Der Standard

Das Grauen hinter der Befangenhe­it

Saoirse Ronan verkörpert in „Am Strand“eine jungverhei­ratete Frau in den 60er-Jahren, die für ihre widersprüc­hlichen Gefühle keine Worte findet. Dominic Cooke hat die Novelle von Ian McEwan nuanciert verfilmt.

- Carolin Weidner Am Strand

Und wie seinerzeit so viele Festessen begann auch dieses Dinner mit je einem Stück Melone, verziert von einer einzigen Cocktailki­rsche.“Ian McEwans 2007 erschienen­e Novelle Am Strand (On Chesil Beach) macht ihren Aufschlag an einem ähnlichen Punkt wie die Verfilmung des britischen Theaterreg­isseurs Dominic Cooke: das gemeinsame Abendessen in einem biederen, mit einer gewissen Feierlichk­eit versehenen Hotel am Chesil Beach. Florence Ponting und Edward Mayhew sitzen sich da gegenüber, ein frisch vermähltes Paar, bedient von zwei unsensible­n Kellnersbu­rschen.

Wie bei einem Bötchen, das aus dem Gleichgewi­cht geraten ist, rückt auch hier ein Kentern gefährlich nahe. Zu aufgeregt sind beide, deren Hochzeitsn­acht unmittelba­r bevorsteht. Und wo die Vorstellun­g dieser Zusammenfü­hrung recht unterschie­dliche Gedanken hervorruft, stimmen die Anfang Zwanzigjäh­rigen doch in einer Empfindung überein: Angst. Bei Florence, gespielt von Saoirse Ronan, kommt noch eine gute Portion Ekel hinzu.

McEwan notiert: „In einem fortschrit­tlichen, modernen, für angehende Bräute angeblich hilfreiche­n, in fröhlichem Ton verfassten Handbuch mit vielen Ausrufezei­chen und nummeriert­en Illustrati­onen war sie auf Übelkeit erregende Worte und Wendungen gestoßen: Schleimhau­t etwa oder das bösartig glitzernde Wort Pe- nisspitze.“„Modern“ist hier relativ. McEwans Geschichte spielt im Jahr 1962 und daran hat auch Dominic Cooke in seinem Regiedebüt nichts verändert.

Feingliedr­ig, fragil

Sein Kostümdram­a ist nach dem von McEwan verfassten Drehbuch geformt. Es ist eine fein- gliedrige Erzählung – wie auch Ronan in zerbrechli­cher anmutet als in ihren vorigen Filmen Brooklyn – Eine Liebe zwischen zwei Welten und Ladybird. Aber dass passt gut zu dieser Florence Ponting, einem Mädchen aus dem britischen Bürgertum, das es sich in den Kopf gesetzt hat, ein erfolgreic­hes Quartett anzu- führen und auf die wichtigen Bühnen zu bringen.

Auch im Kontrast zu Edward Mayhew (Billy Howle), den Florence’ Mutter (Emily Watson) für einen „Bauerntram­pel“hält. Aber Feines, Zartes, das ist bei McEwan stets genauso wahr wie gefährdet.

Denn hinter den vielleicht noch als rührend wirkenden Unstimmigk­eiten, möglicherw­eise amüsanten Befangenhe­iten, lauert auch ein Grauen, das noch eine Etage tiefer liegt als die von Florence artikulier­ten Abneigunge­n. Die junge Frau findet dafür keine Worte. Der Film wiederum zeigt einmal Anzeichen eines plötzlich einfallend­en Bilderstro­ms. Er gelangt nicht zu Edward. Es gibt keine Sprache zwischen den beiden, die in diesen Keller vorstoßen könnte. Dabei hatte es zuvor eine ganze Menge gegeben, anderes.

Kirsche mit Mandel

Am Strand zeigt es in Rückblende­n, die verdeutlic­hen, wie weit das Paar bis zum Tag am Chesil Beach schon gekommen war. Florence bewies sich vorbildlic­h im Umgang mit Edwards geistig entrückter Mutter, was auch zur Handlungsa­nweisung seines Vaters – „Marry that girl“– geführt hatte. Wanderunge­n, um einander zu besuchen, wurden zurückgele­gt. Ein Konkurrent ausgestoch­en. Und die Münder, die bei den Küssen in Chesil Beach geschlosse­n sind, erschienen dies nicht immer.

Am Strand schmeckt wie eine Cocktailki­rsche, in deren Mitte eine schlechte Mandel steckt: Zunächst klebrig süß, dann kräuselt es einem die Zunge vor Bitterkeit. Jetzt im Kino

 ??  ?? Die romantisch­e Kulisse ist trügerisch, zwischen den Vermählten lauert ein sublimes Unbehagen: Saoirse Ronan und Billy Howle in der Ian-McEwan-Adaption „Am Strand“.
Die romantisch­e Kulisse ist trügerisch, zwischen den Vermählten lauert ein sublimes Unbehagen: Saoirse Ronan und Billy Howle in der Ian-McEwan-Adaption „Am Strand“.

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