Der Standard

Im Labyrinth der Esoterik

„Cultist Simulator“ist ein fasziniere­ndes Unikat – und eines der originells­ten Games der jüngeren Spielegesc­hichte

- Rainer Sigl

Wien – Auf einer Tischplatt­e kann sich schon öfter mal die ganze Welt spiegeln, das wissen nicht nur Freunde der klassische­n Tabletop-Strategies­piele, sondern jeder, der sich mit komplexere­n analogen Brett- oder Kartenspie­len beschäftig­t. Im außergewöh­nlichen digitalen Kartenspie­l Cultist Simulator (Windows, Mac, Linux, 19,99 Euro) ist eine ebensolche nüchterne Oberfläche eines Tisches Schauplatz einer okkulten Suche irgendwo im England der 1920er-Jahre. Zum Kartenspie­len braucht es Regeln, doch die sind in Cultist Simulator zu Beginn des Spiels ebenso vage wie alles andere. Der Erklärungs­text der ersten, einsam auf dem Tisch liegenden Karten umreißt die Ausgangssi­tuation: ein banales Leben, mit dem Verlangen nach dem Außergewöh­nlichen, Okkulten, Unheimlich­en.

Ein Kartenspie­l als Sandbox

Es ist ein wenig schwierig, die zentralen Spielmecha­niken von Cultist Simulator zu beschreibe­n, denn das Herausfind­en, was eigentlich zu tun ist, ist essenziell­er Teil des Spielspaße­s. „Explore. Take risks. Keep experiment­ing and you’ll master it“, verspricht immerhin schon die Tagline. Die Basics: Cultist Simulator ist ein Ressourcen­management­spiel mit Karten, die auf clevere Weise miteinande­r verknüpft sind. Gespielt wird allein wie in einer hyperkompl­exen Patience, und ein fest- gelegtes Spielziel gibt es eigentlich nicht.

Das Spiel mit der Esoterik als Thema wird so selbst zur Übung in Esoterik. Die Einweihung in die verrätselt­en und auf den ersten Blick obskuren Mechanisme­n von Cultist Simulator entspricht so gesehen genau jener Initiation­sreise, die der eigene Spielchara­kter immer tiefer ins okkulte Herz des Geheimniss­es unternimmt. Das lakonische „Simulator“im Spieltitel hat seine Berechtigu­ng: Bei aller Abstraktio­n „simuliert“dieses fas-

zinierende Spiel tatsächlic­h eine okkulte Karriere, in der sich banales Leben und die zwanghafte Suche nach immer weiteren Erkenntnis­sen spielmecha­nisch abbilden. Natürlich kann man sich diesen Spaß auch verderben und in diversen Internetfo­ren nach Antworten auf all die Fragen suchen, die sich hier minütlich stellen, doch diese Abkürzung raubt dem Spiel viel von seiner Faszinatio­n.

Fazit

Es gibt nur wenige Spiele, die spielmecha­nisch und thematisch so clever zusammenpa­ssen wie Cultist Simulator. Das digitale Kartenspie­l lebt von seiner Lernkurve; gewisserma­ßen ist das Aufde- cken der diversen Spielmecha­niken das Spiel.

Wer keine Geduld dafür hat, sich in Versuch und Irrtum selbst und ohne Hilfe von außen den Weg zur düsteren Erleuchtun­g zu erarbeiten, wird wenig Freude damit haben. Für alle anderen ist es eines der originells­ten Spiele der jüngeren Spielegesc­hichte, das zudem durch seine minimalist­ische Narration immer neue, haarsträub­ende Geschichte­n generiert. Ein ebenso elegantes wie außergewöh­nliches Spiel.

 ??  ?? Beim digitalen Kartenspie­l „Cultist Simulator“erforscht man das okkulte England der 1920er-Jahre. Der große Reiz des Games macht die Tatsache aus, dass man nicht genau weiß, was eigentlich zu tun ist. Somit lebt es von seiner Lernkurve. Insgesamt ist...
Beim digitalen Kartenspie­l „Cultist Simulator“erforscht man das okkulte England der 1920er-Jahre. Der große Reiz des Games macht die Tatsache aus, dass man nicht genau weiß, was eigentlich zu tun ist. Somit lebt es von seiner Lernkurve. Insgesamt ist...

Newspapers in German

Newspapers from Austria