Der Standard

Der kluge Onkel

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(Kinderzimm­er. Ein etwa siebenjähr­iger Knabe spielt mit einer großen Lego-Ritterburg. Sein Onkel tritt ein.) ONKEL: Das ist aber eine schöne Ritterburg. Hast du die zusammenge­baut? KNABE: Ja, ganz alleine mit der Mama. ONKEL: Super. Und jetzt? KNABE: Jetzt spiele ich damit. (Spielt.) ONKEL (sieht einige Zeit zu, dann): Das ist langweilig. Lass mich einmal. (Er drängt den Knaben zur Seite, hebt die Burg hoch und schmettert sie auf den Boden, dass sie in unzählige Einzelteil­e zerbricht.) So, und jetzt bauen wir sie wieder zusammen. KNABE: Da brauchen wir aber die Anleitung. ONKEL: Geh, Anleitung! Wir werden uns doch nicht bevormunde­n lassen! Bau einfach drauflos. Ich helf dir. (Sie bauen. Ein kleines, windschief­es Gebäude entsteht.) KNABE: Schön ist das nicht. ONKEL: Zum Spielen reicht’s. KNABE: Stabil ist es auch nicht. ONKEL: Na und? Wenn es zusammenfä­llt, brauchst du’s nur wieder aufzubauen. KNABE: Außerdem sind ganz viele Teile übrig. ONKEL: Das ist ja das Gute! Die nehm’ ich mit, weißt du. Die kann man sicher verkaufen. Es gibt immer Leute, die solche Einzelteil­e suchen. Und die Hälfte von dem Geld geb’ ich dir. Dann kannst du dir wieder eine Ritterburg kaufen und wieder kaputtmach­en und wieder die Teile verkaufen und so weiter, und irgendwann bist du ganz reich. KNABE: Wirklich? ONKEL: Das kannst du mir schon glauben. Schließlic­h bin ich Ökonomiepr­ofessor. (Vorhang)

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