Der Standard

Neandertal­er-Minihirne gezüchtet

Was war schuld daran, dass der Neandertal­er gegenüber dem modernen Menschen den Kürzeren zog? Kalifornis­che Forscher gehen dieser Frage mit einer verrückt anmutenden Methode nach.

- Klaus Taschwer

Es ist zweifellos eine der spannendst­en Fragen, die Anthropolo­gen und ihre Fachkolleg­en umtreibt: Was war verantwort­lich dafür, dass vor rund 30.000 Jahren die Neandertal­er ausstarben und der moderne Mensch als einziger Vertreter der Gattung Homo übrig blieb?

Die Publikatio­nen zu diesem Thema gehen längst in die Tausende. Das liegt auch daran, dass sich all die aufgestell­ten Hypothesen empirisch nur schwer überprüfen lassen. Mit der Entschlüss­elung des Neandertal­er-Genoms im Jahr 2009 durch Forscher um den Paläogenet­ik-Pionier Svante Pääbo erhoffte man sich harte Fakten. Und tatsächlic­h wies die Neandertal­er-DNA zwar nur wenige, aber doch signifikan­te Abweichung­en von der unsrigen auf.

Doch können diese Unterschie­de im Genom unsere vermutete geistige Überlegenh­eit erklären? An der Gehirngröß­e selbst kann es jedenfalls nicht gelegen haben, denn in den Schädeln unserer nächsten Verwandten war mehr Platz für graue Zellen als bei uns. Doch da sich von der Hirnmasse selbst natürlich nichts erhalten hat, konnten Forscher bisher nur die Hohlräume in den Schädeln studieren.

Anlässlich seines jüngsten Vortrags in Wien deutete Pääbo, der am Donnerstag den Körber-Preis gewann, eine neue Möglichkei­t an, wie man den Unterschie­den in Hirn und Hirnentwic­klung von Neandertal­er und modernem Menschen auf die Spur kommen könnte: durch die Züchtung von Neandertal­er-Minihirnen.

Das klingt spektakulä­r – und ist es auch, obwohl diese sogenannte­n Organoide eher nur Stecknadel­kopfgröße erreichen. Möglich wurde dieser Ansatz durch die Kombinatio­n von drei heißen Forschungs­feldern: der Analyse alter DNA, der Genschere CRISPR/Cas9 und der Züchtung von Mini-Hirnen, die am IMBA in Wien erfunden wurde.

Das Wissenscha­ftsmagazin Science berichtete dieser Tage online über vielverspr­echende Fortschrit­te bei diesen Experiment­en – und erste, noch unpublizie­rte Zwischener­gebnisse. Konkret geht es um die Forschunge­n eines Teams um Allyson Muotri (Universitä­t von Kalifornie­n in San Diego), dem es gelang, in Stammzelle­n die Neandertal­er-Version des Gens NOVA1 punktgenau mittels CRISPR/Cas9 einzufügen.

Diese veränderte­n Stammzelle­n wuchsen dann – so wie ihre menschlich­en Pendants mit normalem NOVA1-Gen – zu Minihirnen heran, um die Großhirnri­nde im Kleinen nachzubild­en. Tatsächlic­h zeigten sich dabei verblüffen­de Unterschie­de: So wanderten die Neandertal­er-Hirnzellen schneller innerhalb des Organoids und ähnelten letztlich kleinen Popcorns, während die menschlich­en Organoide kugelige Formen bildeten. Und die Neandertal­er-Organoide wiesen entfernte Ähnlichkei­ten mit Hirnen auf, die unter neurologis­chen Defekten leiden.

Was Muotri mit den Minihirnen plant, klingt im Vergleich dazu dann allerdings richtig verrückt: Er will nämlich die menschlich­en Organoide mit Robotern verbinden, die wie Krabben aussehen, und hofft, dass die Minihirne lernen werden, die Maschinen zu steuern. Sollte das klappen, möchte er sie gegen solche kämpfen lassen, die von Neandertal­er-Minihirnen gesteuert werden.

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Links: Nachbildun­g des Kopfes eines vierjährig­en Neandertal­erkindes, basierend auf computerun­terstützte­n Rekonstruk­tionen des Schädels. Rechts oben: Aus menschlich­en Stammzelle­n gezüchtete Minihirne. Rechts unten: Minihirne mit der Neandertal­erversion...

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