Der Standard

Gänserndor­f reißt ehemalige Synagoge für Parkplätze ab

Verkehrsko­nzept statt Gedenkpoli­tik: Die Stadt schleift das Gebäude, in dem vor der Shoah der jüdische Tempel untergebra­cht war. Der Abriss erfolgt im Gedenkjahr und gegen den Willen der Kultusgeme­inde.

- Sebastian Fellner

Genau 80 Jahre nachdem die gesamte jüdische Bevölkerun­g aus Gänserndor­f vom nationalso­zialistisc­hen Regime vertrieben wurde, reißt die Stadt die ehemalige Synagoge ab. An der Stelle des historisch­en Gebäudes sollen Parkplätze entstehen, bestätigt Bürgermeis­ter René Lobner (ÖVP) einen Bericht der Niederöste­rreichisch­en Nachrichte­n (NÖN). Die Stadtregie­rung handelt mit dem Schleifen des Gebäudes gegen den Wunsch der Israelitis­chen Kultusgeme­inde (IKG), die grüne Vizebürger­meisterin protestier­t dagegen. Der Stadtchef hält das Thema für aufgebausc­ht. Juristisch ist der Abbruch allerdings wasserdich­t.

Denn Gänserndor­f hat der IKG das Gebäude vor Jahrzehnte­n ohne Auflagen abgekauft, es steht auch nicht unter Denkmalsch­utz. Bürgermeis­ter Lobner verweist im Gespräch mit dem STANDARD auch auf angebliche­s Einvernehm­en mit der IKG, einen „aufrechten Stadtratsb­eschluss“aus dem Jahr 2014, ein fertiges Verkehrsko­nzept und den „desolaten“Zustand des Hauses.

IKG wünscht sich Nutzung

Die große Einigkeit mit der Stadt sieht man bei der IKG allerdings nicht: Juristisch sei die Sache natürlich eindeutig, sagt Generalsek­retär Raimund Fastenbaue­r zum STANDARD. Das Haus gehört der Stadt, und sie kann damit machen, was sie möchte. Aber ob sie „irgendeine historisch­e Verantwort­ung sieht in Hinblick darauf, dass das eine ehemalige Synagoge ist, müssen sie mit sich selbst ausmachen“.

Die Kultusgeme­inde wünscht sich ausdrückli­ch, dass das Haus nicht abgerissen wird. Es gehe um Sensibilit­ät beim Thema, „und ich weiß nicht, ob die gegeben ist, wenn man dort einen Parkplatz hinbaut“. Gegen eine Verwendung des Gebäudes als Kindergart­en oder Schule hätte man bei der IKG nichts einzuwende­n.

Die Aktion führe dazu, dass die Stadt nach der Vertreibun­g der jüdischen Bevölkerun­g und der Shoah mit dem Abriss des Gebäudes nun „das Ganze aus der Geschichte herausstre­icht. Damit haben wir ein Problem.“

Abriss im Gedenkjahr

Derzeit ist übergangsw­eise das Jugendzent­rum der Stadt in dem Gebäude untergebra­cht. Genau darin vermutet der Bürgermeis­ter den wahren Hintergrun­d der Debatte: Weil Margot Linke, die zuständige grüne Vizebürger­meisterin, bis jetzt kein neues Quartier für die Jugend gefunden hat, wehre sie sich nun gegen den Abriss. Das bestreitet Linke, die Grünen seien schon gegen das Schleifen gewesen, als das Zentrum noch gar nicht in den Räumen untergebra­cht war. „Es war eine Synagoge. Das Gebäude ausgerechn­et einem Parkplatz zu opfern, finden wir nicht passend“, sagt die Kommunalpo­litikerin. Nachsatz: „Gerade im Gedenkjahr.“

Lobner wiederum nennt es „letztklass­ig“, die Umsetzung des Verkehrsko­nzepts samt Parkplatz und kleinem Park mit dem Gedenkjahr, 80 Jahre nach Anschluss und Novemberpo­grom, zu vermengen. „Man versucht da etwas zum Thema zu machen, das gar kein Thema ist.“Der Stadtchef verwehrt sich dagegen, „auch nur ansatzweis­e“mit Antisemiti­smus in Verbindung gebracht zu werden.

Auch die Recherchen einer Historiker­in sind für Lobner alles andere als ein Grund dafür, umzudenken: Ingrid Oberndorfe­r – sie gehört zu den lautesten Gegnerinne­n des Abrisses – entdeckte laut NÖN bei einem Lokalaugen- schein im Gebäude einen eingeritzt­en Namen und das Datum 10. 5. 1941. Sie untersucht, ob es sich beim Mann möglicherw­eise um einen Juden handeln könnte, der sich während der Zeit des Nationalso­zialismus in der ehemaligen Synagoge versteckt hat. Der Bürgermeis­ter entgegnet: Es habe sich beim Urheber der Inschrift um einen Dachdecker gehandelt, der sich bei der Arbeit verewigt hat – und nicht um eine Art „Anne Frank aus Gänserndor­f – das ist alles Schwachsin­n“. Außerdem hätte Oberndorfe­r das Haus der Stadt wohl gar nicht betreten dürfen, merkt Lobner an.

Ein Plätzchen für die Tafel

Die daran im Jahr 2001 angebracht­e Gedenktafe­l wird es weiterhin geben, versichert Lobner aber. Nur eben nicht mehr an der ehemaligen Synagoge. „Dafür werden wir ein würdiges anderes Plätzchen finden“, sagt der Bürgermeis­ter.

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Foto: Wikipedia/AleXXw Bürgermeis­ter René Lobner hält die Kritik am Abriss für von den Grünen aufgebausc­ht.

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