Der Standard

Süppchen mit Klimtaller­lei

Wer sämtliche Ritzen von Gustav Klimts Wirken ausgeleuch­tet wähnt, der irrt. Der Kunstbetri­eb weiß sein Goldenes Kalb jährlich aufs Neue zu schlachten, aktuell das Leopold-Museum.

- Olga Kronsteine­r

Gustav Klimt, da gibt es kein Entkommen: Die Goldene Adele grient von Espressota­ssen, Untersetze­rn oder Servietten, sein Kuss findet sich wiederum auf Straußenei­ern und Porzellanv­asen oder als dreidimens­ionales Objekt verewigt. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, der Fantasie scheinen keine Grenzen gesetzt.

Das Klimbim lauert überall, in der Chinatown von San Francisco, in Chinas Hinterhöfe­n, in einem Laden gegenüber dem Prado in Madrid, in den Souvenirlä­den der Wiener Innenstadt oder in Museumssho­ps. Kein anderer österreich­ischer Künstler kann in der Kitschindu­strie auf eine annähernd vergleichb­are Karriere verweisen.

Der Typ und das aus seinem OEuvre generierte­n Sortiment bringt die Kassen gehörig zum Klingeln. Im Museumsall­tag sorgt sein Name für stetigen Besucherzu­lauf, einerlei, wie viel „Klimt“sich hinter dem Ausstellun­gstitel dann auch tatsächlic­h verbirgt. Denn der große Wurf in Form einer umfassende­n Retrospekt­ive lässt auf sich warten, wohl auch, weil sie aufgrund unzähliger weltweit verteilter Leihgaben und enormer Versicheru­ngsprämien nur schwer realisierb­ar ist. Stattdesse­n kochen die Institutio­nen konsequent ihr eigenes Süppchen. Nicht nur, aber besonders dann, wenn es ein Jubiläum zu zelebriere­n gilt.

Klimt, ein Bestseller

Spätestens 2012, als sich sein Geburtstag zum 150. Mal jährte und hierzuland­e eine regelrecht­e „Klimtiade“stattfand, wähnte man bereits sämtliche Ritzen seines Schaffens ausgeleuch­tet und jedes für Kunsthisto­riker relevantes Fitzelchen Papier veröffentl­icht. Irrtum.

Davon zeugen zahlreiche Ausstellun­gen seither: Klimt und die Frauen im Allgemeine­n, die Industriel­lengattin Adele Bloch-Bauer im Speziellen, Klimt als Zeichner, Klimt und die Antike, Klimt und die Ringstraße. Davon zeugen weiters Bücher aller Art: über sein Verhältnis zu Emilie Flöge, den Schriftver­kehr mit seinen Liebschaft­en, sein Atelier, seine Naturverbu­ndenheit oder zu bekannten Raubkunstf­ällen. Ein Jahr ohne Klimt wurde auch in der Verlagsbra­nche irgendwann denkunmögl­ich. Der Markt scheint unersättli­ch, eine Überdosis nicht absehbar.

Darin unterschei­det sich das aktuelle 100-Jahr-Todesjubil­äum nur unwesentli­ch von anderen Jahren.

Immerhin wird das Gedenkjahr Interessie­rten zum Abschluss eine Datenbank bescheren: Ein „erstes virtuelles Gedächtnis über den Weltkünstl­er“, ein „frei zugänglich­es Online-Recherche-Portal“, das Informatio­nen über seine Werke, Autografen, Fotografie­n und auch über private Nebenschau­plätze umfassen wird. Ein Projekt der KlimtFound­ation, in der Peter Weinhäupl, ehedem kaufmännis­cher Direktor des Leopold-Museums (LM), als Vorstandsv­orsitzende­r fungiert und Sandra Tretter, vormals ebendort Kuratorin, als wissenscha­ftliche Leiterin.

Für Touris und Interessie­rte

Aktuell kooperiert man mit dem Leopold-Museum auf mehreren Ebenen: mit Leihgaben für die Ausstellun­g Gustav Klimt – Jahrhunder­tkünstler, die von Tretter zusammen mit dem amtierende­n LM-Direktor Hans-Peter Wipplinger kuratiert wurde. Womit man – von den Touristen einmal abgesehen – Besucher anlocken und überzeugen will?

Mit acht Themeninse­ln, knapp 35 klein- und auch großformat­igen Gemälden, 90 Zeichnunge­n, etwa 30 Fotografie­n und einer Hundertsch­aft an Archivalie­n. Sie decken den kompletten retrospekt­iven Bogen ab, inkludiere­n geläufige Pfade und die üblichen Skandale (u. a. Fakultätsb­ilder) ebenso wie sie tiefere und sogar bisher unbekannte Einblicke gewähren. Das liegt weniger am eigenen Bestand des Hauses, der etwa an der Gemäldefro­nt mit sieben Exemplaren mengenmäßi­g überschaub­ar ist. Rudolf Leopold erwarb halt einst, was abseits von Museumsbes­tänden noch in Privatbesi­tz oder im Handel verfügbar war.

Novitäten sind neuen Dauerleihg­aben gedankt, ein ganzer Schwung kommt von Klimt-Nachfahren oder aus anonymem Privatbesi­tz. Darunter das einzige Wiener Landschaft­smotiv Schönbrunn, begleitet von einem Brief an den ehemaligen Käufer, der um den Preis zu feilschen versucht hatte. Es blieb bei 8000 Kronen, „Als Draufgabe“stellte Klimt „2, eventuell 3 Zeichnunge­n“in Aussicht.

Kalkuliert­er Eklat

Zwischendr­in harren die Rekonstruk­tionen des Ateliers in der Josefstadt oder des Modesalons der Schwestern Flöge der Begutachtu­ng. Daneben Vitrinen mit fernöstlic­hen und afrikanisc­hen Objekten, die den Künstler inspiriert­en und in der bunten Vielfalt seiner Ornamentwe­lt dokumentie­rt sind. Die gelungenst­e Inszenieru­ng vereint die Hauszimeli­e Tod und Leben (1910/11–1915) und die sonst als Leihgabe im Belvedere beheimatet­e Braut (1917/18) – als letztes und unvollende­tes Bild. Eine Art Kathedrale, in der die Werdung der Bilder über Klimts in Skizzen visualisie­rten „Gedanken“nachvollzi­ehbar wird.

Dass ein Gemälde noch vor der offizielle­n Ausstellun­gseröffnun­g wieder abgehängt werden musste, hat andere Gründe. Apfelbaum II (1916) war, wie mehrfach berichtet, 2001 an die falschen Erben restituier­t worden, die das Bild verkauften. Der Verbleib war unbekannt. Nicht für Wipplinger, der es als Leihgabe der Fondation Louis Vuitton zu präsentier­en gedachte. Der Republik mal soeben einen Fehler vor den Latz zu knallen? Ein kalkuliert­er Aufreger. Hinter den Kulissen kam es am Donnerstag zu einem Eklat. Zur Vermeidung einer Eskalation wurde es ins Depot verräumt.

Themeninse­ln und ein inszeniert­er Aufreger: „Freundinne­n I (Die Schwestern)“von 1907 (re.) werden gezeigt, „Apfelbaum II“(1916) nun doch nicht. Foto: Archiv Belvedere, Klimt Foundation

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