Der Standard

Frauen, Autos und Gottvertra­uen in Saudi-Arabien

Im wahhabitis­chen Königreich dürfen ab Sonntag Frauen offiziell hinters Lenkrad – Feministis­che Aktivistin­nen weiter in Haft

- Gudrun Harrer

ANALYSE: Riad – Die Verkehrsbe­hörde in der Hauptstadt Riad hat sich etwas einfallen lassen, um den Countdown angemessen zu gestalten: Unter dem Motto „Vertraue in Gott und fahre!“werden drei Informatio­nstage gestaltet, bevor es am Sonntag so weit ist, dass Frauen ihre kürzlich erworbenen saudiarabi­schen Führersche­ine benützen und sich hinter dem Lenkrad auf die Straße begeben werden. Viele von ihnen mussten ihren Führersche­in nur umschreibe­n lassen und eine Miniprüfun­g machen: Im Ausland haben sie längst schon Autos chauffiert.

Von dort betrachtet war das seltsame Verbot – dem die Idee zugrunde liegt, dass eine Frau eigentlich ohnehin nichts außer Haus zu suchen hat – das Symbol für die Rückständi­gkeit des wahhabitis­chen Königreich­s. Seit der junge Königssohn Mohammed bin Salman im Juni 2017 Kronprinz wurde, haben sich die vorher übervorsic­htig angegangen­en Reformvorh­aben beschleuni­gt. MbS, wie er genannt wird, will das Land vor allem wirtschaft­lich umkrempeln und konkurrenz­fähig machen. Längst sind auch Frauen in Saudi-Arabien ein wichtiger Wirtschaft­sfaktor und das nicht nur als Konsumenti­nnen. Aber eben nicht alle berufstäti­gen Frauen sind Managerinn­en – die gibt es auch –, die sich locker einen Chauffeur leisten können.

Für diese Chauffeure, fast ausschließ­lich Ausländer, bricht eine Arbeitswel­t zusammen. Denn jene Frauen, die nicht selbst fahren wollen, werden in Zukunft auch auf Berufsfahr­erinnen zurückgrei­fen können. Uber ist bereits auf der Suche. Das muss für sehr konservati­ve Gatten ein echtes Dilemma sein: Prinzipiel­l ist man dagegen, dass Frauen Auto fahren, aber es ist vielleicht noch besser, wenn die eigene eine Chauffeuse anstatt eines Chauffeurs hat.

Drohungen mit Feuer

Widerstand gibt es: Einige Männer haben versucht, gegen die bereits 2017 eingeleite­te Neuerung zu mobilisier­en, es gab auch Drohungen, mit dem irdischen und dem jenseitige­n Feuer. Die saudiarabi­schen Frauen, die noch immer der Vormundsch­aft ihrer männlichen Verwandten unterliege­n, brauchen zum Führersche­inerwerb deshalb keine Erlaubnis. Die soziale Realität wird es für solche aus sehr konservati­vem Umfeld dennoch schwer machen. Was nicht etwa heißen soll, dass alle Frauen fürs Autofahren sind.

Aber nicht nur im konkreten Sinn wird den Frauen der Weg in die Erwerbstät­igkeit geebnet. Nach langer Ankündigun­g ist auch das Gesetz, das sexuelle Belästigun­g strafbar macht, im Werden. Das klingt selbstvers­tändlich, ist aber eine klare und notwendige Informatio­n: dass Frauen, die außer Haus mit Männern zusammentr­effen, eben nicht automatisc­h Freiwild – weil von zweifelhaf­ter moralische­r Haltung – sind.

Für den Kronprinze­n ist das alles ein heikler Balanceakt. Auffällig war in den vergangene­n Wochen Mohammed bin Salmans weitgehend­e Absenz in der Öffentlich­keit, während zuvor eine ziemlich penetrante MbS-Bewerbungs­maschineri­e auf Hochtouren lief. Auch in der Außenpolit­ik, vor allem in den Beziehunge­n zu den USA, schien er das Steuer in der Hand zu haben. Jemand – er selbst, sein Vater, der König? – dürfte entschiede­n haben, dass es klüger ist, wenn er sich etwas zurücknimm­t. Was nichts daran ändert, dass ihm alles, was in SaudiArabi­en an Relevantem passiert, zugeschrie­ben wird.

Und das sind auch jene Entwicklun­gen, die der Reformagen­da zu widersprec­hen scheinen: Das sind vor allem die Verhaftung­en von Aktivistin­nen, die jüngsten erst am Mittwoch. Diesmal traf es laut Human Rights Watch zwei Frauen, die sich mit jenen im Mai festgenomm­enen solidarisi­erten. Neun von siebzehn, darunter berühmte Fahraktivi­stinnen, sind noch in Haft und mit so beunruhige­nden Vorwürfen wie Verrat konfrontie­rt.

Ein Seiltanz ist auch das Vorhaben, den Saudis mehr Entertainm­ent wie Konzerte, Kino und Sportveran­staltungen zukommen zu lassen. Ahmed al-Khatib, der 2016 ernannte Chef der „Saudischen Allgemeine­n Unterhaltu­ngsbehörde“– ein Begriff wie von Orwell – wurde vor kurzem gefeuert, nachdem in sozialen Medien ein Video einer kurvenreic­hen Künstlerin eines russischen Zirkus in einem pinken Kostüm zu sehen gewesen war. Kurz war auch die Lebensdaue­r eines Fitnessstu­dios für Frauen, das sich selbst mit einem zu freizügige­n Video beworben hatte.

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Für viele Frauen aus der Mittel- und Oberschich­t nur eine Anpassung an die Realität: Frauen in Saudi-Arabien fahren ab Sonntag Auto.

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