ZITAT DES TAGES
Wenn Männer grauslich sind, zeigt sie den Dreck in der Wohnung, sagt Elizabeth T. Spira. Die Macherin von „Liebesg’schichten und Heiratssachen“über Voyeurismus und „kleine Ausländerfeinde“. Ich bin nicht der Psychiater, der hinter das Problem kommen muss,
„Die Fernsehkamera ist nichts Schlimmes mehr, sondern im Gegenteil: je bürgerlicher, desto ärger wird die Kamerasucht.“Alltagsfilmerin Elizabeth T. Spira über die Kandidaten von Liebesg’schichten und Heiratssachen
STANDARD: Die 22. Staffel „Liebesg’schichten und Heiratssachen“beginnt am 16. Juli in ORF 2. Sie sagen erst am Ende, ob es mit dem seit Jahren quotenstärksten Sommerformat weitergeht. Wie oft bekniet Sie der ORF? Spira: Na ja, man nimmt es auch zur Kenntnis, dass ich langsam immer älter und älter werde. Ich bin jetzt 75 Jahre, und irgendwann gibt es ein natürliches Ende. Sowohl im Leben als auch im Beruf, daher weiß ich nicht genau, wie lange das sein wird und wie lange es mir noch Spaß macht.
STANDARD: Das Format ist gleich, im Laufe der vielen Jahre haben sich die Kandidaten geändert. Es sind nicht mehr nur „einfache“Leute, viele kommen aus dem bürgerlichen Milieu. Spira: Ja, die Fernsehkamera ist nichts Schlimmes mehr, sondern im Gegenteil: je bürgerlicher, desto ärger wird die Kamerasucht. Wir müssen niemanden überreden, dass wir sogenannte bessere Leute vor die Kamera bekommen. Vor 20 Jahren war es ein Igitt-igitt, dass man seine Liebe über die Kamera sucht und über die Ehe und sein Leben erzählt. Das musste gelernt werden.
STANDARD: Ist die Gesellschaft extrovertierter geworden? Im Internet geben viele Leute sehr viel Privates preis. Spira: Für meinen Geschmack ist das zu viel Privates. Ich gehöre noch zur alten Generation und bin ganz erstaunt, was mir alles vor der Kamera erzählt wird. Einen gewissen Intimbereich wünsche ich mir zumindest für mich. Bestimmte Dinge würde ich nie erzählen, da kann jemand noch so intelligent fragen. Daher bin ich völlig verwundert, was Leute alles erzählen.
STANDARD: Aber Sie freuen sich darüber? Spira: Ich habe nichts dagegen (lacht), aber gleichzeitig bin ich verwundert. Wir sind aber schon so anständig und hören auf, wenn wir merken, es wird unangenehm. Ich bin ja nicht gekommen, um die Leute leidend zu machen.
STANDARD: Wo ziehen Sie die Grenze und hören auf zu drehen? Spira: Wir hören nicht auf zu drehen, sondern ich frage anders weiter und rede nicht mehr über Intimes. Wird etwas für jemanden unangenehm, geht mich das nichts an. Ich bin nicht der Psychiater, der hinter das Problem kommen muss, weil ich den sonst nicht heilen kann, sondern eine Fernsehmacherin, die es nichts angeht, wenn jemand bei bestimmten Dingen Probleme hat.
STANDARD: Hinter den Kandidaten stehen ja nicht selten tieftraurige Lebensgeschichten, die von Verlust geprägt sind, sonst wären sie nicht auf der Suche. Spira: Man muss natürlich bestimmte Sachen zeigen, und dann hängt es davon ab, wie sie oder er so ist. Ist es ein sehr eitler Mann, zeigen wir gerne seine Eitelkeiten. Das ist immer etwas komisch. Wir sind nicht unsere eigenen Feinde und erzählen die Geschichten schon so, dass sie Spaß machen. Tragische Sachen gehen nur bis zu einer gewissen Grenze, dann ist Schluss.
STANDARD: Gibt es Beschwerden von Interessenten, die anrufen, weil Sie von den Kandidaten nur einen sehr kleinen Teil der Realität gezeigt haben und einen wichtigen Part ausgeblendet haben? Zum Beispiel, dass jemand eine Schlange zu Hause hat? Spira: Hat jemand eine Schlange zu Hause, müssen wir das filmen. Ich nicht, weil ich Angst vor Schlangen habe (lacht), aber der Kameramann macht das. In das Haus würde ich auch nicht mehr freiwillig gehen. Ein Mann, der eine Schlange hat, wäääh.
STANDARD: Ist der Ihnen suspekt? Spira: Ja, auch ein Hund, der größer ist als ich, würde auch nicht gehen (lacht). Und das ist leicht möglich.
STANDARD: Jeder Vierte hat Migrationshintergrund, der Ausländeranteil liegt bei rund 15 Prozent. Diese Vielfalt spiegelt sich nicht in Ihrer Sendung wider. Woran liegt das? Spira: Ich bin sehr froh, wenn sich wer meldet. Früher waren es noch ein paar Putzfrauen, etwa aus Serbien, aber auch das ist vorbei. Vielleicht hat das mit der Angst zu tun, vor der Kamera Deutsch zu reden. Einmal war ein Perser dabei. Der war 40 Jahre alt, also relativ jung, attraktiv, witzig, dynamisch, hat Geld gehabt, seit 20 Jahren in Wien gelebt und gern getanzt. Und keine Frau hat sich gemeldet, stell dir das vor! Das war furchtbar.
STANDARD: Komisch. Spira: Na ja, komisch. Meine lieben Österreicher sind kleine Ausländerfeinde. Auch die Frauen. Wir hatten noch zwei Afrikanerinnen als Kandidatinnen, aber das ist alles abzählbar. Mich kränkt es etwas, dass so wenige Ausländer dabei sein möchten oder etwa auch Flüchtlinge, die hier leben. Nur eine Dame, die sich um Flüchtlinge kümmert, wollte, dass ich mich bei ihnen melde. Ich habe gesagt: Das geht nicht. Erstens müssen sich die melden, ich rufe sie sicher nicht an. Und zweitens finde ich diesen Weg nicht gut. Deutsch reden zu müssen ist natürlich schon eine Barriere, manche genieren sich dann.
STANDARD: Vor allem Ihre „Alltagsgeschichten“wurden kritisiert, sie seien Sozialpornos und stellten Leute bloß. Nehmen Sie sich das zu Herzen, oder perlt das ab? Spira: Es prallt nicht ab, es ärgert mich ein bisschen. Man macht Geschichten so, wie man Geschichten erzählen muss. Ich kann nicht zu jemandem gehen, der arm ist, und so tun, als wäre sein Leben kein Problem. Zu lügen und zu sagen: Komm, geh’ dich schnell waschen, ich kaufe dir ein sauberes Leiberl. Das geht auf keinen Fall. Ich sage: es gibt keine miesen Leute, sondern Leute, die verschieden mit ihren Problemen fertig werden. Wir filmen Leute so, wie sie sind. Schauen aber, dass bestimmte Sachen nicht kommen. Bei den Liebesg’schichten gibt es auch Männer, die ganz grauslich sind. Dann zeigen wir den Dreck in der Wohnung.
STANDARD: Den zeigen Sie warum? Spira: Na schon, der Schmuddel in der Wohnung ist wichtig, denn irgendwo gibt es schon eine Warnung. Stört das die Frau nicht, soll es mir recht sein, aber wenn du hinkommst und die Wohnung ist bis oben angefüllt mit lauter Mist, dann ist sie halt so. Wir machen keine Wohnungen sauber. Und auch kein sauberes Bild. Er soll dort sitzen, wo er sitzen will. Und da ist meistens viel Dreck.
STANDARD: Die eine Seite sind arme Leute, die andere sind Besoffene, die in Ihren Reportagen eine Rolle spielen. Die Kritik lautet, dass Sie das zeigen. Etwa bei den „Alltagsgeschichten“über Würstelstände. Spira: Mein Gott, das ist schon lange her. Dreht man in der Nacht beim Würstelstand, gibt es manche, die betrunken sind, so ist es halt. Ich kann nicht sagen: Alle Betrunkenen weg, dann bleibt mir niemand übrig. Leute, die in der Nacht unterwegs sind, sind nicht immer nüchtern. Sonst würden sie nicht den Würstelstand brauchen (lacht).
STANDARD: Und haben die immer gewusst, dass sie gefilmt worden sind? Spira: Die sind ja nicht deppert, die Kamera ist riesig.
STANDARD: Bei zwei Promille oder mehr können Erinnerungslücken auftreten. Spira: Nein, Leute mit zwei Promille interviewen wir nicht. Der kann ja nur mehr rülpsen, das tun wir uns nicht an (lacht). Er muss schon wissen, dass er mit uns redet, alles andere wäre unfair. Ein bisschen darf er getrunken haben, aber nicht so viel, dass er nicht mehr weiß, wie er heißt, wer wir sind und was wir da machen.
ELIZABETH T. SPIRA (75) wurde 1942 in Glasgow als Kind jüdischer Eltern geboren. 1946 übersiedelte sie nach Wien, wo sie später Publizistik studierte. Neben zahlreichen Dokumentationen für den ORF gestaltete sie von 1985 bis 2006 die DokuReihe „Alltagsgeschichten“und seit 1997 die Kuppeleishow „Liebesg’schichten und Heiratssachen“.