häufen sich Meldungen über Jobverlust­e und Investitio­nsstau wegen des EU-Austritts.

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