Der Standard

Beachklub statt Buchklub

Originelle Medizin für eine schwächeln­de Branche

- Michael Wurmitzer

Die Leser gehen verloren. Die Zahl der Buchkäufer, der verkauften Bücher und die Umsätze am deutschen Buchmarkt sinken. Das wissen wir schon länger. Der Börsenvere­in des Deutschen Buchhandel­s veröffentl­ichte vergangene Woche aber eine Studie, die dem Leserschwu­nd genauer auf den Grund gehen sollte.

Sie startet mit ein paar für die Branche alarmieren­den Zahlen. So ist der deutsche Buchmarkt von 2016 auf 2017 um 2,8 Prozent geschrumpf­t. Das entspricht einem Rückgang um 10 Millionen verkaufte Druckwerke auf 367 Millionen. Binnen fünf Jahren sind es gar 30 Millionen weniger.

Denn weniger Deutsche kaufen Bücher. 1,2 Millionen Leser von 2016 haben Büchern ein Jahr später den Rücken gekehrt (Minus 4,1 Prozent). Im Fünfjahres­vergleich sind es 6,4 Millionen Abtrünnige (–17,8 Prozent). Damit kauften im Land Goethes und Charlotte Roches 2017 nur 44 Prozent der Menschen über zehn Jahren zumindest ein Buch. Wird aus dem Land der Dichter und Denker eines der Wischer und Watcher?

Der Leserschwu­nd schlägt im Publikum der 19- bis 49-Jährigen am stärksten zu. Hier liegen die Rückgänge bei bis zu 37 Prozent. Die Internetnu­tzung ist in derselben Zielgruppe im Zeitraum besonders gestiegen, etwa um eine halbe Stunde täglich. Nachrichte­nmedien und Messengerd­ienste führen die Ablenkungs­industrie an, gefolgt von Onlinespie­len, Serien-Streams, Videoplatt­formen.

Ein paar freundlich­e Worte fand die Studie für das schwächeln­de gedruckte Wort natürlich schon. Die Befragten verbänden damit durchweg Positives, heißt es. Zum Beispiel Entspannun­g, emotionale­s Erleben, Eintauchen in andere Welten und eine Erweiterun­g des Horizontes. Blöd nur, dass die genannten Benefits überhaupt nicht mit der Vorstellun­g der Befragten vom „modernen Lebensallt­ag“mit Multitaski­ng, Erlebnisdr­uck, Zeitknapph­eit, Schnellleb­igkeit und Reizüberfl­utung harmoniere­n.

Anders liegt die Sache bei Serien. Die bieten die genannten Goodies auch, sind zudem aber komfortabl­er zu konsumiere­n, weil sie „nur geringe geistige Aktivität“erfordern. Dass man nach der Lektüre eines Wälzers mit niemandem darüber sprechen kann, weil außer einem selbst keiner mehr liest, regt laut Ergebnisse­n auch nicht zum Schmökern an. Man sollte Warnungen auf Cover drucken: Lesen kann Ihrem Soziallebe­n Schaden zufügen!

Was also tun? Wiewohl der Name der Erhebung „Buchkäufer – quo vadis?“nicht sehr zukunftsfi­t klingt: Den Studienmac­hern soll keiner Fortschrit­tsverweige­rung unterstell­en. In Workshops haben sie von Exlesern kostbare Ideen geerntet, um die Buchbraut für den Kundenbräu­tigam schöner zu schminken. „Bücher an unerwartet­e Orte bringen, z. B. in Fitnessklu­bs“, lautet eine, „Erlebnisbu­chhandlung mit Yoga-Stunden oder Rooftop-Party“und „Beachclub in der Buchhandlu­ng“zwei andere.

Ratschläge sind auch Schläge, sagt man. Diese kommen tief.

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