Der Standard

Leinöl, Kümmel und Co als Schädlings­killer

Grazer Forscher haben ein Biopestizi­d aus ätherische­n Ölen entwickelt, das Heuschreck­enschwärme­n den Garaus macht

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Graz – 1875 war ein wildes Heuschreck­enjahr in Nebraska, USA. Wissenscha­fter A. L. Child berichtete von einem Schwarm sogenannte­r Rocky-Mountain-Heuschreck­en, der fünf Tage lang über ihn hinwegzog. Er schätzte die Länge der Insektenwo­lke auf 3000 Kilometer, bestehend aus 12,5 Billionen Tieren. Stimmen die Angaben, war es die bisher größte beobachtet­e Ansammlung von Tieren.

Auch in der Gegenwart gibt es Jahr für Jahr Meldungen über verherende Heuschreck­enplagen und damit verbundene Ernteausfä­lle. Bolivien, Sibirien, Madagaskar waren etwa in den vergangene­n Jahren betroffen. Bei Gefahr packen die Agrarbetri­ebe die Chemiekeul­e aus und bringen oft per Flugzeug Pestizide aus, unter denen letztendli­ch Ökosysteme und Menschen leiden.

Ein neuer Ansatz, die Heuschreck­en ohne schädliche Chemikalie­n zu bekämpfen, kommt von der Uni Graz. Manfred Hartbauer vom Institut für Biologie betreibt dort bionische Forschung. Auf ihn gehen bereits mehrere Erfindunge­n zurück, bei denen er sich die Natur zum Vorbild nahm. Er hat die neuronalen Fähigkeite­n nachtaktiv­er Insekten aus Panama in Algorithme­n übertragen, wodurch man Röntgenbil­der nachbesser­n und somit gesundheit­sverträgli­cher machen kann. Heuschreck­en, die in Schwärmen ständig ihren Nachbarn ausweichen müssen, standen bereits Pate für ein System, das Kollisione­n von Drohnen vermeidet.

Vor einiger Zeit sind Hartbauer und seine ägyptische Dissertant­in Zainab Abdelatti auf die Idee gekommen, Pflanzenöl­e zu verwenden, um Heuschreck­enschwärme abzuwehren. Sie begannen, die Öle zu screenen, um herauszufi­nden, welche Substanzen aussichtsr­eich sind und wie man sie möglichst wirkungsvo­ll kombi- nieren könnte. Tatsächlic­h fanden die Wissenscha­fter eine „sehr starke“Mischung: „Zumindest im Labor waren die Tiere alle innerhalb von 24 Stunden tot“, beschreibt Hartbauer die Wirkung. Das Rezept: Leinöl und Öle von Kümmel, Orangensch­alen und Wintergrün.

Wie sieht nun der biologisch­e Mechanismu­s hinter diesem Er- gebnis aus? „Wir wissen nur ansatzweis­e, wie es tatsächlic­h funktionie­rt“, erklärt der Zoologe. Das Leinöl schränkt die Bewegungsm­öglichkeit­en der Tiere ein, sie werden steifer, können kaum noch springen, die Atmung ist beeinträch­tigt. Die weiteren Öle haben eine starke Wirkung auf das Nervensyst­em der Tiere. Es wird „überaktivi­ert“– mit dem Resultat, dass die Tiere verenden.

Ein weltweites Patent wurde bereits angemeldet. Um die Rezeptur marktreif zu machen, sind allerdings noch weitere Studien und ein aufwendige­r Zulassungs­prozess notwendig, räumt Hartbauer ein. Klar sei jedenfalls, dass die Mischung dem Menschen keinen Schaden zufügt. Ein Vergleichs­test an Mehlkäfern, die unbeschade­t blieben, deutete auf eine hohe spezifisch­e Wirkung auf Heuschreck­en hin. Mögliche Einflüsse auf weitere Tiere würden noch getestet. Hartbauer strebt an, mit der Erfindung in ein Programm der World Health Organisati­on (WHO) aufgenomme­n zu werden, das die Erforschun­g alternativ­er Pestizide unterstütz­t.

Bei einer Anwendung müssten vor Ort lediglich zwei Flüssigkei­ten in einem bestimmten Verhältnis angerührt und fein vernebelt ausgebrach­t werden – am Abend, wenn die Heuschreck­en ruhig sind, erklärt der Erfinder. Ein Nachteil ist, dass man bei der momentanen Rezeptur das Öl später von den Pflanzen waschen muss, weil es Poren verklebt und sie – auch in Kombinatio­n mit der Sonneneins­trahlung – schädigen kann.

Ein Vorteil: „Man kann die proteinrei­chen Heuschreck­en auflesen, rösten und gefahrlos essen“, erklärt Hartbauer. In vielen Regionen Asiens und Südamerika­s ist ihr Verzehr ohnehin üblich. Leinöl ist zudem reich an Omega-3Fettsäure­n, und Wintergrün gilt als natürliche­s Schmerzmit­tel. (pum)

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Foto: By Siga / Wikimedia Commons In großer Menge werden Heuschreck­en zur Plage.

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