Meditationen über
Unbeholfen, zaudernd und verletzlich zeigen sich die Männer in „Was ein Mann ist“: In neun Episoden durchmisst der Roman von David Szalay ein Mannesleben vom Frühlingserwachen über die Reife und den Herbst bis zum Alter und zum nahenden Tod.
Standard: Ihr Roman „Was ein Mann ist“entlässt den Leser sehr niedergeschlagen. Stellt sich Ihnen das Leben eines Mannes dermaßen trostlos dar?
Szalay: Der Roman vermittelt in der Tat eine düstere, melancholische Stimmung. Mir war es wichtig, so ehrlich wie möglich und vor allem ohne jede Sentimentalität zu schreiben. Darin liegt zugleich eine Herausforderung zum Optimismus. Ein völlig trostloses Bild zeichne ich nicht. Meine Figuren erfahren auch Augenblicke des Gelingens und der Besinnung auf angenehme Erlebnisse. Manches ist sogar ausgesprochen komisch.
Standard: Gleich die erste Episode Ihres Romans enthält eine Reihe literarischer Verweise, etwa auf Camus’ Erzählung „Der Fremde“und Becketts Drama „Warten auf Godot“...
Szalay: Es ist eine bewusste Botschaft, mich auf diese Werke zu beziehen. Sie handeln von Menschen, die an ihren Gefühlen zweifeln und sich in der Welt verlassen fühlen. Genau in solchen Krisensituationen, wenn sie von Geschehnissen überrollt werden, die ihre Kräfte übersteigen, wollte ich meine Protagonisten zeigen.
Standard: Sind Beckett und Camus auch Ihre literarischen Vorbilder?
Szalay: Diese Texte entstanden in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Sie kommen aus einer anderen Ära. Insbesondere Becketts Drama ist ein Musterbeispiel der Moderne. Die Dialoge sind außergewöhnlich reduziert und ohne Bezug zu einer Handlung oder Entwicklung. Ein Vorbild war das für mich nicht. Auch als ich Camus’ Roman vor vielen Jahren las, kam mir so etwas nicht in den Sinn. Allerdings sehe ich jetzt Ähnlichkeiten zu den Episoden meines Romans. Auch was die Stimmung betrifft, ist Camus ein literarischer Bezugspunkt, wenn nicht sogar ein Vorbild.
Standard: „Unmännlich, anders kann man das nicht nennen“, denkt in der zweiten Episode des Romans der Onkel über seinen Neffen. Das legt die Existenz eines Bildes nahe, was männlich ist. Gibt es das?
Szalay: Ein solches Bild tragen viele im Kopf. Aber das ist eine subjektive Vorstellung. Es bestehen beträchtliche Unterschiede in dem, was es für Einzelne bedeutet, ein Mann zu sein oder sich männlich zu verhalten. Auch wenn man alle diese Vorstellungen zusammenführt, entsteht kein Ideal, dessen Verwirklichung dann zu männlicher Vollendung führt. In meinem Roman stellt sich mir die Frage, was es als Mann bedeutet, mit einem solchen ausgedachten Ideal zu leben. Der Neffe ist ein Extrem dessen, was die meisten als unmännlich ansehen würden. Denn es entspricht vermutlich keinem männlichen Ideal, bei seinen Eltern zu wohnen und für seinen Onkel zu arbeiten.
Standard: Die Hoffnung auf „irgendeine Form der Überlegenheit. Irgendeine männliche Qualität“beschwert auch Murray in der siebenten Episode. Scheitert er an seinem eigenen Anspruch?
Szalay: Ideale erweisen sich immer als eine Verinnerlichung von Vorstellungen. Murray ist ein Extrem eines solchen Selbstanspruchs. Er hat eine sehr genaue Vorstellung von dem, was einen erfolgreichen Mann auszeichnet. Aber er scheitert an der Erfüllung seiner Erfolgskriterien so offensichtlich, dass es tragisch ist. Murray, aber auch Aleksandr und Tony, die Protagonisten der letzten beiden Episoden, befinden sich in einer Situation, in der sie eine neue Perspektive für sich entwerfen müssen, um in den eigenen Augen nicht als permanente Versager zu erscheinen. Murray bekommt am Ende zumindest eine Ahnung davon, dass er all die Vorstellungen von Erfolg, die für seine Existenz immer so wichtig waren, aufgeben muss. Er ist angehalten, andere Mittel zu finden, um Erfolg zu messen, Mittel, durch die er sich nicht selbst als gescheitert verdammt.
Standard: Wer schafft die Bilder von Männ
lichkeit?
Szalay: Das ist nicht eine Person oder Gruppe. Diese Bilder sind etwas gemeinschaftlich Geschaffenes. Sie entstehen aus der Interaktion aller. Die einzelnen Quellen auszumachen ist schwierig, weil da eine Gruppendynamik am Werk ist.
Standard: Der MeToo-Hashtag löste eine Debatte aus, die sich teilweise zu einem Angriff auf die Männlichkeit selbst zuspitzte. Wie empfinden Sie es, dass Ihrem Roman die Rolle eines Verteidigers zukommt, indem Sie Männlichkeit keineswegs mit Macht und Eroberung verbinden?
Szalay: Ich schrieb meinen Roman lange vor dieser Debatte. So hatte ich das damals nicht im Sinn. Aber er kreuzt sich in der Tat mit Vorstellungen, die dem öffentlichen Diskurs diese Richtung gaben. Mir ging es darum, die Erfahrungen eines Mannes in den verschiedenen Lebensaltern einzufangen und seine Gefühle so ergreifend und überzeugend wie möglich zu beschreiben. Die Folge von fortlaufenden Episoden sollte eine Bewegung des Lebens vermitteln, das Vergehen der Zeit und das Altern. Eine Meditation über Männlichkeit zu schreiben lag nicht in meiner Absicht, auch wenn der Roman schließlich genau das wurde. Die Protagonisten der einzelnen Episoden sind zunehmend älter. Da werden Verlust und Scheitern unvermeidbar.
Standard: Aber Sie setzen Ihre Protagonisten fortlaufend Demütigungen und Enttäuschungen aus. „Ich habe den Sinn des Lebens aus dem Blick verloren“, denkt Aleksandr in der Episode acht. Eine Rückschau auf Erfolge gönnen Sie ihm nicht.
Szalay: Aleksandr schaut zurück auf Erreichtes und die Verwirklichung gewisser Wünsche und auf Besitztümer, die ihm weggenommen wurden oder die er verloren hat. Ich wollte Klischees vermeiden. Dazu gehören für mich Gelassenheit und Weisheit im Alter und die zufriedene Rückschau auf ein erfülltes Leben. Ich bezweifle, dass es das gibt. Jedenfalls bin ich niemandem begegnet, der sich bereitwillig vom Leben zurückzog, um sich nur der Rückschau und den Erinnerungen an die Vergangenheit hinzugeben. Soweit ich sehe, bleibt das Verlangen aufrecht, weiter vorwärtszustreben. Alt fühlt man sich auch im Alter nicht.
Standard: In der letzten Episode fürchtet Tony, man könne ihn „als einen alten und überforderten Mann, der nichts mehr auf die Reihe bekam“, ansehen ...
Szalay: Tony zeigt ich viel nachdenklicher als die anderen Figuren im Buch. Sein Alter, das Schwinden seiner körperlichen Kräfte und die Tatsache, dass er sich aus seinem Beruf zurückgezogen hat und nicht mehr aktiv einbezogen ist in die meisten Aspekte des Lebens, zwingen ihn zu einer Haltung des Betrachtens. Er blickt mit besonderem Bedauern auf sein Leben zurück. Es hätte ein anderes sein können, wenn er den Aspekt seines Schwulseins nicht hätte unerfüllt lassen.
Standard: Was Sie in Ihrem Roman aussparen, ist die Kindheit. Ist das nicht gerade jene Phase des Lebens, in der die Weichen gestellt werden für alles, was später im Leben geschieht?
Szalay: Es war eine bewusste Entscheidung, die Kindheit nicht in den Roman einzubeziehen und erst mit dem Erwachsenenleben einzusetzen. Zu keiner meiner Figuren gebe ich Informationen über die Kindheit oder die Eltern. Ich wollte nicht durch dieses