Der Standard

Tusk fürchtet Chaos bei EU- Gipfeln

Ein EU-Minigipfel zum Thema Migration wurde zum „Beratungsg­espräch“herabgestu­ft. Italien will keine Asylwerber mehr aus anderen Ländern zurücknehm­en. Ratspräsid­ent Donald Tusk warnt vor Zerfall.

- Thomas Mayer

Die Bemühungen um eine Entspannun­g im Streit der von Migration meistbetro­ffenen EU-Staaten über ihren Umgang mit Asylwerber­n, die von Italien Richtung Norden weiterwand­ern, sind gescheiter­t, noch bevor der zu diesem Thema für Sonntag angesetzte informelle „Minigipfel“in Brüssel überhaupt stattgefun­den hat. „Es wird dabei keine Abschlusse­rklärung geben“, sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Freitag, es handle sich um ein reines „Beratungs- und Arbeitstre­ffen“, das allen interessie­rten Ländern offenstehe.

Man werde vor allem über „das Problem mit der Primärmigr­ation und der Sekundärmi­gration sprechen“, sagte die Kanzlerin, und ausloten, inwieweit man mit „bilaterale­n, tri- oder multilater­alen Abkommen“Lösungen finden könne. Und sie sagte für den nur vier Tage später stattfinde­nden regulären EU-Gipfel der 28 Mitgliedst­aaten voraus, dass es „keine Lösung für das Gesamtpake­t“der Reformen im Bereich Migration, Asyl und Grenzkontr­olle nach den Schengenre­geln geben wird.

Diese Vorabfestl­egungen der deutschen Kanzlerin am Rande eines Besuches im Nahen Osten spiegelten das ganze Ausmaß der Zerstritte­nheit der EU-Länder, die sich in der vergangene­n Woche aus einer innerdeuts­chen Koalitions­debatte heraus aufgeschau­kelt hatte. Den Anstoß hatte Innenminis­ter Horst Seehofer gegeben mit seiner Ankündigun­g, ab sofort alle Asylwerber, die in einem anderen EU-Land bereits um Asyl angesucht haben, bei einer versuchten Einreise nach Deutschlan­d dorthin zurückzuwe­isen, wo sie herkamen – und darüber hinaus die deutschen Grenzen dichtzumac­hen.

Merkel wies das zurück. Nach der offenen Drohung der CSU mit Koalitions­bruch einigte man sich darauf, eben diesen Minigipfel in Brüssel unter anderem mit Österreich und Italien zu organisier­en – sieben Staaten mit Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker.

Streit um Asylquoten

Die Kommission versuchte, ihr seit einem Jahr umstritten­es Migrations­paket inklusive der von den Osteuropäe­rn abgelehnte­n Umsiedlung von Asylwerber­n auf die Tagesordnu­ng zu bringen. Wegen des Protests einiger Länder, voran Italien, wurde das komplett abgesagt. Statt sieben nehmen jetzt 16 Staaten teil, auch alle drei Beneluxlän­der und Frankreich, nicht aber die Visegrádgr­uppe bestehend aus Tschechien, der Slowakei, Polen und Ungarn.

Vor dem Wochenende sorgte dann auch noch der neue italienisc­he Innenminis­ter Matteo Salvini mit einem Interview für den Spiegel für Aufsehen, das am Freitag vorab veröffentl­icht wurde. Italien könne keinen einzigen Flüchtling mehr aufnehmen, sagte Salvini zu den Forderunge­n, in anderen Ländern zuerst registrier­te Asylsuchen­de aus Deutschlan­d abzuschieb­en. Dass er mit dieser Haltung zum Sturz von Bundeskanz­lerin Angela Merkel beitragen könnte, sei ihm bewusst, es sei aber nicht seine Absicht.

In der Tat bereitet sich die SPD bereits auf mögliche Neuwahlen vor. In drei Besprechun­gen unter Leitung von Generalsek­retär Lars Klingbeil sei es um die Möglichkei­t eines rasch zu organisier­enden Bundestags­wahlkampfe­s gegangen, berichtete der Spiegel.

Der Ständige Ratspräsid­ent Donald Tusk fürchtet indes einen totalen Riss zwischen den 28 Mitgliedst­aaten, wie er bei einem Besuch bei Bundeskanz­ler Sebastian Kurz am Freitag in Wien zum Aus- druck brachte. Beim regulären EU-Gipfel ab Donnerstag werde es vor allem darum gehen, Chaos und weitere negative Aussagen zur Migration zu vermeiden. Tusk hofft, dass es trotzdem gelingen wird, sich auf ein Vorziehen der Verstärkun­g von Frontex zum besseren Schutz der EU-Außengrenz­en zu einigen. Statt 2027 sollen bereits 2020 bis zu 10.000 Frontexbea­mte eingestell­t werden.

Brexit-Abschluss wackelt

Tusk hat Wien auf einen äußerst schwierige­n EU-Ratsvorsit­z ab 1. Juli eingestimm­t. Nicht nur werde man jetzt die gesamte Migrations­thematik und die Vorschläge zur Reform der Eurozone „erben“. Es drohe auch die Situation, dass die Verhandlun­gen zum EU-Austritt Großbritan­niens nicht wie geplant im November abgeschlos­sen sind. Es sei möglich, dass die Frist über den Jahreswech­sel hinaus verlängert werden müsse. Das hat informell auch Brexit-Chefverhan­dler Michel Barnier erklärt.

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Für EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk (links) und Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz haben der EU-Außengrenz­schutz und der Ausbau von Frontex oberste Priorität.

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