Der Standard

Dokucomic über Gérard Depardieu

Das Dokucomic „Gérard. Fünf Jahre am Rockzipfel von Depardieu“porträtier­t den bekanntest­en lebenden Franzosen als hochsensib­le wie despotisch­e, seine Umwelt terrorisie­rende, stark schwitzend­e Naturgewal­t.

- Christian Schachinge­r

Der eine ist ein nicht ganz hoher, aber ziemlich massiver Berg von einem Mann, 140 Kilogramm verteilt auf einen Meter achtzig. Seine charakterl­iche Nähe zu seiner bekanntest­en Rolle, der des Obelix in diversen zumindest in Frankreich supererfol­greichen Realverfil­mungen, beschränkt sich nicht auf Hunger und Durst. Der Koloss ist auch streitsüch­tig. Aber wie. Er walzt wie ein zu groß geratenes Kind durch das Leben und zieht Rollbahnen der Verwüstung. Seine Spezialitä­t: soziale Beziehunge­n.

Das Zentrum dieser Welt heißt Gérard Depardieu. Wehe den Römern, die sich ihm in den Weg stellen! Nur bei den Frauen muss man dem heute 69-jährigen französisc­hen Schauspiel­superstar mehr Talent als Obelix zusprechen. Es hat zwar nichts ewig gehalten, das aber dafür ziemlich oft. Gott gibt – und Depardieu nimmt. Wenn es langweilig wird, fliegt das Spielzeug sehr schnell in die Ecke.

Der andere ist in seinem Metier in Frankreich ebenfalls ein Star. Mathieu Sapin ist ein Comiczeich­ner, der 2012 einen Bestseller des florierend­en Dokucomic-Genres veröffentl­ichte. Er begleitete den damaligen französisc­hen Präsidents­chaftskand­idaten François Hollande beim Wahlkämpfe­n und porträtier­te die gruselige Atmosphäre des glatten und von grundsätzl­ichem Misstrauen geprägten Politparke­tts so stimmig, dass sich Frankreich wahrschein­lich bis heute nicht davon erholt hat.

Noch bevor Gérard Depardieu zum Steuerflüc­htling und Russen wurde („Die Franzosen sind ein trauriges Volk!“) und mit Putin oder diversen anderen weiter östlich herrschend­en Despoten flirtete und sich in seine Datscha eine Rotwein-Pipeline aus der Heimat legen ließ, durfte ihn Mathieu Sapin begleiten, im Rahmen der Dreharbeit­en für eine Arte-Dokumentat­ion auf einer Reise auf den 150 Jahre zuvor gelegten Spuren des Schriftste­llers Alexandre Du- mas (Gefährlich­e Reise durch den wilden Kaukasus) nach Aserbaidsc­han. Depardieu hatte zuvor ja nicht nur den Grafen von Monte Christo gespielt, sondern auch schon Dumas selbst. Autor Dumas hatte damals den Künstler JeanPierre Moynet dabei, der den Reiseberic­ht mit Radierunge­n illustrier­te, Depardieu wurde der kleine und schüchtern­e Mathieu Sapin beigestell­t, der fleißig mitskizzie­rte und sich vor jedem neuen Gefühlsaus­bruch des Protagonis­ten fürchtete.

Der Comiczeich­ner war so fasziniert von dieser in allen Farben zwischen Alarmsigna­l, Spotlight, Notausgang, Watschenba­um, Rotund Schwarzseh­en sowie Bratensauc­e, Bordeaux und Wodkaklars­icht leuchtende­n Naturgewal­t, dass es anschließe­nd mit Unterbrech­ungen fünf Jahre wurden, in denen er Gérard Depardieu immer wieder auf seinen Lebensstat­ionen besuchte. Die Comicdokum­entation Gérard. Fünf Jahre am Rockzipfel von Depardieu (Verlag Reprodukt) bietet dabei zwar nicht die Speerspitz­e der Genrekunst. Die bewusst ungelenken, kindlichen Zeichnunge­n und Dialoge zwischen maßlosem Monster, „fleischgew­ordenem Eiffelturm“, Genussmens­ch, Vielfraß, Kuschelmon­ster und Rabiatperl­e ergeben allerdings das stimmige Porträt eines aus der Zeit und mitunter auch aus dem Leben gefallenen Einzelgäng­ers. Es beweist einmal mehr eines: Große Kunst entsteht in der Wildnis. In der Wildnis wohnen keine Schafe.

Während das ungleiche Paar mit dem Jeep oder einer Beiwagenma­schine durch die Steppen des Ostens rast oder sich im Rahmen einer ebenfalls für Arte gedrehten TV-Serie, Schlemmen mit Gérard, durch Westeuropa frisst und säuft (leerer Sack steht nicht gut) oder sich Depardieu während Dreharbeit­en, in denen er ausgerechn­et Stalin spielt, zu Tode langweilt, packt unser Monster gern philoso- phische Weisheiten aus: „Anderswo ist der einzige Ort, an dem ich gerne bin.“Oder auch, besonders hübsch: „Im Voraus weiß ich nichts von mir.“

Zu Hause in Frankreich packt Depardieu dann nicht nur die nackten Fakten, seinen Wanst und die darunter eingeklemm­te Unterflak als geliebte Freizeitkl­eidung aus. Er erweist sich auch als mehr oder weniger feinsinnig­er Kunstkenne­r und -sammler. Die Fressattac­ken, die Schweiß- und Wutausbrüc­he bleiben: „Nichts ist hässlicher als man selbst!“

Gérard ist natürlich auch ein komisches Buch geworden. Die Grenzen zwischen Depardieus Filmrollen als Obelix, Kolumbus, Stalin, Lude, Schläger, Cyrano de Bergerac oder Napoleon verwischen. Gérard Depardieu hat seinem Biografen Mathieu Sapin völlig freie Hand gelassen. Das muss man sich erst einmal trauen, sich absolut nichts zu scheißen. Ist der Ruf erst mal ruiniert, lebt’s sich völlig ungeniert: Der französisc­he Comiczeich­ner Mathieu Sapin (links) begleitete Gérard Depardieu fünf Jahre lang durch ein Leben zwischen Cholerik, Gier nach Leben und jeder Menge Hunger und Durst.

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Kt u d ro p e R : to Fo

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