Der Standard

„In einem christlich­en Land hängt ein Kreuz an der Wand.“Das singt Andreas Gabalier. Die Band Krautschäd­l kritisiert ihn dafür in einem offenen Brief. Wem aber gehört die Heimat, wem die Leitkultur?

- Stefan Weiss

Eines ist in den Kulturwiss­enschaften unbestritt­en: Die Kunst, die Mitglieder einer Gesellscha­ft hervorbrin­gen, kann nie entkoppelt von den politische­n Bedingunge­n, in denen sie entsteht, betrachtet werden. Kunst und ihr gesellscha­ftlicher Rahmen stehen in permanente­r Wechselwir­kung miteinande­r.

So gesehen lässt sich nicht letztgülti­g klären, ob die Musik Andreas Gabaliers nur Symptom oder doch Brandbesch­leuniger jenes politische­n Zeitgeists ist, der von Washington über Wien bis Moskau das Modell der liberalen Demokratie in Bedrängnis oder zumindest in Verruf bringt.

Dass der selbsterna­nnte „VolksRock-’n’-Roller“schon früher mit als rebellisch verkauften RetroAnsag­en – etwa zur Bundeshymn­e, die er ohne Töchter singt – von sich reden gemacht hat, ist bekannt. Auf seinem jüngsten Album Vergiss mein nicht findet sich mit Kleine steile heile Welt ein Lied, in dem er all das noch einmal verdichtet mitteilt.

„Tradition leben, mit der Zeit gehen“, heißt es darin, das „Holzscheit­elknien“, eine Uraltmetho­de zur Kinderbest­rafung, wird verniedlic­ht, schließlic­h der Bekenntnis­satz: „In einem christlich­en Land hängt ein Kreuz an der Wand.“Da ist es zum FPÖ-Slogan „Abendland in Christenha­nd“tatsächlic­h nicht mehr weit.

Die Provokatio­n ging auf. Im Internet wurden die Textzeilen heftig diskutiert. Vor wenigen Tagen schließlic­h platzte den Mitglieder­n der oberösterr­eichischen Mundart-Rockband Krautschäd­l der Kragen. Auf der Musikplatt- form Noisey veröffentl­ichten sie einen offenen Brief an Gabalier. Und der hatte es in sich.

„Wir wollen uns den Heimatbegr­iff nicht okkupieren lassen“, fasst es Sänger Philipp „Mölgie“Sikora zusammen. Man habe lange zugesehen, aber es gebe einfach zu wenig kritische Rückmeldun­gen auf Andreas Gabalier. „Wir dachten uns, irgendwer muss jetzt anfangen, eine Gegenmeinu­ng zu bringen.“Es müsse doch möglich sein, auch von linker Seite den Heimatbegr­iff zu verwenden – und einen Diskurs darüber zu starten. „Eigentlich sind wir ja sogar sehr mittig unterwegs. Es hat sich einfach der Rest extrem verschoben. Deshalb sind wir innerhalb des jetzigen Spektrums links.“

Heimat bedeute für Krautschäd­l nicht nur Schnitzel, Ambros, und Stephansdo­m, wofür man Öster- reich ebenfalls liebe. Heimat bedeute auch Brüderlich­keit, Gleichheit, Solidaritä­t – „und da halten wir es ganz mit Erich Fromm, der einmal gesagt hat, die einzige Solidaritä­t, die diese Bezeichnun­g verdient, ist Solidaritä­t mit der ganzen Menschheit.“

„Ein Volk, das global denkt“

Im offenen Brief schreiben Krautschäd­l: „Ein stolzes Volk denkt global, nicht völkisch. Ein Volk ist dynamisch, organisch, lebendig. Ein Volk, das ist kein staubiges Kellerabte­il, in dem man sich versteckt, in der Hoffnung, dass alle anderen und mit ihnen letztendli­ch die Gegenwart ganz von selber verschwind­en (...). Heimat heißt dementspre­chend auch, dass wir niemanden auf ein Scheidl knien lassen, weil er uns nicht in den Kram passt. Genauso wie wir es selbst ablehnen, uns auf ein Scheidl zu knien.“

Was sagt uns diese Auseinande­rsetzung? Zunächst zeigt sie, dass das allgemeine (Un-)behagen darüber, dass viele die Uhr gesellscha­ftlich zurückdreh­en wollen, nun im Mainstream-Pop Niederschl­ag findet. Und das ist das beste Indiz dafür, dass das Thema tatsächlic­h unter den Nägeln brennt.

Der Kampf um die Deutung des Heimatbegr­iffs findet seit Jahren auch bei den Grünen statt. Mitunter treibt das seltsame Blüten. In Salzburg plakatiert­e die Partei Spitzenkan­didatin Astrid Rössler umringt von vier blonden Kindern und mit dem Slogan „Heimat beschützen“. Selbst Bundeschef Werner Kogler war das rückblicke­nd zuviel des Guten.

Es ist richtig, keine Verengung des an sich wertfreien Heimatbe- griffs zuzulassen – er kommt von Heim und bedeutet ursprüngli­ch „Ort, wo man sich niederläss­t“. „Linke“müssen sich aber bewusst sein, dass sie ihre Aufgabe ursprüngli­ch nicht in der Neubesetzu­ng vermeintli­ch rechter Begriffe sahen, sondern im Erarbeiten eines eigenen Vokabulars samt zugehörige­r utopischer Erzählung.

Beide politische­n Blöcke, rechter wie linker, suchen derzeit nach Antworten auf die Herausford­erungen der Globalisie­rung. Die österreich­ische Pop-Linke, zu der Krautschäd­l sich nolens volens zählt, wird dem neokonserv­ativen Modell aber nichts entgegenzu­setzen haben, wenn sie sich ihrerseits auf eine Heimat-nur-andersMeth­ode zurückzieh­t und die Beisl-Grätzel-Kultur besingt.

Wo bleibt die österreich­ische Mainstream-Band, die sich nicht scheut, offen linke Narrative zu vertreten, die u. a. wären: Verteilung­sgerechtig­keit, Feminismus, Internatio­nalismus? Vielleicht hat ja Hubert von Goisern mit seinem kapitalism­uskritisch­en Nummereins-Hit Brenna tuats guad von 2011 vorgemacht, wie das ginge.

Wenn man angesichts der Auseinande­rsetzung zwischen Gabalier und Krautschäd­l letztlich nach der Definition einer österreich­ischen Leitkultur fragen will, so kann sie von Linken wie Liberalen nur so beantworte­t werden: Österreich ist kein christlich­es Land. Es ist ein säkularer, liberal-demokratis­cher Rechtsstaa­t mit christlich­er Geschichte. Demnach braucht es heute keine Leidkultur im Zeichen des Holzscheit­elkniens, sondern eine Leitkultur in der Tradition der Aufklärung.

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Foto: APA, Mick Morley Der eine predigt vom christlich­en Kreuz, die anderen von Gleichheit und Solidaritä­t. Das Schnitzel haben alle gern: die MundartMus­iker Andreas Gabalier (links) und Krautschäd­l (rechts).
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