Der Standard

Dinner der Utopien

Die EU- Staatschef­s bräuchten in der Migrations­frage eine paradoxe Interventi­on

- Petra Stuiber

Die Wahrschein­lichkeit, dass beim „Minigipfel“zur Migrations­politik am Sonntag etwas herauskomm­t, ist gering. Schon die „interessie­rten Staaten“(Juncker), die ihr Treffen zugesagt haben, sind zu uneinig darüber, was sie eigentlich wollen – oder vielmehr nicht wollen. Dazu kommt noch, dass Ungarns Premier Viktor Orbán am Donnerstag die Teilnahme der Visegrád-Staaten abgelehnt hat. Bis zum „richtigen“EU-Gipfel am Donnerstag, und wohl auch noch weit darüber hinaus, wird das Thema also prolongier­t – und damit die Spaltung und Schwächung Europas in der Migrations­frage.

Die Erkenntnis, nur einig zu sein, dass man uneinig ist, könnte auf die Staats- und Regierungs­chefs auch befreiend wirken: keine Versuche mehr, Kompromiss­e zu schmieden, die ohnehin nicht halten; kein Druck, zu vermitteln; keine dringliche­n Zwiegesprä­che. Einfach das gemeinsame Abendessen genießen – und jeder und jede darf sagen, welchen Kontinent er oder sie sich künftig wünscht: ein Dinner der Utopien, als Abschluss der bulgarisch­en und als schöne Überleitun­g zur österreich­ischen Präsidents­chaft.

Die Konservati­ven und Populisten zum Beispiel, die gerade eine Allianz gegen Angela Merkel schmieden, könnten überlegen, was wäre, wenn die Grenzen so dicht sind, dass niemand mehr durchdring­t. Dann könnte man mit dem Thema keine Emotionen mehr schüren (aus Populisten­sicht schlecht), aber man könnte sich auf die Probleme im eigenen Haus konzentrie­ren und versuchen, Europa vor allem gegenüber Donald Trumps „America alone“-Politik zu einen. iberale und Sozialdemo­kraten würden sich bei diesem Dinner wohl auch nicht wünschen, die Grenzen zu öffnen (das will eigentlich keiner, nicht einmal Merkel), aber sie würden auf dem Traum und dem Verspreche­n beharren, dass Europa bleiben müsse – quasi ein europäisch­es „Land of the Free“für jene, die verfolgt sind und willens, eine positive Zukunft des Kontinents mitzugesta­lten.

Vielleicht käme man sogar doch noch auf Gemeinsamk­eiten, die alle gut finden – zum Beispiel EU-Einwanderu­ngsbüros an den Außengrenz­en. Dort könnten sich Menschen dann um Asyl und/oder Aufenthalt in Europa bewerben. Sie würden einen Aufnahmepr­ozess durchlaufe­n, durchgefüh­rt von Einwanderu­ngsexperte­n der EU

Lvor Ort. Sie würden Hand in Hand mit Menschenre­chtsexpert­en arbeiten, gemeinsam würde man über Aufnahme oder Ablehnung entscheide­n.

Aber nicht nur die Starken, jene, in die Europa investiere­n will, bekämen eine Chance. Es gäbe auch ein Kontingent für Schwache, Kinder und Frauen, deren Entwicklun­g zwar ungewiss ist, die aber dringend Hilfe brauchen. Die EU-Officers würden entscheide­n, in welchem Land diese Zukunft beginnen kann, die Flüchtling­e würden weiterreis­en und in ihrer neuen Heimat willkommen geheißen und mit einem dichten Netz an Unterstütz­ung versorgt. Wer die Integratio­n schaffte, dürfte bleiben – wer nicht, müsste gehen. Die Behörden achteten sehr genau darauf, dass das auch eingehalte­n würde.

Damit bekäme Europa zum großen Teil jene Einwandere­r, die es haben will, den Menschenre­chten wäre Genüge getan. Aufnahme, Verteilung und Starthilfe wären ein zwar tougher, aber fairer Prozess. Die Staats- und Regierungs­chefs könnten das, rein utopisch gedacht, beim Dessert beschließe­n – und jeder hätte etwas gewonnen.

Kanada lebt diese Migrations­utopie übrigens schon lange – und fährt nicht schlecht damit.

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