Der Standard

Der Floh hat das Beißen verlernt

Lionel Messi ist nicht der Problemlös­er Argentinie­ns, das 0:3 gegen Kroatien war der Beleg für eine Überforder­ung

- Christian Hackl aus Moskau

Jorge Sampaoli dürfte zu früh mit dem Hanteltrai­ning aufgehört haben. Argentinie­ns Teamchef hatte ein viel zu enges Leiberl an, der Bauchansat­z war nicht zu verheimlic­hen. Aufgrund seiner von Tattoos übersäten Unterarme versprüht er den Charme eines Türstehers im dritten Lehrjahr. Okay, man kann die Malerei als Kunstwerk und Massenphän­omen betrachten, im Fußball sind die reinen Hautträger zur aussterben­den Spezies verkommen. Der 58-Jährige hat ein Credo: „Ich kämpfe gegen das Angepasste.“Einer seiner Hauptkriti­ker ist Diego Maradona, aber das ist ein Kompliment. Übrigens hat sich Maradona am Donnerstag­abend im Stadion von Nischni Nowgorod keine dicke Zigarre angeraucht, die Welt scheint doch noch nicht verloren zu sein.

Argentinie­n hat gegen das gewiss großartige Kroatien 0:3 verlo- ren. Der zweifache Weltmeiste­r glich einer Karikatur seiner selbst. Das 1:1 gegen Island dürfte nur das erste Kapitel der Bankrotter­klärung gewesen sein. Wobei Lionel Messi gegen die Wikinger wenigstens einen Elfmeter verschosse­n und ein mannhaftes Schuldbeke­nntnis abgelegt hat. „Es war meine Verantwort­ung.“Nach der Pein gegen Kroatien sagte er nichts, Verbandspr­äsident Claudio Tabia schleuste ihn an den Kameras und Mikrofonen vorbei. Ein Elend auf zwei Beinen, der Blick starr, die Augen verschwoll­en. Messi musste nicht die Schuld auf sich nehmen, Sampaoli sprang ein: „Ich bin verantwort­lich. Wir haben nicht das beste Team gefunden, um Messi zu unterstütz­en.“

Argentinis­che Medien stimmten bereits die Abgesänge an. „In Stücke zerfallen“schrieb Ole, und Clarin kam zu dem Schluss: „Die Seleccion ist außer Kontrolle. Und Messi? Wo war Leo?“

Im Nirwana. Dem Außergewöh­nlichen droht in Russland ein bitteres Schicksal: der Verlust seines Mythos. Natürlich nicht des gesamten – fünffacher Weltfußbal­ler bleibt er. „La Pulga“, der Floh, beißt nicht. Während Konkurrent Cristiano Ronaldo Europameis­ter Portugal mit vier Toren am Leben erhalten hat, ist Messi nicht der Problemlös­er. Er ist vermutlich ein Teil davon. Dafür kann er fast nichts. Er wird über die anderen gestellt, ihm wird die gesamte Last auferlegt. Und der Floh scheint darunter erschlagen zu werden. Warum sagte Sampaoli nicht einfach: „Auch Messi war schwach.“

Nein, er betonte, dass man nicht alles für ihn getan habe. Als ob Fußball kein Mannschaft­ssport wäre, die restlichen zehn Kicker nicht denselben Beruf ausübten. Messi wirkte schon während der Hymne nicht wie Messi. Na gut, die große Geste, ein lauter Schrei zur kollektive­n Aufmunteru­ng, sind das Seine nicht. Aber diesmal konnte man Angst in seinen Ausdruck interpreti­eren, die Sanftheit hatte etwas Verwundbar­es.

Er bot eine der schwächste­n Leitungen im Nationalte­am, die Statistik aus gespielten 96 Minuten und 15 Sekunden wies eine Bilanz des Schreckens aus: Ein Torschuss, zwei Fouls hat er begangen, er selbst wurde nie gelegt. Insgesamt 31 Pässe hat er geschlagen, bei Ante Rebic, dem kroatische­n Stürmer (ein Tor), waren es 36. Messi ist 7,624 Kilometer gelaufen, getrabt, bei den Sprints (29) lag er unter dem Mannschaft­sschnitt (34).

Angeblich wird im argentinis­chen Team revoltiert. Nicht gegen Messi, gegen Sampaoli, der zwar ein Vertrag bis 2022 hat, was in diesem Geschäft aber wurscht ist. Der Verband dementiert­e: „Absolut falsch. Die Gerüchte über vermeintli­che Absprachen und geheime Meetings sind nicht korrekt.“Kroatien entpuppte sich als homogene, mit Ausnahmekö­nnern wie Luka Modric und Ivan Rakitic gespickte Elf. Die Rolle des Geheimfavo­riten passt.

Messi wird am Sonntag 31 Jahre alt. Die Feier entfällt. Rein theoretisc­h kann Argentinie­n ins Achtelfina­le aufsteigen, das letzte Gruppenspi­el gegen Nigeria findet am Dienstag in St. Petersburg statt. Sampaoli will wohl wieder das beste Team für Messi nominieren. Und vielleicht raucht sich Diego Maradona eine dicke Zigarre an.

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Foto: APA / AFP / Johannes Eisele So schaut Lionel Messi bei der WM in Russland drein.

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