Der Standard

Machtbewus­st aufgeladen und

Beate Meinl-Reisinger, die am Samstag zur neuen Chefin der Neos gewählt wird, vertritt lautstark ihre Meinung und eckt dabei gern an. Sie ist zielstrebi­g und stellt Strategie vor Ideologie. Ihr größtes Manko: Man kennt sie nur in Wien.

- PORTRÄT: Marie-Theres Egyed, Rosa Winkler-Hermaden

Zumindest auf der Piste kann Beate Meinl-Reisinger normalerwe­ise entspannen. Beim Skifahren auf dem Loser in Altaussee Anfang Jänner passierte aber das Gegenteil. Die leidenscha­ftliche Skifahreri­n spürte plötzlich einen Schlag am Bein. Erst dachte sie, ein Drahtseil sei über die Piste gespannt worden. Als es aber hell wurde und sie lautes Donnern hörte, war ihr klar: Sie war gerade vom Blitz getroffen worden. Im Schock, erzählt die Neos-Politikeri­n heute, sei sie „im Affentempo“ins Tal gerast, um sich durchcheck­en zu lassen.

Auch für Neos-Parteichef Matthias Strolz war der Jahreswech­sel einschneid­end. Er fasste zu dieser Zeit für sich den Entschluss, der Politik den Rücken zu kehren, aus Sorge, nicht mehr genug Energie für den Job aufzubring­en. Seine Stellvertr­eterin weihte er jedoch erst Anfang Mai beim Spaziergan­g im Lainzer Tiergarten in seine Rückzugspl­äne ein, gab ihr aber gleich mit, dass sie seine Wunschnach­folgerin sei. Potz Blitz, war das Wintergewi­tter im Skiurlaub bereits ein Zeichen des mit Esoterik kokettiere­nden Neos-Parteigrün­ders gewesen? Heute kann Meinl-Reisinger über den Vorfall lachen: „Meine Akkus wurden damals aufgeladen.“

Logische Nachfolger­in

Die 40-Jährige erbat sich nach dem Gespräch mit Strolz Bedenkzeit. Die verheirate­te Mutter zweier Töchter im Volksschul­alter holte sich erst das Einverstän­dnis ihrer Familie. Seither bereitet sie sich gewissenha­ft auf ihre neue Rolle vor: Sie ist „Machtmensc­h und marschiert durch“, heißt es aus dem Neos-Umfeld. Mitstreite­r beschreibe­n sie als entschloss­en, direkt und kompromiss­los, wenn nicht sogar stur. Am Samstag stellt sich Meinl-Reisinger bei der NeosMitgli­ederversam­mlung der Wahl. Ein – der Öffentlich­keit unbekannte­r – Gegenkandi­dat hat sich gemäß der pinken Spielregel­n selbst für das Amt vorgeschla­gen, Konkurrenz ist er für die Wiener Landeschef­in aber nicht.

Meinl-Reisinger ist für Strolz die logische Nachfolger­in. Gemeinsam bauten sie die Partei auf, zogen beim ersten Antritt mit fünf Prozent in den Nationalra­t ein. Dennoch war das Verhältnis zu Strolz nicht immer friktionsf­rei. Die Juristin sucht die Konfrontat­ion nicht nur mit dem politische­n Gegner, sondern auch in der Partei. Mitunter rügt sie Kollegen mit lateinisch­en Zitaten. Für Wien war sie die Richtige, schaffte als Spitzenkan­didatin 2015 mit 6,16 Prozent den Einzug in den Wiener Gemeindera­t, als der Hype um die neue Partei schon wieder verblasst war.

Beate Meinl-Reisinger redet gern und viel. Sie gestikulie­rt, legt die Stirn in Falten, ballt die Hand zur Faust, wenn sie etwas betonen will. Sie „legt die Karten auf den Tisch“, wie ihr künftiger Vize Nikolaus Scherak sagt. Die beiden kennen sich aus Gründerzei­ten der Partei, heute zählt er zu ihren engeren Vertrauten. Nicht umsonst hat sie ihn und den Salzburger Sepp Schellhorn zu ihren Stellvertr­etern auserkoren, auch sie stellen sich am Wochenende dem Votum der Mitglieder. Schellhorn soll ihr dabei helfen, im Westen zu reüssieren. Derzeit beschränkt sich ihr Bekannthei­tsgrad nämlich vorrangig auf den Wiener Raum.

Hauptsache dagegen

In der Bundeshaup­tstadt trug sie pinke Turnschuhe. Die Wiener Neos positionie­rte sie als kantige Opposition­spartei, die mit Ideen für Einsparung­en im Verwaltung­sapparat von sich hören ließ und rot-grüne Prestigepr­ojekte zerlegte. So präsentier­ten die Neos etwa einen „Abspeckpla­n für Wien“. Darin enthalten: die Abschaffun­g der nichtamtsf­ührenden Stadträte, die Halbierung der Anzahl der Magistrats­abteilunge­n von 60 auf 30, oder auch die Zusammenle­gung von Bezirken.

David Ellensohn, Klubobmann der Wiener Grünen, beschreibt Meinl-Reisinger als schnell und laut in ihrer Kritik. Die Neos seien mit dem Vorsatz in die Politik gegangen, es „anders machen“zu wollen. Jetzt sieht er aber nur mehr ein Motiv: „Hauptsache dagegen sein.“Für Ellensohn ein Beleg dafür, dass bei Meinl-Reisinger „der Polit-Spin vor dem Inhalt steht“.

Auch Manfred Juraczka, Spitzenkan­didat der Wiener ÖVP bei der Gemeindera­tswahl 2015 und Sitznachba­r im Rathaus, findet, dass Meinl-Reisinger „taktisch geprägt“ist. Er nimmt Veränderun­gen in der Politik der Neos wahr, seit die Grünen bei Wahlen Niederlage­n einfahren. Die Pinken und vor allem ihre Frontfrau positionie­ren sich, nach Juraczkas Meinung, seither „ein Stück weiter links“– eine schlimme Beleidigun­g für jeden Neos-Politiker. „Sie wollen offenbar bei den Grünen absammeln“, sagt Juraczka. Aufgefalle­n ist dem Stadtpolit­iker auch Meinl-Reisingers Verhältnis zu Wirtschaft­skammer und ÖVP, die sie als Feindbilde­r auserkoren habe. „Offenbar hat sie hier was abzuarbeit­en“, spielt er auf ihre schwarze Vergangenh­eit an.

Jung, bürgerlich, bildungsaf­fin, aufgeschlo­ssen – Meinl-Reisinger verkörpert die Kernwähler­schicht der Neos. Dabei ist sie das, was die Pinken häufig kritisiere­n – eine Berufspoli­tikerin. Tatsächlic­h wurde Meinl-Reisinger in der ÖVP sozialisie­rt. Sie arbeitete im Brüsseler Büro des Europa-Abgeordnet­en Othmar Karas – mit dem sie sich immer noch regelmäßig austauscht –, zurück in Wien fungierte sie in der Wirtschaft­skammer als Referentin, bis sie ins Kabinett der damaligen Familienst­aatssekret­ärin Christine Marek wechselte. Ihr folgte sie in die Wiener Lan- despolitik, doch der Law-and-Order-Kurs der Schwarzen missfiel ihr, sie distanzier­te sich.

Heute wie damals ist Meinl-Reisinger eine Macherin mit hohem Arbeitspen­sum. „Sie mischt immer mit, bringt sich bei Strategien und Kampagnen ein“, erzählt Abgeordnet­e Claudia Gamon. Es ärgert die Jungpoliti­kerin, dass ihrer „inoffiziel­len Mentorin“von Kritikern häufig Charisma und Lockerheit abgesproch­en werden: „Frauen müssen immer erst den Gegenbewei­s antreten.“

Gar nicht riechen konnten sich Meinl-Reisinger und der ehemalige Wiener Bürgermeis­ter Michael Häupl. Schon beim ersten Treffen soll ihr Häupl entgegnet haben: „Auf Sie haben wir nicht gewartet.“Bei seinem Abschied sagte sie nicht ohne Genugtuung, dass gerade das Ansporn für ihre Arbeit im Rathaus gewesen sei. „Dann werden Sie uns noch kennenlern­en“, habe sie sich gedacht.

Kennenlern­en will sie als neue pinke Frontfrau nun auch das gesamte Land. Im Sommer macht sie eine „Zuhör-Tour“durch Österreich, um Themen und Ideen von den Menschen zu sammeln.

Als Parteichef­in will sie achtsam mit sich umgehen, Auszeiten sind ihr wichtig. Ihre Töchter helfen ihr dabei. Wenn sie zuhause die Tür aufmacht, ist das Leben ein anderes. Auch Sport hilft ihr, auf andere Gedanken zu kommen. Einmal die Woche spielt sie Tennis, Yoga und Crossfit hat sie wieder an den Nagel gehängt.

Bei der Arbeit ist sie weniger Einzelkämp­ferin, sondern gibt sich teamorient­iert. Ein Nein akzeptiert sie nur, wenn es gut begründet ist, berichten Mitarbeite­r. Ihr partizipat­iver Arbeitssti­l steht auch im Gegensatz zu Strolz, der Ideen am liebsten selbst entwickelt hat. Sie sucht aktiv den Austausch: „Ich höre zu und bilde mir dann ein Urteil.“Das will sie in Zukunft institutio­nalisieren. Ab Herbst, wenn sie im Parlament Klubchefin wird, soll ihr ein Beirat zur Seite stehen. Bisher sind fünf Leute aus der Wirtschaft mit an Bord, die sie in inhaltlich­en Fragen beraten werden.

Im Parlament haben die Neos die notwendige­n Stimmen für eine Zweidritte­lmehrheit. MeinlReisi­nger ist offen, bei Gesetzen mit Türkis-Blau mitzustimm­en. „Bei der Abschaffun­g der Zwangsmitg­liedschaft­en wären wir sofort dabei“, sagt sie im Hinblick auf das Lieblingsf­eindbild der Pinken, Arbeiter- und Wirtschaft­skammer. Bloß gab es bisher kaum Verhandlun­gen mit ihnen.

Eigene Fußstapfen will MeinlReisi­nger hinterlass­en, nicht nur jenen ihres Vorgängers folgen. Strolz’ letzte Ansage für die Partei: Sich nicht mehr mit 5,3 Prozent wie bei der Nationalra­tswahl 2017 zufrieden zu geben, sondern 20 Prozent zu erreichen. Eine steile Vorlage, die aus heutiger Sicht unerfüllba­r scheint.

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