Im Labyrinth der Esoterik
„Cultist Simulator“ist ein faszinierendes Unikat – und eines der originellsten Games der jüngeren Spielegeschichte
Wien – Auf einer Tischplatte kann sich schon öfter mal die ganze Welt spiegeln, das wissen nicht nur Freunde der klassischen Tabletop-Strategiespiele, sondern jeder, der sich mit komplexeren analogen Brett- oder Kartenspielen beschäftigt. Im außergewöhnlichen digitalen Kartenspiel Cultist Simulator (Windows, Mac, Linux, 19,99 Euro) ist eine ebensolche nüchterne Oberfläche eines Tisches Schauplatz einer okkulten Suche irgendwo im England der 1920er-Jahre. Zum Kartenspielen braucht es Regeln, doch die sind in Cultist Simulator zu Beginn des Spiels ebenso vage wie alles andere. Der Erklärungstext der ersten, einsam auf dem Tisch liegenden Karten umreißt die Ausgangssituation: ein banales Leben, mit dem Verlangen nach dem Außergewöhnlichen, Okkulten, Unheimlichen.
Ein Kartenspiel als Sandbox
Es ist ein wenig schwierig, die zentralen Spielmechaniken von Cultist Simulator zu beschreiben, denn das Herausfinden, was eigentlich zu tun ist, ist essenzieller Teil des Spielspaßes. „Explore. Take risks. Keep experimenting and you’ll master it“, verspricht immerhin schon die Tagline. Die Basics: Cultist Simulator ist ein Ressourcenmanagementspiel mit Karten, die auf clevere Weise miteinander verknüpft sind. Gespielt wird allein wie in einer hyperkomplexen Patience, und ein fest- gelegtes Spielziel gibt es eigentlich nicht.
Das Spiel mit der Esoterik als Thema wird so selbst zur Übung in Esoterik. Die Einweihung in die verrätselten und auf den ersten Blick obskuren Mechanismen von Cultist Simulator entspricht so gesehen genau jener Initiationsreise, die der eigene Spielcharakter immer tiefer ins okkulte Herz des Geheimnisses unternimmt. Das lakonische „Simulator“im Spieltitel hat seine Berechtigung: Bei aller Abstraktion „simuliert“dieses fas-
zinierende Spiel tatsächlich eine okkulte Karriere, in der sich banales Leben und die zwanghafte Suche nach immer weiteren Erkenntnissen spielmechanisch abbilden. Natürlich kann man sich diesen Spaß auch verderben und in diversen Internetforen nach Antworten auf all die Fragen suchen, die sich hier minütlich stellen, doch diese Abkürzung raubt dem Spiel viel von seiner Faszination.
Fazit
Es gibt nur wenige Spiele, die spielmechanisch und thematisch so clever zusammenpassen wie Cultist Simulator. Das digitale Kartenspiel lebt von seiner Lernkurve; gewissermaßen ist das Aufde- cken der diversen Spielmechaniken das Spiel.
Wer keine Geduld dafür hat, sich in Versuch und Irrtum selbst und ohne Hilfe von außen den Weg zur düsteren Erleuchtung zu erarbeiten, wird wenig Freude damit haben. Für alle anderen ist es eines der originellsten Spiele der jüngeren Spielegeschichte, das zudem durch seine minimalistische Narration immer neue, haarsträubende Geschichten generiert. Ein ebenso elegantes wie außergewöhnliches Spiel.