Putzfimmel
Wladimir Putin dürfte das Militärbudget umgeschichtet haben. Russland setzt offensichtlich vermehrt auf Kehrmaschinen, zusätzliche Panzer und Abwehrraketen braucht eh keiner mehr. Das Land scheint einem weltmeisterlichen Putzfimmel anheimgefallen zu sein, jedenfalls kreisen die Fahrzeuge mit den eingebauten Bürsten und Wassertanks permanent ums Luschniki-Stadion. Auch an spielfreien Tagen. Eine Frequenz fast wie bei der Metro. Minutentakt wäre übertrieben, aber die Gefahr, von so einem Ding überfahren, also weggekehrt zu werden, ist nicht zu unterschätzen. Man würde immerhin gewaschen sterben. Jedenfalls ist es aus medizinischer Sicht völlig unbedenklich, in Moskau vom Boden zu essen. Szenenwechsel: eine Pizzeria abseits des überlaufenen Zentrums. Eine Argentinierin, erkenntlich am blauweißen Trikot, hat es sich vor dem Flach- bildschirm gemütlich gemacht. Sie sitzt allein an einem kleinen Tisch. Warum sie Gesellschaft meidet oder keine Freundinnen und Freunde hat, geht niemanden etwas an. Sie, eine zarte Person, bestellt Bier, eines nach dem anderen, ihrem Trinktempo gebührt Respekt. Sie schaut gebannt Messi gegen Kroatien. ls das 0:1 fällt, fängt sie an zu weinen. Sie wischt mit einer Serviette die Tränen weg. Ein sinnloses Unterfangen, der Fluss mündet spätestens nach dem 0:3 in einen Wasserfall. Mit einer patscherten Bewegung stößt sie das Bierglas um. Die russische Kellnerin kommt herbeigeeilt, mit einer Kehrmaschine anzufahren wäre zu viel verlangt. Aber Schwamm, Besen und Schaufel reichen vollauf. Sie wischt den Schmutz, das Unglück weg. Moral aus dieser Geschichte: In Moskau wird von blitzblanken Tischen gegessen. Christian Hackl
A