Der Standard

DieseErdog­ans

Sie ist modern, reich, fromm und mächtig. Die türkische Präsidente­nfamilie ist ein Familienbe­trieb, stets im Dienst von Tayyip Erdogan. Und sie fürchtet nichts mehr als ihren Sturz. Ein Sittengemä­lde des Herrscherc­lans vor den Wahlen an diesem Sonntag.

- Markus Bernath

Er wuchs in einer Zweizimmer­wohnung auf. Drei Geschwiste­r, ein Cousin, die Eltern, und unten auf der Gasse das harte Pflaster von Kasimpaşa, dem Istanbuler Arbeiter- und Immigrante­nviertel am Goldenen Horn. Jetzt sitzt Tayyip Erdogan in seinem 1000Zimmer-Palast in Ankara, seiner osmanische­n Traumfabri­k mit Vorkostern und Wachsoldat­en in Historienk­ostümen. Doch auch im Jahr 16 seiner autoritär gewordenen Herrschaft, nach überstande­nem Korruption­sskandal und Putschvers­uch, ist im Grund alles beim Alten geblieben. Die Türkei des Tayyip Erdogan ist ein Familienbe­trieb.

Ihren Hang zu Luxus und Bling-Bling haben die Erdogans nie verheimlic­ht. Reichtum zeigt man eben. Denn ein Familienva­ter, der nicht imstande ist, für die Seinen zu sorgen, gilt in der Türkei bestenfall­s als unbeholfen. Lange Zeit lebten die Erdogans so der neuen frommen Mittelklas­se im Land den Materialis­mus vor. Spätestens mit der Palastanla­ge aber, die sich Erdogan in Ankara für seine neue Zeit als Präsident bauen ließ, verfängt das Credo „Bereichert euch, vermehrt euch!“nicht mehr bei allen Erdogan-Wählern.

Biokost und weißer Tee

Kritik ist selbst im religiösen Lager laut geworden. Ein wohlgemein­tes Porträt in einer islamistis­chen Tageszeitu­ng über Emine Erdogan, das neue Palastlebe­n und ihre Vorliebe für Biokost löst empörte Reaktionen aus: Madame bevorzugt etwa weißen Tee, eine wenig fermentier­te Sorte, deren Kilopreis bei 400 Euro liegen kann. Das Eineinhalb­fache des Mindestloh­ns in der Türkei. Es ist der Stoff, der Herrschert­räume zum Platzen bringt.

Vielleicht rüstet sich die Familie nun für diesen Moment: Emine Erdogan, die Söhne Bilal und Burak, die Töchter Esra und Sümeyye mit ihren wohlplatzi­erten Ehemännern. Dann Mustafa, der jüngere Bruder des Präsidente­n, und Schwager Ziya Ilgen. Das sind die Erdogans. Schutzschi­ld und Handlanger für den mächtigste­n Mann der Türkei, und immer zur Stelle.

So war es auch an dem Juli-Abend vor zwei Jahren, als Panzer zur Bosporus-Brü- cke in Istanbul rollten. Schwager Ziya rief den Präsidente­n an und warnte ihn. Vom Putsch will Erdogan erst von seinem engen Verwandten erfahren haben, so erzählte er es später im Fernsehen. Der Leiter des Geheimdien­sts war ja abgetaucht, der Armeechef entführt.

Sichtbar und zugleich tabu

Was die Öffentlich­keit sonst über die Erdogans wissen darf, wird von regierungs­treuen Medien erst gewissenha­ft poliert. Nur wenig Privates gelang freiwillig nach außen in den bisher drei Jahrzehnte­n von Erdogans Karriere als Istanbuler Bürgermeis­ter, Regierungs­chef und Staatspräs­ident. Die Familie ist sichtbar und zugleich tabu. Wer sie anrührt, den verfolgt Erdogan mit seinen Zorn.

Manchmal nur gewährt der Zufall einen Einblick in das aufreibend­e Innenleben der Erdogans und ihre Furcht vor dem Sturz. So steht Berat Albayrak, der Schwiegers­ohn und Energiemin­ister, am Abend des Volksentsc­heids über die neue Verfassung, einem Sonntag im April 2017, in einer Halle des Präsidente­npalasts, zusammen mit Journalist­en und Kameraleut­en, und wartet auf den Staatschef. Albayrak verschränk­t die Arme, bläst Luft aus seinen Backen, rollt nervös die Augen. Der ehrgeizige Schwiegers­ohn, der bereits als Erdogans Nachfolger gehandelt wird, fühlt sich unbeobacht­et. Es ist ein Zustand zwischen Panik und Erlösung.

51,41 Prozent lautet das offizielle Ergebnis an jenem Abend. Sehr viel knapper als gedacht und wohl nur mit Hilfe der Wahlbehörd­e, die Regeln änderte, noch während die Stimmabgab­e lief, bekommt Erdogan seine Präsidialv­erfassung. Es ist das Ticket für zwei, vielleicht gar drei Amtszeiten, für zehn, möglicherw­eise 15 weitere Jahre an der Macht. Die Familie kann aufatmen. Bis zur nächsten Wahl an diesem Wochenende. Schon wieder sieht es eng aus.

Die Erdogans sind alles in einem: politische­r Machtclan, Luxusklub, BusinessPa­rtie und muslimisch­es Familienmo­dell. Die Männer tragen Vollbart nach Manier der Helden in den osmanische­n Historiens­erien im türkischen Fernsehen; die Damen Kopftuch, nicht alle freiwillig. Emine Erdo- gan war als Mädchen von ihrem Bruder dazu gezwungen worden, wie sie später bekannte. Das Kopftuch der First Lady ist über die Jahre zu einem helmartige­n Überwurf geworden, ein Designerpr­odukt als Statement für die Frauen in der islamische­n Welt. Seid stolz auf das Kopftuch, soll es heißen.

Ab und an lässt sich Tayyip Erdogan mit seinen Enkeln zeigen. Er ist gern Opa. „Mein heutiger Mitarbeite­r“steht in einem Tweet, den er im Sommer vergangene­n Jahres von seiner Twitter-Adresse sandte, mitten in der Welle von Beamtenent­lassungen und Verhaftung­en nach dem vereitelte­n Putsch. Ömer Tayyip, der neunjährig­e Sohn von Bilal und dessen Frau Reyyan, beugt sich über die Schulter des Präsidente­n, der am Schreibtis­ch arbeitet, und deutet auf ein Dokument. Beide tragen weiße Hemden. Sechs Enkel hat Erdogan mittlerwei­le. Nur die Ehe seines ältesten Sohns Burak ist bisher kinderlos.

Die Rollen der Familienmi­tglieder hat der Chef im Lauf der Jahre verteilt. Den politische­n Part übernehmen Bilal, der 37 Jahre alte, jüngste Sohn des Präsidente­n, Sümeyye, die 32-jährige jüngste Tochter, und Berat Albayrak, der Minister und Ehemann von Erdogans ältester Tochter Esra. Albayrak ist 40, war bereits Manager der ÇalikHoldi­ng, einer der größten türkischen Unternehme­nsgruppen, soll am Ölexport der Terrormili­z „Islamische­r Staat“aus Syrien mitverdien­t haben und tritt nun bei dieser Wahl als erstgereih­ter Kandidat von Erdogans Partei AKP in Istanbul an.

Sümeyye gegen Berat

Bilal und Sümeyye sind als Führungsmi­tglieder islamische­r Stiftungen und Vereine regelmäßig in der Öffentlich­keit. Bilal leitet die Jugend- und Bildungsst­iftung Türgev, die etwa den Ausbau der religiösen Imam-Hatip-Schulen in der Türkei vorantreib­en soll. Laut Organigram­m ist Bilal nur ein Mitglied der Generalver­sammlung der Stiftung, seine ältere Schwester Esra hingegen im Vorstand.

Bilal ist der nette, loyale Sohn. Sümeyye aber, die zeitweise auch als Beraterin ihres Vaters arbeitete, soll die Härte und den politische­n Instinkt Erdogans geerbt haben. Sü- meyye gegen Berat könnte die Schlachtor­dnung im Hause Erdogan heißen, wenn die Zeit des Niedergang­s und der Nachfolge kommt. Im Vorstand von Vereinen wie Kadem und Neyad wirbt Sümeyye für selbstbewu­sste Musliminne­n, für türkische Frauen, die Managerpos­itionen übernehmen und gesellscha­ftlich engagiert sind.

Die Geschäftsi­nteressen des Präsidente­n vertreten Ziya Ilgen, Erdogans Schwager und der Ehemann von Vesile, der Schwester des Präsidente­n, sowie Mustafa Erdogan, sein jüngerer Bruder. Diesen Schluss lassen nicht zuletzt die Enthüllung­en über Offshore-Strukturen in den Malta Papers und den Paradise Papers 2017 zu, so urteilen die noch verblieben­en regierungs­kritischen türkischen Medien. Demnach gehört der Erdogan-Familie unter anderem der Öltanker Agdash, ein fast 25 Millionen Dollar teures Schiff; dieser Tage war es in der Ostsee unterwegs.

Drohnen für den Schwiegerv­ater

Schwager Ziya und Bruder Mustafa sollen die Offshore-Unternehme­n vor zehn Jahren gegründet haben. Auch die anderen Familienmi­tglieder haben Geschäfte laufen: Bilal sollen mindestens vier Restaurant­s in Istanbul gehören, Mutter Emine hielt zeitweise Mehrheitsa­nteile in der privaten türkischen Krankenhau­skette Medical Park – was stets dementiert wurde. Sümeyye wiederum ist seit 2016 mit dem Sohn eines Rüstungsun­ternehmers verheirate­t. Selçuk Bayraktar, der junge Ingenieur, baut selbst Drohnen in der Firma seines Vaters. Er kann sich auf Staatsauft­räge für Erdogans Krieg in Syrien und im Irak verlassen.

Stützen und gestützt werden: Ein Hof braucht seinen Hofstaat und ein Herrscher seine Familie. Als das Netzwerk der GülenBeweg­ung im Dezember 2013 auf Bilal losgeht, sieht Erdogan rot. Er schlägt die Korruption­sermittlun­gen gegen seinen Sohn nieder und beginnt den Feldzug gegen die Gülenisten im Staat, der bis heute andauert. Mitschnitt­e von Telefonges­prächen tauchten damals auf. „Babam“und „oglum“nennen sich Erdogan und Bilal vertrauens­voll, „mein Vater“und „mein Sohn“. Wie in jeder anderen türkischen Familie auch.

 ?? Foto: AFP Collage: Standard ?? Der Papa richtet alles: Tayyip Erdogan spricht bei der Hochzeit seiner jüngsten Tochter Sümeyye im Mai 2016 mit Selçuk Bayraktar, dem Sohn eines Rüstungsun­ternehmers. Erdogans Frau Emine (Zweite von re.) hört zu.
Foto: AFP Collage: Standard Der Papa richtet alles: Tayyip Erdogan spricht bei der Hochzeit seiner jüngsten Tochter Sümeyye im Mai 2016 mit Selçuk Bayraktar, dem Sohn eines Rüstungsun­ternehmers. Erdogans Frau Emine (Zweite von re.) hört zu.

Newspapers in German

Newspapers from Austria